Sonntag, 6. Dezember 2009

Luzern: L'heure espagnole/Ariane, 10.12.2009



  
copyright der Bilder: luzerner theater


L'heure espagnole
Oper in einem Akt
Musik: Maurice Ravel
Text: Franc Nohain
Uraufführung: 19. Mai 1911 in Paris


Ariane
Oper in einem Akt
Musik: Bohuslav Martinů
Text: vom Komponisten, nach einem Theaterstück von Georges Neveux
Uraufführung: 2. März 1961 in Gelsenkirchen
Vorstellungen in Luzern:
10.12. | 20.12 | 23.12. | 26.12. | 30.12.2009 | 3.1. | 6.1. | 8.1.2010




Kritik:

Und wieder beweist das Luzerner Theater, dass es zu den innovativeren Häusern der Schweiz, ja des deutschsprachigen Raums gehört:
Zwei Frauen auf der Suche nach Erfüllung in der Liebe: Dies ist die Klammer, welche die beiden Einakter zusammenhält. Die eine Frau, Concepción, sucht sie im sexuellen Seitensprung, die andere, Ariane, strebt eine Erhöhung ihrer Gefühle durch – beinahe wagnerische – Entsagung an.
Bei Maurice Ravel wird das Streben der Frau sehr naturalistisch geschildert, als eine Komödie im Stil der Commedia dell'arte, bei Bohuslav Martinů wirkt die Aktion tiefenpsychologisch stilisiert.
Die Regisseurin Christine Cyris und der Bühnenbilder Werner Hutterli haben die beiden Werke raffiniert und intelligent miteinander verbunden. Die grossen Pendel der Uhren im Geschäft des Uhrmachers Torquemada werden für Ariane quasi umgedreht, werden zu unerbittlich schlagenden, an Schiffchen im Ozean erinnernde Pendel von Metronomen. Silvana Arnold hat die zu den Geschichten passende Farbdramturgie in den Kostümen beigesteuert: Rottöne für die Leidenschaften bei Ravels Oper, kalte Blautöne für die beinahe ätherisch wirkende Ariane in Martinůs Werk. Die trotz aller Unterschiedlichkeit im Handeln existierende Verbundenheit der beiden Protagonistinnen wird immer wieder sichtbar gemacht. So treten beide gemeinsam zu Beginn des Abends auf, Ariane zieht Concepción weg von den oberflächlichen Männern und hinein in ihre vergeistigte Welt.

Der zweite Teil des Abends, Martinůs ARIANE, wirkt erstaunlicherweise in Luzern insgesamt spannender und intensiver, während Ravels Buffa nicht so recht vom Fleck kommt. Vielleicht liegt es an der doch zu spärlichen Ausstattung, mit welcher man unbedingt einer verstaubt wirkenden Schwankhaftigkeit entgehen wollte. Der Verzicht auf jegliche Requisiten – mit Ausnahme eines wirklich überflüssigen Kickboards für den Maultiertreiber Ramiro – führt bei den Darstellern zu einer gewissen Steifheit. Die grosse Ausnahme ist Caroline Vitale als ungemein präsente Concepción: Ihre ausdrucksstarke Mimik gepaart mit ihrem voll klingenden, auch hysterische Schärfen nicht kaschierenden Mezzo, führt zu einem überzeugenden Rollenporträt. Die Männer haben bei diesem Vollblutweib einen schweren Stand: Jason Kim (Gonzalve) ergeht sich in schöngeistigen, mit tenoralem Schmelz vorgetragenen hohlen Phrasen, Utuku Kuzuluk ist der gehörnte, farblose Ehemann, der dies aber nicht zu merken scheint und aus der ganzen Situation noch Profit schlägt, Tobias Hächler singt überzeugend den naiven Ramiro, im Spiel wirkt er relativ verhalten, ebenso Flurin Caduff als reicher Machtmensch Don Inigo. Immerhin neigen die Darsteller nicht zum Chargieren, was dann auch wieder wohltuend ist. Doch einmal mehr zeigt sich, wie unendlich schwierig es sein kann, eine Komödie in Szene zu setzen. Viel Witz kommt jedoch aus dem Orchestergraben: Rick Stengårds und das Luzerner Sinfonieorchester meistern die auch rhythmisch farbige und flimmernde Partitur mit Esprit und Delikatesse. Nach der Pause leiten die Musiker dann ebenso prägnant die im neoklassizistischen Duktus komponierte ARIANE ein: Hier sind grossartige Details in der Personenführung zu erleben – die zarte Annäherung zwischen Ariane und Theseus, die gespaltene Persönlichkeit des Theseus mit dem Minotaurus als Alter Ego (beinahe unheimlich präsent Boris Petronje), das kurze Liebesspiel von Ariane und Theseus im Intermezzo, die (in leichter, aber sinnvoller Abänderung gegenüber dem Libretto) Ermordung des Minotaurus durch Ariane, das Schwanken – gleich einem Metronom – der Ariane zwischen Minotaurus und Theseus.
Madelaine Wibom meistert die anspruchsvolle Titelpartie mit herrlich zarten, anrührenden und mit zauberhaftem Vibrato umflorten Phrasen. Ihr grosses Lamento am Schluss ist von zu Tränen rührender, schwebender Zärtlichkeit erfüllt. Mit seinem markanten Bariton und seinem blendenden Aussehen gibt Tobias Hächler einen beeindruckenden Theseus.
Jason Kim (Burun), Utku Kuzuluk (hervorragend als Wächter!) und Flurin Caduff komplettieren das vorzügliche Ensemble, welches am Ende des Premierenabends zu Recht vom Publikum heftig gefeiert wurde.
Fazit:
Allein schon wegen der ARIANE lohnt sich die Reise nach Luzern: Der Beitrag des Luzerner Theaters zum 50. Todestag von Bohuslav Martinů ist eine echte Entdeckung!
Inhalte und Werke:
L'heure espagnole:
Concepción, die Frau des Uhrmachers Torquemada in Toledo, benutzt die wöchentliche Abwesenheit ihres Mannes, welcher die Rathausuhren kontrollieren muss, um ihre Liebhaber zu empfangen. Doch weder der Dichter Gonzalve, noch der fettleibige Bankier Don Inigo kommen wie erhofft zum Zuge, sondern ausgerechnet der Maultiertreiber Ramiro, dessen Qualitäten Concepción erst im Verlauf des turbulenten Geschehens entdeckt. Der zurückkehrende Ehemann macht mit den gescheiterten Liebhabern lukrative Geschäfte.
Ravel, der Komponist des weltberühmten BOLノRO, schrieb über seinen Einakter:
Der Geist des Werkes ist uneingeschränkt humoristisch. Es ist vor allem die Musik, die Harmonie, der Rhythmus, die Orchestrierung, wodurch ich die Ironie zum Ausdruck bringen wollte, und nicht, wie in der Operette, die willkürliche, übertriebene Wörterhäufung.“
Und tatsächlich ist die Instrumentation dieser Preziose von einer genialen Raffinesse: Bläsertriller, ein Tubasolo, Xylophonklänge, Flageoletts und Tremoli der Streicher, schnelle Wechsel zwischen gestrichenen und gezupften Saiten – und dies alles gepaart mit an spanische Volkstänze angelehnte Rhythmen, wie Habanera und Malgueña.
Ariane:
Das Werk schildert die Begegnung von Ariadne mit dem Held Theseus, ihre gegenseitige Liebesbeziehung, die Tötung des Minotaurus durch Theseus und die Klage der von Theseus verlassenen Ariadne, welche auf einer einsamen Insel auf ihren Tod wartet.
Martinů, durch die vokale Darstellungskunst von Maria Callas angeregt, beendet seinen Einakter mit einem gross angelegten Sopran-Lamento, welches ungefähr einen Fünftel der Spieldauer des Einakters einnimmt. Ihn interessierte vor allem die psychoanalytische Sicht auf die beiden Protagonisten. So ist der Minotaurus das empfindsamere ICH des Helden Theseus, der mit der Tötung des Minotaurus diesen Teil seiner Persönlichkeit von sich abspaltet und damit seiner Liebe entsagt. Für die Komposition hat Martinů, ähnlich wie Strawinsky bei THE RAKE'S PROGRESS, auf neobarocke und neoklassizistische Modelle und eine lyrische Klangsprache wie bei der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts zurückgegriffen.
Seit Monteverdis ARIANNA von 1608 gehört der Stoff zu den häufigsten Quellen für Opernkompositionen: Händel, Massenet, Richard Strauss (ARIADNE AUF NAXOS), Darius Milhaud und in neuerer Zeit Alexander Goehr und Wolfgang Rihm (DREI FRAUEN, zur Zeit in Basel zu erleben) haben sich mit dem Mythos befasst.




 

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