Azione sacra in drei Akten
Musik: Gioachino Rossini
Libretto: Andrea Leone Tottola
Uraufführung: 5. März 1818 in Neapel
Aufführungen in Zürich:
19.9.| 23.9. | 25.9. | 27.9. | 2.10. | 4.10. | 8.10. | 11.10. | 15.10. | 18.10 | 20.10 | 23.10.09
Kritik:
Diese Aufführung von Rossinis MOSÈ in Zürich muss in die Rezeptionsgeschichte des Werks eingehen: Spannender, intelligenter und folgerichtiger kann man sich eine Aufführung kaum mehr vorstellen. Das Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier (in Zürich bekannt durch CLARI) hat die Partitur sehr genau analysiert und ist zu überzeugenden Lösungen gelangt. Die erste biblische Plage der Finsternis ist ein weltweiter Börsencrash, ein rabenschwarzer Freitag. Das ist natürlich für die Börsianer (Ägypter) ein beklagenswerter Super-GAU, welchen der Chor der Oper Zürich nach den drei Eröffnungsakkorden beeindruckend anstimmt. Noch schlimmer ist dies für die Reichen und Mächtigen dieser Welt, sprich die Familie Faraone. Um ihr Vermögen zu retten, scheuen sie auch vor Verhandlungen mit zweifelhaften religiösen Fundamentalisten nicht zurück (Mosè – äusserlich an BinLaden erinnernd und Aronne, dem Zionisten). Wenn dann die Indizes in strahlendem C-Dur wieder zu steigen beginnen, setzen die Börsianer vor Freude zu einem umwerfenden Bürostuhl-Ballett an. Das ist grossartig inszeniert und passt so herrlich zu Rossinis ratternden Rhythmen. Doch Versprechen werden gemacht und widerrufen, und so greifen Gewalt und Terrorismus immer weiter um sich: Koffer explodieren in Abflughallen und reissen Polizisten in den Tod, auf Cocktailpartys fallen junge Männer einem Giftanschlag zum Opfer, fanatisierte Damen in Abendroben jagen rächend und mit Sturmgewehren bewaffnet den fliehenden Terroristen hinterher, tappen prompt in die gestellte Falle am Roten Meer (Staudamm?) und versinken jämmerlich in den hereinbrechenden Fluten..
Mosè ist der religiöse Eiferer, der gerne seinen monotheistischen, rächenden Gott zitiert und anruft, um seine Taten zu rechtfertigen, der gekonnt mit den Medien umgeht, auf allen Kanälen (Al Jazeera lässt grüssen) präsent ist. Sein Gegenspieler Faraone hingegen ist der smarte, aber ständig zaudernde Anzugträger, der auch mal für seinen Jungen Osiride in der Designerküche die Frühstückseier zubereitet. Zwischen diesen Fronten eines ausgeprägten Machismus werden die Frauen zerrieben: Signora Faraone sucht Trost bei zweifelhaften Sekten, die einfache Jüdin Elcìa versucht zwischen den Gruppen zu vermitteln, zeigt menschliche Grösse, doch ihre Bemühungen werden von Mosè gnadenlos ignoriert, sie muss zusehen, wie ihr Geliebter Osiride kaltblütig ermordet wird. Dies alles ist mit einer unglaublichen Perfektion inszeniert, von der Personenführung der Protagonisten bis zur packenden Gestaltung der Chorszenen, vom aufwändigen Bühnenbild (Christian Fenouillat), den stimmigen Kostümen (Agostino Cavalca) bis zur fantastischen Lichtgestaltung (Christophe Forey, Hans-Rudolf Kunz). Vor lauter Begeisterung über diese Inszenierung darf man aber die Leistungen der Musiker und Sänger (alles Rollendebüts, bis auf Michele Pertusis Faraone) nicht vergessen. Javier Camarena als Osiride begeistert einmal mehr in einer Rossini Partie. Sein leuchtender, mühelos über grosse Ensembles strahlender, höhen- und koloratursicherer Tenor ist ein Ohrenschmaus. Zurückhaltender angelegt ist der Aronne, dem Reinaldo Macias seine schöne Stimme leiht. Eva Mei klingt zu Beginn noch etwas spitz, beinahe hysterisch. Doch steigert sie sich im Verlauf des Abends, findet zu zärtlich klagenden Tönen. In ihrem Liebesduett mit Camarena vereinigen sich die beiden hohen Stimmen in schmeichelnder Harmonie. Mit perlenden und glasklaren Koloraturen wartet Sen Guo (als Amaltea, Gemahlin des Faraone) auf. Das wunderschöne intonierte Quartett Mi manca la voce (Eva Mei, Sen Guo, Javier Camarena und Reinaldo Macias) im zweiten Akt ist von berührender Zartheit und Delikatesse. Anja Schlosser und Peter Sonn gestalten die Partien der Amenofi, respektive des Mambre, mit viel versprechenden Stimmen.
Rossini hat für die beiden Gegenspieler Mosè und Faraone grosse und dankbare Basspartien geschrieben. Erwin Schrott und Michele Pertusi überzeugen mit immenser Ausdrucksstärke, gepaart mit Stimmschönheit und Kraft. Mosès hingeschleudertes Ingrato nach Faraones Rückzieher, welches dann die Spirale der Gewalt in Gang setzt, erzeugt Gänsehaut. Pertusi fasziniert mit subtilem, geschmeidigem Gesang; Schrott ist – der Rolle entsprechend – etwas direkter, ungehobelter. Bevor sich dann am Schluss die eingestürzte Mauer wieder erhebt, stehen sich beiden Kontrahenten alleine gegenüber. Doch an eine Versöhnung ist nicht zu denken, die grausamen Schreckensbilder des weltweiten Terrorismus stehen zwischen ihnen. Ein erschütterndes Schlussbild - da traut man auch den ruhigen und versöhnlichen Klängen, welche vom Orchester der Oper Zürich unter der Leitung des fabelhaft dirigierenden Paolo Carignani so wunderschön erklingen, nicht.
Nachtrag: Am 23.10.09 habe ich die Aufführung nochmals besucht. Der oben geschilderte, äuserst positive Eindruck, hat sich mehr als bestätigt. Faraone wurde am 23. Oktober von Carlo Lepore gesungen. Seine Stimme klingt nicht ganz so geschmeidig wie die Pertusis. Aber auch er bot eine herausragende Leistung und fügte sich auch darstellerisch hervorragend in dieses aussergewöhnliche Ensemble ein. Die Interpreten wurden am Schluss dieser - leider - vorläufig letzten Aufführung vom Publikum verdientermassen stürmisch gefeiert.Fazit:
Grossartige Sänger und eine packende Inszenierung, die Geschichte schreiben wird, machen diese Rossini Oper zu einem unvergesslichen Erlebnis.
Inhalt:
Die Oper behandelt die biblische Erzählung vom Auszug des israelitischen Volkes aus Ägypten, versehen mit einer Liebesgeschichte zwischen Osiride, dem Sohn des Pharaos, der aus Liebe zu einer Israelitin (Elcia) den Auszug verhindern will. Zu Beginn der Oper herrscht - eine der zehn Plagen - völlige Dunkelheit, die sich nach Moses' Gebet aufhellt. Der Pharao verspricht deshalb den Israeliten die Rückkehr ins Heilige Land, doch sein Sohn widerruft diese Erlaubnis. Im zweiten Akt wird Ägypten von Feuer und Hagel heimgesucht. Erneut erhört Gott Moses und der Pharao will die Israeliten ziehen lassen. Osiride und Elcia haben sich versteckt, werden aber von Moses und Aaron aufgepürt und getrennt. Osiride wird zum Mitregenten ernannt, will die Israeliten aber wiederum nicht wie versprochen ziehen lassen. Der Blitz erschlägt ihn. Die Israeliten ziehen Richtung Rotes Meer. Dieses teilt sich, um dem hebräischen Volk die Rückkehr zu ermöglichen, doch die nachfolgenden Ägypter ertrinken in den sich wieder vereinigenden Fluten.
Werk:
Mit MOSÈ IN EGITTO ist Rossini ein Werk von grosser musikalischer Kraft gelungen. Die Partitur - mit den wirkungsvollen, beinahe oratorisch komponierten Chorszenen und der politisch unmöglichen Liebesgeschichte in diesem biblischen Kontext – beinhaltet viele musikalische Kostbarkeiten. Für Paris erstellte Rossini auch eine französische Version (MOÏSE), doch ist die italienische 2. Fassung von 1819 dieser in mancherlei Hinsicht überlegen. Besonders der Beginn der Oper, welche ohne Ouvertüre mit der Klage über die Finsternis einsetzt, und die das Werk prägenden Dur/moll Spannungen verdienen besondere Beachtung. Der absolute Höhepunkt ist natürlich die berühmte Preghiera im dritten Akt, nicht nur ein echter Ohrwurm, sonder ein von wahrhaft beglückendem Wohlklang geprägtes Gebet, welches Rossini erst für die Wiederaufnahme 1819 komponiert hatte. Es liegt übrigens auch in einer Einspielung mit Nana Mouskouri vor ...
Für oper-aktuell: © Kaspar Sannemann, 19. September 2009
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