Verdis düsterer Politthriller in monumentaler Ausstattung; mit Leo Nucci in der Titelpartie und Massimo Cavalletti (Bild) als überzeugendem Paolo Albiani.
Premiere: 11. Januar 2009
Handlung in einem Prolog und drei Akten
Musik: Giuseppe Verdi
Text : Francesco Maria Piave und Arrigo Boito
Uraufführung: 12. März 1857 im Teatro La Fenice,Venedig,
zweite Fassung 24. März 1881 im Teatro alla Scala, Mailand
Aufführungen in Zürich So, 11.01.2009 | Di, 13.01.09 | Fr, 16.01.09 | Mi, 21.01.09 | Fr, 23.01.09 | So, 25.01.09 | Sa, 07.02.09
Meine Kritik:
Das Auge kann sich an einigem laben in dieser Neuproduktion von Verdis Oper: An monumentalen Bühnenbildern (Carlo Centrolavigna), die von Rodins Höllentor zum Sockelfries des Altare della Patria und einer immensen Statue aus dem Forco Italico reichen, an herrlichen Kostümen (Maria Filippi), welche mit ihrer differenzierten Farbgebung eine eigene, stimmige und sinnvolle Dramaturgie entfalten, an herrlich kitschigen Meeres- und Abendstimmungen entlang den ligurischen Gestaden …
Man bewundert die Arbeiten der Werkstätten, der KostümschneiderInnen, ist manchmal regelrecht erschlagen von der Prachtentfaltung – und fragt sich dann doch, was das ganze eigentlich soll. Denn so sehr man die Gestaltung der Bühne auch bewundern mag, emotional wird man nicht angesprochen, echte Anteilnahme an den Schicksalen der Protagonisten stellt sich leider nicht ein. Regisseur Giancarlo del Monaco arrangiert das Geschehen dekorativ, ästhetisch (wenn man denn diese Art von Ästhetik mag), doch über konventionelle Gesten hinaus reicht seine Personenführung nicht. Dabei beinhaltet Verdis Oper alles, was einen spannenden Theaterabend ausmachen könnte: Intrigen, Verrat, heimliche Liebe, Gefühle und deren Unterordnung unter politische Ambitionen. Auf der Bühne des Opernhauses aber verläuft der Abend spannungslos, an der auf Hochglanz polierten Oberfläche wird kaum gekratzt. Zwar darf Boccanegra durchs Höllentor in Fiescos Palast treten, doch wird sein persönliches Inferno nicht nachvollziehbar gemacht, und auch das Höllentor verschwindet nach dem Prolog und taucht nicht wieder auf. Die letzten Inszenierungen dieses Werkes in Zürich (Kaslik/Svoboda und Marelli) waren psychologisch durchdachter und dadurch fesselnder als diese verschwenderische, ins Gigantische neigende Neuproduktion.
Erfreulicher präsentierte sich die musikalische Seite des Abends. Das Orchester unter der Leitung von Carlo Rizzi brachte die heikel zu intonierenden und doch so wunderbar stimmigen lautmalerischen Elemente der Partitur ganz vortrefflich zum Klingen. Der satte Klang der Streicher mischte sich klangschön mit den filigranen Klängen der Holzbläser und den kräftigen Einwürfen des Blechs. Dazu gesellte sich der exzellent intonierende Chor, welcher wenigstens musikalisch das hochdramatische Finale des ersten Aktes zum Gänsehaut Ereignis machte.
Die kräftigen Stimmen der Protagonisten, angeführt von den drei in ihren Rollen erfahrenen Sängern Leo Nucci (Simon Boccanegra), Roberto Scandiuzzi (Fiesco) und Fabio Sartori (Adorno), konnten sich dank des transparenten Orchesterklangs frei entfalten. Nucci begeisterte mit herrlich kunstvoller Phrasierung, perfekt auf dem Atem gesungenen Linien und durschlagkräftigem Bariton. Doch sein gelegentliches Anschleifen und Hochstemmen der Töne störten den positiven Gesamteindruck vor allem im Prolog. Scandiuzzi hat man in Zürich in dieser Rolle schon oft erleben und bewundern dürfen, ebenso den luxuriösen, grossartigen Tenor von Fabio Sartori. Deren beider Duett im ersten Akt geriet zu einer Offenbarung begeisternden Verdi-Gesanges. Der Bösewicht Paolo Albiani erhielt durch das überragende Rollendebüt von Massimo Cavalletti musikalisch das nötige Gewicht, von der Regie her hätte gerade mit diesem Sänger unbedingt mehr herausgeholt werden müssen.
Keine glückliche Hand hatten die Verantwortlichen leider mit der Besetzung der einzigen weiblichen Rolle im Stück, der Lichtgestalt der Amelia. Isabel Rey hat an diesem Haus schon viele Rollen hervorragend gestaltet (Gilda, Norina, Adina, Susanna), ihre Amelia ist ein Rollendebüt und gehört definitiv (noch?) nicht dazu. Ihrer Stimme fehlen Fundament und Wärme. Sie neigt zum Forcieren und wird dadurch in der Höhe hart, eng und gelegentlich schrill. Nach ihrer grossen Arie im ersten Akt regte sich bezeichnenderweise keine Hand zum Applaus.
Waren anfangs die verfeindeten Gruppen durch die Kostüme klar differenziert (Rot für die Plebejer und Schwarz für die Patrizier), so trugen sie im Schlussbild alle dezente Blautöne, gleichsam als eine Art Solidarisierung mit der tragischen, in Königsblau gewandeten Titelgestalt, welche sich sterbend zu ihrem geliebten Meer hinbewegt. Ein wunderschönes, ergreifendes Bild, das dann doch noch versöhnlich stimmte.
Fazit: Im gigantischen Bühnenbild erstickte Handlung. Wer kulinarische Oper ohne grosse psychologische Durchdringung mag, kommt auf seine Kosten.
Inhalt:
Genua im 14. Jahrhundert
Prolog
Jacopo Fiesco weigert sich, seine Tochter Maria dem Plebejer Bocanegra zur Frau zu geben und sperrt sie im Haus ein, obwohl sie bereits ein Kind von Boccanegra hat. Doch Maria stirbt. Fiesco verschweigt Boccanegra ihren Tod. Die Aussöhnung der beiden scheitert, weil Boccanegra Fiesco dessen Enkelin nicht zur Erziehung überlassen kann, da sie angeblich entführt worden sei. Boccanegra dringt in Fiescos Haus ein und findet seine tote Geliebte. Erschüttert kommt er aus dem Haus, während ihn das Volk jubelnd als neuen Dogen begrüsst.
Erster bis dritter Akt:
Fünfundzwanzig Jahre sind vergangen. Amelia Grimaldi (die verschollen geglaubte Tochter Boccanegras) ist verliebt in den Patrizier Gabriele Adorno. Boccanegra jedoch will seinen Kanzler Paolo Albiani mit Amelia verloben. Er entdeckt ein Amulett ihrer Mutter und erkennt in ihr seine Tochter, worauf er Paolos Werbung schroff zurückweist. Paolo ist beleidigt und schwört Rache.
Eine erregte Menge strömt in den Senatssaal, und verlangt Sühne für einen Getreuen Paolos, der von Gabriele Adorno getötet wurde. Amelia kann die Situation entschärfen und berichtet, dass sich der Anstifter ihrer Entführung noch im Saal befinde. Paolo wird gezwungen, die Übeltäter (also sich selbst) zu verfluchen.
Paolo schüttet Gift in den Becher des Dogen Boccanegra und versucht, Fiesco und Adorno zum Aufstand gegen den Dogen zu überreden. Fiesco lehnt ab, Adorno hingegen erklärt sich bereit, den vermeintlichen Nebenbuhler zu töten.
Der Doge trinkt das Gift und schläft ein. Adorno will Boccanegra erdolchen, wird aber im letzten Moment von Amelia daran gehindert. Er erfährt, dass Boccanegra nicht sein Rivale, sondern der Vater seiner Geliebten ist.
Adorno schlägt sich auf die Seite der Plebejer und hilft mit, den Aufstand der Patrizier niederzuschlagen.
Simon Boccanegra liegt im Sterben. Er versöhnt sich mit Fiesco und eröffnet ihm, dass Amelia seine Enkelin ist. Boccanegra segnet sterbend seine Tochter und Adorno, den er zu seinem Nachfolger bestimmt.
Werk:
SIMON BOCCANEGRA markiert einen entscheidenden Schritt auf Verdis Weg zum musikalischen Drama. Arienformen werden aus dramaturgischen Gründen aufgebrochen, das Arioso als musikalisch angereichertes Rezitativ wird zum Zentrum des musikalischen Ausdrucks, gerade in der Partie des Boccanegra, mit dem Verdi eine weitere seiner berührenden Vaterfiguren (Rigoletto, Miller, Nabucco, Philipp II, Georges Germont) geschaffen hat. Gleichzeitig gelingt Verdi mit der musikalischen Schilderung des ligurischen Meeres, in dessen Anblick die Protagonisten seiner Oper immer Trost zu finden scheinen, “eins der größten Beispiele von Landschaftsmalerei oder Naturlaut, die man in der Geschichte der Oper finden kann.” [Luigi Dallapiccola]
24 Jahre nach der durchgefallenen Uraufführung dieser Oper im Jahre 1857 in Venedig machte sich Verdi mit dem Librettisten und Komponisten Arrigo Boito an eine Überarbeitung des Werks, der Titelfigur schenkt er eines der schönsten Concertati der gesamten Verdi-Literatur: “Plebe! Patrizi! Popolo!” – “Plebejer! Patrizier! Volk!” Boccanegras verzweifelter Schrei nach Frieden – die Bitte eines verzweifelten Vaters nach Eintracht unter entzweiten Geschwistern, welcher in ein unglaublich packendes Finale mündet.
Somit gehört SIMON BOCCANEGRA stilistisch zu den interessantesten Schöpfungen Verdis, da die vorwiegend in düsteren Farben gehaltene Komposition auf Belcanto Seligkeit verzichtet, zugunsten eines „modernen“ Operndramas.
Musikalische Höhepunkte:
Il lacerato spirito, Arie des Fiesco Prolog
Come in quest’ora bruna, Arie der Amelia, Akt I
Vieni a me , Duett Fiesco(Andrea)-Adorno, Akt I
Plebe! Patirzi! Popolo!, Monolog des Boccanegra und Concertato, Finale Akt I
Sento avvampar nell’anima, Arie des Adorno, Akt II
Suo padre sei tu, Terzett Boccanegra, Amelia, Adorno, Finale Akt II
2 Kommentare:
Eine der schönsten und eindrücklichsten Operninszenierungen der letzten Jahrzehnte! Del Monacos Personenführung machte auch in den lyrischen Szenen die innere Spannung so intensiv spürbar, dass man den Atem anhielt! Grosse Oper mit grossartigen Sängern in kongenialem Bühnenbild! Vor der ästhetischen Schönheit einer solch gelungenen Opernaufführung müsste eigentlich jede Kritik verstummen! Aber eben, es gibt sie halt, die mikrigen kleinen Rezensenten, denen eine Opern-Inszeinungen nicht modern genug sein kann und die den "MOSES" in der IKEA-Küche und im "Möbel-Hubacher-Zimmerchen" geschmackvoll und aktuell finden, ach was soll's! Simon Boccanegra im Opernhaus Zürich ist eine der grossrtigsrten Inszenierunegn der letzten Jahrzehnte!v.z.
Wenn man meine Kritik genau liest, spürt man auch bei mir - was das Szenische - anbelangt durchaus Bewunderung. Dass Sie, Anonymer, die Produktion stimmig finden, sei Ihnen unbenommen. Meinungsvielfalt ist etwas Bereicherndes. Allerdings hätten Sie sich die persönlichen Angriffe auf mich sparen können. Diese tragen nämlich nichts zu einer sachlichen Diskussion bei. Mir jedenfalls würde es nie in den Sinn kommen, jemanden der anderer Meinung ist als ich als "klein" oder "mickrig" zu bezeichen. Ich wünsche Ihnen weiterhin viele erlebnisreiche, intensive Opernabende.
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