Gewiss, neu ist der Ansatz nicht, den Regisseur Philipp Stölzl bei seiner Inszenierung des FLIEGENDEN HOLLÄNDERS gewählt hat, nämlich das Geschehen aus der Perspektive der Senta zu zeigen. Doch die Konsequenz und Intensität, mit welcher diese Intention umgesetzt wird, ist schlicht und ergreifend atemberaubend. Auf der Bühne des Basler Theaters entwickelt sich ein fesselndes, erschütterndes Psychodrama, das alle Zuschauerinnen und Zuschauer in seinen Bann zieht und die pausenlosen zwei einviertel Stunden wie in einem (Seelen-)Flug vergehen lässt. Senta bleibt innerlich das ewige Kind, das in seiner Traumwelt und seinen Tagträumen lebt und nicht erwachsen werden will, sich nicht vom sie umgebenden und bestimmenden Mief der biedermeierlichen Welt emanzipieren kann, ja von dieser Gesellschft gar erdrückt und seelisch zerstört wird. Kaum verwunderlich, dass diese Senta immer mehr einer Bette Davis in Robert Aldrichs Film „Whatever happend to Baby Jane“ gleicht. Sie altert zwar äusserlich, wird fett, apathisch, Alkoholikerin, im Innern möchte sie das kleine Mädchen bleiben, welches immer wieder auf der Bühne zu sehen ist und die Ballade des Holländers durchlebt. Erst als die betrunkenen Dorfbewohner höhnisch spottend ihr geliebtes Sagenbuch zerreissen, erwacht sie aus ihrer Apathie, wird zur rasenden Furie, erschlägt ihren trotteligen Gatten und haut sogar Erik, der immer treu zu ihr gehalten hat, immer wieder versucht hat, ihr die Augen zu öffnen, die Champagnerflasche über den Kopf im Versuch, ihre Traumwelt zu verteidigen oder gar wieder herzustellen.
Für all dies findet das Inszenierungsteam starke, überwältigende Bilder. In liebevollster Detailarbeit haben die Werkstätten eine riesige Bibliothek auf die Bühne gestellt, an der Rückwand befindet sich ein gigantisches Ölgemälde, welches sich immer wieder für tableaux vivants öffnet, in welchen Geschehnisse aus Sentas Traumwelt dargestellt werden. So gewinnt die schauerromantische Handlung Schlüssigkeit und Spannung.
Musikalisch ist der Abend dank herrlich prägnanten, durchschlagkräftigen Stimmen und einem fabelhaften Dirigat ein Ereignis. Friedemann Layer wählt zügige Tempi (überfordert aber die Sänger damit nicht), er schafft es, eine immense Spannung aufzubauen. Das Orchester folgt ihm vortrefflich, abgesehen von einigen Intonationstrübungen des Blechs, ausgerechnet in der delikaten Begleitung des grossen Duetts Senta-Holländer.
Während dieses herrlichen Duetts erweitert sich das Bühnenbild zum Bild im Bild (im Bild…). Und im hintersten Bild fliegen die Märchenbücher dann aus dem Fenster, nun ist Senta zum einzigen Mal glücklich und glaubt, die Fantasiewelten nicht mehr zu benötigen. Doch die Wirklichkeit holt sie im dritten Akt umso schneller auf den brutalen Boden der Realität zurück. Sie verkriecht sich vor der Realität, aber auch aus Scham über ihre Gefühle – wie schon bei ihrem ersten Auftritt als kleines, böses Mädchen – unter den Tisch.
Kirsi Tiihonen ist eine überragende Senta. Vom bebend erregten Beginn der Ballade bis zu ihrem Selbstmord in Raserei durchschreitet sie darstellerisch und stimmlich eindrücklich die Gefühlswelt dieser Kindfrau. Sie findet zu zarten, schmerzerfüllten Tönen, aber auch zu wuchtigen Ausbrüchen und strahlenden Jubelmelodien.
Als Holländer überzeugt Alfred Walker (wie schon in Berlin als Orest in Elektra und Prologo in Cassandra) mit vorzüglicher Diktion und kraftvoll schöner Tongebung. Ein Glücksfall der Besetzungsliste sind auch der hervorragende Bass von Liang Li als geldgieriger, Frauen verachtender Vater Daland und Thomas Piffka als Erik. Dessen kräftig strahlender und mühelos geführter Tenor verleiht dem Erik eine eminente Wichtigkeit in dieser Inszenierung, ganz jenseits des larmoyanten Betrogenen.
Und wie immer in Basel rundet der exzellente Chor, treffend in Biermeierkostümen gekleidet von Ursula Kudrna, diesen grandiosen Abend ab.
Verdienter Jubel für alle Beteiligten!
Fazit:
Starke Bilder, starke Stimmen – ein Höhepunkt der bisherigen Schweizer Opernsaison! Fünf von fünf Perlen!!!
Inhalt:
Während eines Sturms geht Dalands Schiff in einer Bucht vor Anker. Die Mannschaft und der wachhabende Matrose schlafen ein, gespenstisch naht sich ein zweites Schiff. Es ist das Schiff des Holländers, der wegen einer Gotteslästerung zu einem ewigen Leben auf See verdammt ist. Nur ein treu ergebenes Weib kann ihm Erlösung bringen. Alle sieben Jahre darf er an Land gehen und sich dieses Weib zu erringen suchen.
Daland ist beeindruckt von den Schätzen auf des Holländers Schiff und bietet dem Mann seine Tochter Senta zur Gemahlin an.
Diese ist ganz närrisch nach dem Holländer, welchen sie nur von einem Bild und der Sage kennt. Immer wieder ergeht sie sich in Tagträumen über das Schicksal dieses Mannes.
Senta wird aber vorerst vom jungen Jäger Erik umworben, der besorgt die Träumereien seiner Liebsten wahrnimmt. Doch Senta fühlt sich berufen, den „armen Mann“ zu erlösen. Unmutig verlässt Erik das Mädchen, als Sentas Vater mit dem Holländer das Zimmer betritt. Senta weiß nun, dass es ihr bestimmt ist, das Erlösungswerk zu vollbringen. Zwischen ihr und dem Holländer entsteht eine innige Verbundenheit. (Wunderbares Duett!)
Die norwegischen Matrosen bereiten das Fest vor und versuchen auch die Mannschaft des Holländer-Schiffes einzuladen, doch aus dem Schiff schallt ihnen nur beängstigendes, geisterhaftes Dröhnen entgegen, so dass sie entsetzt und verängstigt fliehen. Erik erinnert Senta noch an seine Liebe zu ihr, vergeblich.
Der eintretende Holländer hat das Gespräch belauscht und ist sich sicher, dass auch Senta ihm nicht die erhoffte Treue gewähren können wird. Um sie vor der Verdammnis zu bewahren, erzählt er ihr von seinem Fluch (Erfahre das Geschick, vor dem ich Dich bewahr). Er eilt zu seinem Schiff, um auf ewig unerlöst zu bleiben. Doch Senta setzt ihm nach, verkündet nochmals laut, ihm treu […] bis zum Tod zu sein, und stürzt sich von der Klippe ins Meer. Augenblicklich versinkt das Schiff des Holländers in den Fluten. Der Fliegende Holländer ist erlöst.
Werk:
Zum ersten Mal taucht im FLIEGENDEN HOLLÄNDER Wagners Frauenbild auf: Durch bedingungslose Hingabe und Selbstaufopferung dient das Weib der Erlösung fremder Schuld und dem Heil des Mannes. Sentas Ausbruch aus dem Mief des Kleinbürgertums wirkt zwar revolutionär, doch ihre Entscheidung führt nicht zur Freiheit der Liebe, sondern zur Selbstpreisgabe. Der Rolle des Holländers hingegen enthält die Weltschmerzthematik sowie den Keim des deutschen Irrwegs, der auf Erlösung und Untergang im globalen Vernichtungsrausch und auf Kadavergehorsam abzielt.
Seit Siegfried Wagner 1901 den Holländer in Bayreuth pausenlos spielen liess, hat sich diese Version auf den Bühnen durchgesetzt, sie wird dem balladesken Charakter des Werks gerecht. Sentas Ballade steht denn auch im Zentrum, die Erzählung vom fliegenden Holländer wandelt sich nach den ersten beiden Strophen zur Ich-Form, die junge Frau kommt zur vermeintlichen Selbstfindung.
Zwar hört man in Wagners Werk noch Anklänge an Weber und Marschner, an die deutsche Schauerromantik, auch die Nummernoper ist noch nicht komplett aufgebrochen. Doch dominieren neben volkstonhaften Einsprengseln (Lied des Steuermanns, Chöre der Spinnerinnen und der Matrosen) grossartige, durchkomponierte Szenen. So der Auftritt des Holländers und vor allem das mit 422 Takten jeglichen konventionellen Rahmen sprengende Duett Senta-Holländer.
Bereits in der Ouvertüre wird der Charakter des Stückes offenbar: Das Motiv des Holländers mit seinem Quart-Quint Aufstieg, die Sturmakkorde und die bedrohlichen Wellen des Meeres, das Erlösungsmotiv und die Melodien der Matrosen bewirken eine packende, gefährliche Sogwirkung.
Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre
Die Frist ist um, Monolog des Holländers, Aufzug I
Johohoe! Traft ihr das Schiff…, Ballade der Senta, Aufzug II
Wie aus der Ferne längst vergang’ner Zeiten, Duett Senta-Holländer, Aufzug II
Steuermann, lass die Wacht!, Matrosenchor, Aufzug III
Erfahre das Geschick, Finale Aufzug III
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