Jonas Kaufmann begeistert in einer intelligenten, zutiefst menschlichen Inszenierung der KÖNIGSKINDER!
Premiere: 21. Oktober 2007
Königskinder
Oper in drei Akten
Musik: Engelbert Humperdinck
Libretto: Ernst Rosmer (Pseudonym für Elsa Bernstein)
Uraufführung: 28. Dezember 1910 an der Metropolitan Opera New York
Aufführungen in Zürich vom 21. Oktober bis 18. November 2007
Kritik: (SK) Die spiessige Dorfgemeinschaft in der Turnhalle – in diesem Einheitsbühnenbild siedeln der Ausstatter Mathis Neidhart und der Regisseur Jens-Daniel Herzog Humperdincks Parabel an. In dieser Turnhalle hält die griesgrämige, altjüngferlich-gestrenge Biologieprofessorin (grossartig als „Hexe“ Liliana Nikiteanu) ihre Schülerin, die Gänsemagd, gefangen. Diese muss nachsitzen, kann nicht aus der zum Biologielabor umfunktionierten Halle fliehen. Sie hängt ihren kindlichen Träumen in Form von Papiergänsen nach. Erst als ihr der Spielmann ihr Menschsein bewusst macht, ist der Bann gebrochen. Selbst die Professorin wird durch die Anzüglichkeiten des Spielmanns aus ihrer Reserve gelockt, wird zur Frau und löst den Haarknoten, der sie so streng wirken liess. Solche Details intelligenter Personenführung sind es, die den Abend zum spannenden Ereignis werden lassen. Höhepunkt ist sicherlich der 2. Akt, wenn die Turnhalle zum Festsaal für die geldgierigen Bürger wird. Die Zeichnung der Charaktere, von der notgeilen Wirtstochter (umwerfend Martina Welschenbach) zur schnippischen Stallmagd (die immer wieder begeisternde Kismara Pessatti), vom prahlerischen Kleinbürger (sehr gut als Holzhacker: Reinhard Mayr) zum täppischen Politiker, vom gierigen Wirt, mit seinem mit Pappkronen ausgestatteten Servierpersonal, zur feinfühligen Tochter des Besenbinders (ergreifend Marie-Thérèse Albert), verdient höchste Bewunderung.
Im 3. Akt ist die Turnhalle zerstört, Anarchie herrscht, die (Gefühls-)kälte bricht mit Schneegestöber durch die zerbrochenen Fensterscheiben. Der Spielmann, jetzt als Blinder als einziger sehend, und die grosse Kinderschar suchen das Wahre und Edle, das sie als einzige erkannt haben. Zu spät. Das ergreifende Schlussbild zeigt 50 Kinder, die aus dem tiefen Dunkel der Hinterbühne ins Licht kommen und wieder entschwinden. Ihre „Königskinder“-Rufe hallen unheimlich, elektronisch verstärkt, durch den Zuschauerraum.
Einmal mehr muss die ungemein stimmungsvolle Lichtgestaltung durch Jürgen Hoffmann erwähnt werden. Sie schafft in diesem doch eher tristen Raum eindrückliche Bilder!
Das ganz grosse Ereignis des Abends ist Jonas Kaufmann, der die anspruchsvolle Partie des Königssohns mit Bravour meistert. Seine Darstellung der Wandlung vom ungehobelten, verwöhnten Prinzen zum Mann, der zu Demut und Menschlichkeit fähig ist, verdient höchstes Lob. Er besitzt die jugendlich strahlende, in allen Lagen perfekt sitzende, dunkel gefärbte Tenorstimme, welche das Publikum zu Recht begeisterte! Auch Isabel Rey als Gänsemagd überzeugte mit einer äusserst intensiven Gestaltung ihrer Rolle, obwohl sie stimmlich an Grenzen stiess. Für die langen, aufblühenden Kantilenen schien ihr manchmal der Atem zu fehlen, in der Höhe klang sie ab und an etwas schrill und forciert. Doch ihr zart gesungenes Gebet „Vater! Mutter! Hier will ich knien!“ war dann von einer zu Tränen rührenden Innigkeit. Oliver Widmer stattete den Spielmann im ersten Teil mit der notwendigen Nonchalance aus, im Schlussbild war er ein edler, philosophischer, blinder Seher.
Ingo Metzmacher stand zum ersten Mal am Pult des Opernhauses Zürich. Ein voll gelungener Einstand. Er wob einen intensiven Klangteppich, brachte Humperdincks einfühlsame Musik wunderbar zum Blühen und das Orchester der Oper Zürich setzte seine Intentionen ganz vorzüglich um. Die Produktion passt sehr gut in die Reihe „Von deutscher Seele“ mit der Metzmacher (mit seinem Deutschen Sinfonieorchester Berlin) dem Deutschen in der Musik nachspüren will. Einhellige Begeisterung am Schluss des Abends.
Fazit:
Ein entzaubertes Märchen – und doch zauberhaft intensiv und anrührend umgesetzt!
Musikalische Höhepunkte:
Königssohn: „Willst du mein Maienbuhle sein?“ 1. Akt; „ Zinnende Burgen…“ 2. Akt; „Nachttropfen tauen…“ 3. Akt
Gänsemagd: „Vater! Mutter!“ 1. Akt
Spielmann: „Wohin bist du gegangen“ 3. Akt; “Verdorben! Gestorben!“ 3. Akt
Vorspiel zum 3. Akt
Das Werk:
Während Humperdincks Erfolgs-Märchenoper „Hänsel und Gretel“ oftmals als Kinderoper bezeichnet wird (zu Unrecht, da auch sie mir ihren impliziten Allusionen bei weitem die Intentionen einer harmlosen Kinderoper übersteigt), wandte der Komponist sich mit den „Königskindern“ eindeutig an die Erwachsenen. Die tiefsinnige Symbolik des Werks schlägt sich musikalisch in einer lyrisch-elegischen Grundstimmung nieder. Aber auch in dieser Partitur verwob Humperdinck kunstvoll wagnersche Klänge mit volksliedhaften Weisen. Die Uraufführung in New York wurde zu einem triumphalen Erfolg und übertraf Puccinis „Fanciulla del West“, die im selben Monat an der Met uraufgeführt wurde. Das Werk führt aber seither eher ein Schattendasein; mit seiner schwebenden Melodik voll tragischer Empfindung vermochte sich die Oper nicht dauerhaft auf den Bühnen durchzusetzen. Dieses Werk beschwört den Traum von der Bewahrung menschlicher Würde auch unter erniedrigenden Umständen. Bezeichnenderweise ist es ein Kind, das alleine zum Erkennen der Wahrheit fähig ist und verzweifelt ob der Blindheit der Erwachsenen. (Schlüsselszene am Ende des 2. Aktes)
Synopsis:
Eine Gänsemagd lebt tief im Wald bei einer Hexe. Sie träumt von einem Leben ausserhalb des Waldes und der Begegnung mit Menschen. Die Hexe jedoch will ihr Hexenkünste beibringen. Sie backen ein Brot, das denjenigen, der davon isst, töten soll. Die Gänsemagd jedoch segnet das Brot mit den Worten: „Der davon isst, mag das Schönste seh´n.“
Während die Hexe auf Pilzsuche geht, erscheint ein Königssohn, der das Leben kennen lernen will. Die beiden verlieben sich ineinander. Die Gänsemagd vermag den Zauberbann der Hexe jedoch nicht zu brechen, der Königssohn hält sie für feige und zieht enttäuscht alleine weiter. Erst ein herabfallender Stern bricht den Bann. Die Gänsemagd kann mit der Krone, die der Königssohn verloren hat, in die Stadt Hellabrunn fliehen.
Dort erwartet man den neuen König. Gemäss Prophezeiungen der Hexe soll der regieren, der zum Schlag der Mittagsglocke durchs Stadttor tritt. Das ist die Gänsemagd mit der Krone. Sie wird jedoch verhöhnt. Der Königssohn, als Schweinehirt in der Stadt, und der Spielmann verteidigen sie. Doch die aufgebrachten Bürger jagen Schweinehirt und Gänsemagd aus der Stadt. Nur ein kleines Kind sagt: „Das sind der König und seine Frau gewesen.“
Hungernd und dem Kältetod nahe kommen die beiden wieder zur Hexenhütte. Die Hexe ist unterdessen auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden (falsche Prophezeiungen). Sie essen von dem Zauberbrot. Fluch und Segen des Brotes erfüllen sich. Sie träumen von ihrer ersten zärtlichen Begegnung. Der Schnee deckt die beiden Sterbenden zu. Unter dem Gesang des Spielmanns werden sie zu Grabe getragen.
Besetzung:
Dirigent: Ingo Metzmacher
Inszenierung: Jens-Daniel Herzog
Bühnenbild/Kostüme: Mathis Neidhart
Isabel Rey (Magd), Liliana Nikiteanu (Hexe), Kismara Pessatti (Stallmagd), Martina Welschenbach (Wirtstochter); Jonas Kaufmann (Königssohn), Oliver Widmer (Spielmann)
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