Oper in zwei Teilen
Musik: Aribert Reimann
Libretto: Claus Henneberg, nach Shakespeares Drama
Uraufführung: 9. Juli 1978 in München
Kritik: (besuchte Aufführung: 27.Dezember 2009)
Eine Aufführung, welche einen vom ersten bis zum letzten Ton packt, in einem gewalteigen Strudel mitreisst und erschlagen zurücklässt. Das ist Musiktheater auf allerhöchstem Niveau, szenisch und vor allem musikalisch. Hans Neuenfels hat LEAR als spannendes, intensives Kammerspiel angelegt, nie ist man abgelenkt von Äusserlichkeiten, alles ist fokussiert auf die ergreifende Handlung, die unermessliche Charakterisierungskunst des Regisseurs. Hansjörg Hartung hat dazu eine einfache Bühne aus weissen, schwarzumrahmten Wänden gebaut, die Kostüme von Elina Schnizler unterstreichen die Zeitlosigkeit des Stoffs.
Die gewaltigen Gesangspartien werden von den Sängerinnen und Sängern durchwegs hervorragend und mit grosser Textverständlichkeit gemeistert. Allen voran Tómas Tómasson als Lear: Mit geradezu beängstigender Vehemenz und stimmlicher Kraft und Differenzierungskunst wirft er sich in die Rolle des alternden Königs, der lange braucht, um sein Sterben, seine Vermählung mit dem Tod zu akzeptieren.
Als Goneril brilliert Irmgard Vilsmaier: Sie bewältigt die schwierigen Intervallsprünge mit atemberaubender Präzision, ihr Spiel ist von Angst einflössender Grausamkeit. Die Koloraturen ihrer Schwester Regan meistert Erika Roos grandios. Sie spielt die Rolle der lüsternen, sich mit ihren Hunden - welche zu ihren grausamen Lustsklaven mutieren -vergnügenden Frau mit greller Boshaftigkeit. Die stillere, intelligente Cordelia hat gegenüber diesen dominanten Schwestern einen schweren Stand. Doch Caroline Melzer vermag vor allem in der grossen Arie im zweiten Teil zu berühren, als sie ihren Vater wieder findet. Ganz vortrefflich ist auch Jens Larsen, welchem als Gloster auf offener Bühne in einer nichts beschönigenden, brutalen Szene, die Augen ausgestochen werden.
Seine Söhne Edmund (gierig, schmierig und schneidend kalt spielt und singt John Daszak) und Edgar (mit zartem Counter und bewegendem Gesang: Martin Wölfel) sind ebenfalls vortrefflich besetzt.
Einzig Elisabeth Trissenaar als Narr (und im zweiten Teil als Tod) vermochte trotz grossartiger Deklamation in der Darstellung nicht ganz zu überzeugen. Sie wirkte mit ihrem gekünstelten, übertriebenen Spiel zu sehr als - wahrscheinlich gewollter - Fremdkörper in dieser sonst so direkt und brutal dargestellten Machtintrige.
Schlicht ein Wahnsinn ist die Leistung des Orchester der Komischen Oper Berlin unter Carl St. Clair. Da geht dem Zuschauer der tobende Sturm auf der Heide durch Mark und Bein, doch da sind auch immer wieder die aufwühlenden, stilleren, so wunderbar klangmalerisch komponierten Kommentare aus dem Orchestergraben zu hören, die den Ereignischarakter dieses Werkes und dieser Aufführung ausmachen.
Fazit: MUSS man gesehen und gehört haben. Ein dreistündiger Abend, der unter die Haut geht. Keine Angst vor zeitgenössischer Oper - ein Abend, geprägt von atemberaubender Intensität.
Inhalt:
Der alternde König Lear will sein Reich unter seinen drei Töchtern aufteilen. Jede soll ihm beteuern, wie lieb sie ihn habe. Während Goneril und Regan dies sehr wortreich tun, schweig seine Lieblingstochter Cordelia. Lear traut mehr den Worten als den Taten und verstösst deshalb seine jüngste Tochter. Doch die beiden Erbinnen erweisen sich als machtbesessene Monster. Ihres eigensinnigen Vaters und dessen Gefolge überdrüssig, vergabgen sie ichn. Nur von seinem Narren und dem treuen Grafen Kent begleitet, irrt er verlassen in der Heide umher und verfällt zusehends dem Wahnsinn. In einer gespiegelten Parallelhandlung glaubt der Graf Gloster seinem unehelichen Sohn Edmund, als dieser den legitimen Sohn Edgar des Verrats bezichtigt. Edgar wir ebenfalls verstossen und irrt nackt als “armer Tom” auf der Heide herum. Weil Gloster nach wie vor zu Lear hält, reissen ihm Regan und ihr Gemahl Cornwall die Augen aus. Edmund ist unterdessen zu Gonerils Liebhaber geworden. In Dover treffen alle aufeinander: Lear begegnet Cordelia, die sich um ihn kümmert, die aber auf Befehl Edmunds getötet wird. Edgar bewahrt seinen blinden Vater vor dem Selbstmord, Regan wird von Goneril aus Eifersucht (Edmund bezirzt beide Schwestern, um an die Macht zu gelangen) vergiftet. In einem Duell ersticht Edgar seinen Halbbruder Edmund. Goneril sieht ihre Felle davonschwimmen und bringt sich ebenfalls um. Lear bricht über der Leiche Cordelias verzweifelt zusammen.
Werk:
Am LEAR sind grosse Komponisten gescheitert, so zum Beispiel Giuseppe Verdi, welcher sich über einen zwei Jahrzehnte umfassenden Zeitraum mit dem Stoff befasste und die Komposition schließlich doch aufgab. Bei Aribert Reimann vergingen zehn Jahre von der ersten Anregung (von Dietrich Fischer-Dieskau) zur Komposition dieser Oper bis zu deren Uraufführung in München, unter der Leitung von Gerd Albrecht und mit Fischer-Dieskau als Lear, Jula Varady als Cordelia und Helga Dernesch als Goneril. Das Werk war anschliessend unter Michael Boder auch in Zürich zu sehen und taucht ab und an (viel zu selten) auf den Spielplänen auf. Immerhin gehört es nun verdientermaßen zu den erfolgreichsten Werken aus der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts. Reimann verwendet mehrere Zwölftonreihen, welche er quasi leitmotivisch den Hauptpersonen zuordnet. Es entsteht ein atmosphärisch äußerst dichtes Klanggewebe, welches von grellen Clusterklängen und Klangballungen bis zu sehr zart und transparent orchestrierten leiseren Passagen reicht. Die Gestaltung der Gesangspartien entwickelt sich manchmal aus eindringlichem Sprechgesang, wobei auch hier die Tonhöhe notiert ist, führt zu imposanten Intervallsprüngen (Goneril) und zu waghalsigen Koloraturen (Regan, Cordelia). Der Patie des “armen Tom” ist einem Countertenor anvertraut. Berührend seine Kantilenen in der beeindruckend aufgebauten Gewitterszene auf der Heide.
Für oper-aktuell: Kaspar Sannemann, 28.Dezember 2009
1 Kommentar:
Many thanks! Would LOVE to see it. Hopefully I'll get a chance in July during the Festival.
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