Donnerstag, 10. September 2009

Bern: La Bohème, 9.9.2009


Oper in vier Bildern
Musik: Giacomo Puccini
Libretto: Luigi Illica / Giuseppe Giacosa
Uraufführung: 1. Februar 1896 im Teatro Regio, Turin
Aufführungen in Bern: 9.9. | 15.9. | 19.9.| 26..9. | 4.10. | 11.10. | 25.10. | 27.10. | 14.11. | 21.11. | 28.11. | 11.12. | 19.12. | 29.12.2009
17.1. | 24.1. | 13.2 . | 17.2. | 7.3.2010
Kritik:
Stimmig - im besten Sinn des Wortes - ist diese Neuinszenierung von Puccinis LA BOHÈME in Bern. Regisseurin Mariame Clément und ihre Bühnenbildnerin Julia Hansen haben weder Ort noch Zeit verändert, die Geschichte dieser jungen Menschen spielt sich in etwa zur Entstehungszeit der Oper ab. Turbulent und lustig geht es zu Beginn in der Dachkammer zu und her, ebenso auf dem Weihnachtsmarkt mit den vielen Christbäumen, ja selbst Santa Claus gibt sich kurz die Ehre, bevor dann die ganze Tragik der Liebesbeziehung zwischen Rodolfo und Mimì ab dem dritten Bild offen gelegt wird: An der Zollschranke, mit dem obligaten Schneefall, und im letzten Bild in einer noch ärmlicher eingerichteten neuen Dachkammer. Logischerweise mussten die vier Freunde nach ihrem Schabernack mit dem Vermieter Benoît (ganz hervorragend dargestellt von Lionel Peintre) umziehen. Bei der Zeichnung der Charaktere hat Frau Clément viel Feingefühl bewiesen, hat sich ganz auf die Protagonisten konzentriert, sie hervorgehoben und dem Chor im zweiten Bild deshalb Halbmasken und pantomimisches Agieren verpasst. Schlichtweg genial zeigte sich die Charakterisierungskunst der Regisseurin im ersten Bild bei der Begegnung Rodolfos mit Mimì: Während Rodolfo seine berühmte Händchen-Arie so grosspurig, wichtigtuerisch und mit gespielt falscher Bescheidenheit vorträgt, hört Mimì verzückt und bewundernd zu. Er hingegen steht gelangweilt und angeödet da, wenn sie von ihrem einfachen Leben erzählt. Doch sobald sie dann poetischere Töne anschlägt, wird er in ihren Bann gezogen, das Licht auf der Bühne wird unnatürlich, die Möbel schweben davon und die beiden vereinigen sich  für (allzu) kurze Zeit in einer Traumwelt, in der es ausser ihrer Liebe nichts anderes mehr gibt. Ein berührendes Bild.
Tamara Alexeeva ist eine selbstbewusste, natürliche und doch verletzliche Mimì, ihre leuchtende, sehr angenehm timbrierte Stimme vermag die tiefen Gefühle der Zuneigung, der Liebe und des Schmerzes aufs Wunderbarste auszudrücken. Hoyoon Chung ist ganz der joviale, leichtlebige Rodolfo, seine Ariosi trägt er gekonnt, höhensicher und mit viel Schmelz vor, aber manchmal auch etwas gar vordergründig plakativ. Sein Duett mit Marcello im vierten Bild hingegen gerät zu einem wahren Stimmfest von unter die Haut gehender Intensität zweier grossartiger Sänger: Robin Adams ist sowohl darstellerisch als auch stimmlich ein wunderbar facettenreicher Marcello. Das Herrenquartett wird durch die tolle Leistung von Gerardo Garciacano als Schaunard und Carlos Esquivel als mehr auf seine Sprüche als auf Körperpflege achtenden Philosophen Colline ergänzt.
Bleibt noch Marcellos Muse Musetta: Hier hat das Berner Theater mit der Verpflichtung von Daniela Bruera den ganz grossen Wurf gelandet. Die Koloraturen perlen nur so, die Wandlung von dem zu Beginn so durchtriebenen Frauenzimmer zur zu echtem Mitgefühl fähigen jungen Frau gelingt Frau Bruera auf überzeugende Art und Weise. Die Stimme verfügt über eine substanzreiche Fülle und einen ausserordentlichen Wohlklang.
Ein ganz spezielles Lob gebührt dem Kinderchor der Musikschule Köniz, der mit Präzision und Klangschönheit zu begeistern wusste.
Srboljub Dinić und das Berner Symphonieorchester gehen mit viel Verve zur Sache. Das ist ein lauter, unsentimentaler Puccini, da wird nicht geschönt, Dissonanzen werden offengelegt. Recht so. Puccini steht nämlich nicht für Kitsch, sondern für echte, tief empfundene Gefühle in all ihren Widersprüchen, und für diese hat die Berner Aufführung eine stimmige Plattform bereitgestellt.

Inhalt undWerk:
Puccinis LA BOHÈME gehört zweifellos zu den bedeutendsten Werken der italienischen Oper.
In eindringlichen, atmosphärisch dichten Bildern zeichnen Puccini und seine Librettisten Szenen aus dem Leben junger Menschen. Sie träumen von Freiheit und Selbstverwirklichung, sie lieben und sie streiten sich, sie kämpfen mit Humor ums Überleben. Doch als eine von ihnen tödlich erkrankt, wird aus dem sorglosen Leben bitterer, tragischer Ernst.
Puccini hat dazu eine seiner farbenprächtigsten Partituren komponiert, lyrisch-sentimentale Stellen verschmelzen mit humorvoll kontrastierenden Passagen, die Personen sind überaus stimmig in kurzen, prägnanten Ariosi charakterisiert. Im letzten Bild verschmelzen all diese Leit- und Erinnerungmotive, der Orchesterklang wird aber zugleich dünner und führt so zum ergreifenden Schluss.
Musikalische Höhepunkte:
Che gelida manina, Arie des Rodolfo, Bild I
Si, mi chiamano Mimì, Arie der Mimi, Bild I
O soave fanciulla, Duett Mimì-Rodolfo, Bild I
Quando m’en vo, Walzer der Musetta, Bild II
Addio dolce svegliare, Duett Mimì-Rodolfo mit Hintergrundgezänk Marcello-Musetta, Bild III
Vecchio zimarra, senti, Arie des Colline, Bild IV
O Mimì, tu più non torni, Arioso des Rodolfo, Bild IV
Und nicht verpassen:
In Zusammenarbeit mit dem Schweizer Fernsehen
La Bohème im Hochhaus
Livesendung am
29. September 2009, 20.05 Uhr, SF 1 und arte
Musikalische Leitung: Srboljub Dinić
Inszenierung im Hochhaus: Anja Horst
Chor des Stadttheater Bern
Chorleitung: Alexander Martin
Kinderchor der Musikschule Köniz
Berner Symphonieorchester

Für oper-aktuell: © Kaspar Sannemann, 10. September 2009

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