Montag, 28. Dezember 2009

Berlin, Komische Oper: LEAR, 27. Dezember 2009


Links vom Dirigenten: Komponist Aribert Reimann


Oper in zwei Teilen
Musik: Aribert Reimann
Libretto: Claus Henneberg, nach Shakespeares Drama
Uraufführung: 9. Juli 1978 in München

Kritik: (besuchte Aufführung: 27.Dezember 2009)
Eine Aufführung, welche einen vom ersten bis zum letzten Ton packt, in einem gewalteigen Strudel mitreisst und erschlagen zurücklässt. Das ist Musiktheater auf allerhöchstem Niveau, szenisch und vor allem musikalisch. Hans Neuenfels hat LEAR als spannendes, intensives Kammerspiel angelegt, nie ist man abgelenkt von Äusserlichkeiten, alles ist fokussiert auf die ergreifende Handlung, die unermessliche Charakterisierungskunst des Regisseurs. Hansjörg Hartung hat dazu eine einfache Bühne aus weissen, schwarzumrahmten Wänden gebaut, die Kostüme von Elina Schnizler unterstreichen die Zeitlosigkeit des Stoffs.
Die gewaltigen Gesangspartien werden von den Sängerinnen und Sängern durchwegs hervorragend und mit grosser Textverständlichkeit gemeistert. Allen voran Tómas Tómasson als Lear: Mit geradezu beängstigender Vehemenz und stimmlicher Kraft und Differenzierungskunst wirft er sich in die Rolle des alternden Königs, der lange braucht, um sein Sterben, seine Vermählung mit dem Tod zu akzeptieren.
Als Goneril brilliert Irmgard Vilsmaier: Sie bewältigt die schwierigen Intervallsprünge mit atemberaubender Präzision, ihr Spiel ist von Angst einflössender Grausamkeit. Die Koloraturen ihrer Schwester Regan meistert Erika Roos grandios. Sie spielt die Rolle der lüsternen, sich mit ihren Hunden - welche zu ihren grausamen Lustsklaven mutieren -vergnügenden Frau mit greller Boshaftigkeit. Die stillere, intelligente Cordelia hat gegenüber diesen dominanten Schwestern einen schweren Stand. Doch Caroline Melzer vermag vor allem in der grossen Arie im zweiten Teil zu berühren, als sie ihren Vater wieder findet. Ganz vortrefflich ist auch Jens Larsen, welchem als Gloster auf offener Bühne in einer nichts beschönigenden, brutalen Szene, die Augen ausgestochen werden.
Seine Söhne Edmund (gierig, schmierig und schneidend kalt spielt und singt John Daszak) und Edgar (mit zartem Counter und bewegendem Gesang: Martin Wölfel) sind ebenfalls vortrefflich besetzt.
Einzig Elisabeth Trissenaar als Narr (und im zweiten Teil als Tod) vermochte trotz grossartiger Deklamation in der Darstellung nicht ganz zu überzeugen. Sie wirkte mit ihrem gekünstelten, übertriebenen Spiel zu sehr als - wahrscheinlich gewollter - Fremdkörper in dieser sonst so direkt und brutal dargestellten Machtintrige.
Schlicht ein Wahnsinn ist die Leistung des Orchester der Komischen Oper Berlin unter Carl St. Clair. Da geht dem Zuschauer der tobende Sturm auf der Heide durch Mark und Bein, doch da sind auch immer wieder die aufwühlenden, stilleren, so wunderbar klangmalerisch komponierten Kommentare aus dem Orchestergraben zu hören, die den Ereignischarakter dieses Werkes und dieser Aufführung ausmachen.

Fazit: MUSS man gesehen und gehört haben. Ein dreistündiger Abend, der unter die Haut geht. Keine Angst vor zeitgenössischer Oper - ein Abend, geprägt von atemberaubender Intensität.



Inhalt:
Der alternde König Lear will sein Reich unter seinen drei Töchtern aufteilen. Jede soll ihm beteuern, wie lieb sie ihn habe. Während Goneril und Regan dies sehr wortreich tun, schweig seine Lieblingstochter Cordelia. Lear traut mehr den Worten als den Taten und verstösst deshalb seine jüngste Tochter. Doch die beiden Erbinnen erweisen sich als machtbesessene Monster. Ihres eigensinnigen Vaters und dessen Gefolge überdrüssig, vergabgen sie ichn. Nur von seinem Narren und dem treuen Grafen Kent begleitet, irrt er verlassen in der Heide umher und verfällt zusehends dem Wahnsinn. In einer gespiegelten Parallelhandlung glaubt der Graf Gloster seinem unehelichen Sohn Edmund, als dieser den legitimen Sohn Edgar des Verrats bezichtigt. Edgar wir ebenfalls verstossen und irrt nackt als “armer Tom” auf der Heide herum. Weil Gloster nach wie vor zu Lear hält, reissen ihm Regan und ihr Gemahl Cornwall die Augen aus. Edmund ist unterdessen zu Gonerils Liebhaber geworden. In Dover treffen alle aufeinander: Lear begegnet Cordelia, die sich um ihn kümmert, die aber auf Befehl Edmunds getötet wird. Edgar bewahrt seinen blinden Vater vor dem Selbstmord, Regan wird von Goneril aus Eifersucht (Edmund bezirzt beide Schwestern, um an die Macht zu gelangen) vergiftet. In einem Duell ersticht Edgar seinen Halbbruder Edmund. Goneril sieht ihre Felle davonschwimmen und bringt sich ebenfalls um. Lear bricht über der Leiche Cordelias verzweifelt zusammen.

Werk:
Am LEAR sind grosse Komponisten gescheitert, so zum Beispiel Giuseppe Verdi, welcher sich über einen zwei Jahrzehnte umfassenden Zeitraum mit dem Stoff befasste und die Komposition schließlich doch aufgab. Bei Aribert Reimann vergingen zehn Jahre von der ersten Anregung (von Dietrich Fischer-Dieskau) zur Komposition dieser Oper bis zu deren Uraufführung in München, unter der Leitung von Gerd Albrecht und mit Fischer-Dieskau als Lear, Jula Varady als Cordelia und Helga Dernesch als Goneril. Das Werk war anschliessend unter Michael Boder auch in Zürich zu sehen und taucht ab und an (viel zu selten) auf den Spielplänen auf. Immerhin gehört es nun verdientermaßen zu den erfolgreichsten Werken aus der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts. Reimann verwendet mehrere Zwölftonreihen, welche er quasi leitmotivisch den Hauptpersonen zuordnet. Es entsteht ein atmosphärisch äußerst dichtes Klanggewebe, welches von grellen Clusterklängen und Klangballungen bis zu sehr zart und transparent orchestrierten leiseren Passagen reicht. Die Gestaltung der Gesangspartien entwickelt sich manchmal aus eindringlichem Sprechgesang, wobei auch hier die Tonhöhe notiert ist, führt zu imposanten Intervallsprüngen (Goneril) und zu waghalsigen Koloraturen (Regan, Cordelia). Der Patie des “armen Tom” ist einem Countertenor anvertraut. Berührend seine Kantilenen in der beeindruckend aufgebauten Gewitterszene auf der Heide.

Für oper-aktuell: Kaspar Sannemann, 28.Dezember 2009

Sonntag, 27. Dezember 2009

Zürich: IL BARBIERE DI SIVIGLIA, 6. Januar 2010








Copyright Fotos: Suzanne Schwiertz, mit freundlicher Genehmigung durch Opernhaus Zürich


Melodramma buffo in zwei Akten
Musik: Gioachino Rossini
Libretto: Cesare Sterbini
Uraufführung: 20. Februar 1816 in Rom

Vorstellungen in Zürich: 27.12./ 30.12.2009 / 1.1. / 6.1./ 8.1./ 10.1. / 13.1./ 15.1./ 17.1./ 22.1./ 24.1. und 10.7. 2010


Weitere Informationen und Tickets


Kritik: besuchte Vorstellung: 6. Januar 2010


Nachdem Katharina Thalbach in Berlin den Barbiere buchstäblich in den Sand gesetzt hat, durfte man gespannt sein, was das Team Cesare Lievi/Mario Botta aus dem Stück herausholen wird. Am Pult Altmeister Nello Santi!
Mit dieser Neuinszenierung von Rossinis unsterblicher Buffa wollten die Verantwortlichen wohl neue Wege beschreiten: Fort mit den putzigen, humorvollen, leicht angestaubten und trotzdem atmosphärisch dichten Vorgängerinszenierungen von Werner Saladin, Jean-Pierre Ponnelle und Grischa Asagaroff. Als Bühnenbildner hat man den Stararchitekten Mario Botta verpflichtet, welcher vier in alle Richtungen drehbare, aus je zwei Rhomboedern bestehende Säulen auf die Zürcher Bühne stellte. Die Flächen sind alle mit Leuchtdioden versehen, zum Teil zusätzlich noch verspiegelt. In diesem (irgendwie an die futuristisch anmutende Madrider Plaza Castilla erinnernden) Ambiente ist nun also der stockkonservative, misstrauische Dottore Bartolo zu Hause. Diese Bürohochhaus-Architektur erdrückt das Geschehen auf der Bühne beinahe. Weshalb Bartolo ausgerechnet da hingezogen sein sollte, bleibt sein Geheimnis. 
Weiter geht es hier 


Inhalt: (die Vorgeschichte zur Hochzeit des Figaro)
Graf Almaviva hat sich in das Mündel des Doktor Bartolo, Rosina, verguckt. Doch Bartolo bewacht Rosina wie seinen Augapfel, da er selbst die junge Schönheit heiraten möchte. Mithilfe des käuflichen Intriganten und Barbiers der Stadt, Figaro, gelingt es Almaviva, den trotteligen Doktor hereinzulegen, und Rosina zu ehelichen.
(Dass diese Ehe dann nicht nur glücklich ist, erfährt man in Mozarts LE NOZZE DI FIGARO…)

Werk:
Rossinis Meisterwerk ist bei der Uraufführung NICHT durchgefallen, wie immer wieder gerne kolportiert wird, sondern es fiel einer Intrige zum Opfer: Anhänger des Komponisten Paisiello, welcher den Stoff ebenfalls vertont hatte, versuchten die Oper des jungen Rossini niederzuschreien, angestachelt auch durch die Intendanz eines konkurrierenden römischen Opernhauses. Bereits die zweite Aufführung wurde zu einem Riesenerfolg, seither ist die Wirkung dieser Königin unter den Buffo Opern weltweit ungebrochen. Rossini hat das Werk, wie es damals üblich war, unter grossem Zeitdruck fertig stellen müssen. Doch war es gang und gäbe für die Komponisten jener Zeit, Teile von Arien und Ouvertüren aus eigenen (und manchmal auch fremden) Werken zu übernehmen. So können beim BARBIERE Melodien aus mindestens sieben anderen Opern Rossinis gefunden werden, auch aus ernsten Opern, wie ELISABETTA, REGHINA D´ INGHILTERRA (Ouvertüre).
Nichtsdestotrotz bereiten Rossinis melodischer Einfallsreichtum, sein musikalischer Witz und das untrügliche Gespür für bühnenwirksames Timing auch nach 200 Jahren noch immer ungetrübte Freude und Genuss.

Samstag, 26. Dezember 2009

Berlin, Deutsche Oper: IL BARBIERE DI SIVIGLIA, 25. Dezember 2009



Melodramma buffo in zwei Akten
Musik: Gioachino Rossini
Libretto: Cesare Sterbini
Uraufführung: 20. Februar 1816 in Rom

Kritik: (besuchte Aufführung: 25.Dezember 2009)
Was macht ein Regisseur, eine Regisseurin, wenn er (sie) einem Stück nicht ganz traut oder wenig damit anzufangen weiss? Man begibt sich auf den ausgetretenen Pfad des Theaters auf dem Theater. So auch Katharina Thalbach in dieser Neuproduktion: Sie verlegt das Geschehen in einen Badeort (Sevilla al Mare, warum auch nicht, es gibt ja auch eine Milano Marittima). Eine zweitklassige Gauklertruppe führt vor gelangweilten Badegästen von einer Lastwagenbühne aus die olle Klamotte IL BARBIERE DI SIVIGLIA auf. Die ungebildeten Touris scheinen sich aber zusehends in die Commedia dell´Arte hineinzufinden, sich zu solidarisieren und ziehen sich im zweiten Akt Perücken und Rokoko Kostüme an - am Strand… Soweit so schlecht. Schlimm ist jedoch, dass die Nebenhandlungen der Pauschaltouristen, vom schwulen Quotenpärchen bis zur allein erziehenden Mutter, vehement von der eigentlichen Komödie ablenken, sie streckenweise ganz zu Fall bringen. Bereits die Ouvertüre wird durch trippelnde Nonnen (wie originell…), Oldtimer und einen echten, zugegebenermaßen sehr putzigen, Esel massiv gestört.

Die Gewittermusik geht vollständig baden. Das hat Rossinis Musik nicht verdient. Die eigentliche Handlung ist dann sehr konventionell und eher bescheiden in Szene gesetzt, wobei die spritzigen Einfälle da leider fehlen. Das Meiste verpufft in der Rahmenhandlung.
Wenigstens gab´s an diesem Abend musikalisch nicht viel zu bemängeln: Lawrence Brownlee war mit seiner schlanken, sicher und virtuos geführten Stimme und seiner darstellerischen Agilität ein ganz wunderbarer Almaviva. Die grosse und mit immensen Schwierigkeiten versehene Schlussarie sang er makellos, auch wenn hier wieder die Regiemätzchen mit dem Mikrofon und den ungelenken DSDSS - Hüftschwüngen störend wirkten. Seine Angebetete, Rosina, wurde von Ketevan Kemoklidze mit sattem, warmem Mezzzosopran gesungen. Das letzte Quentchen an Bravour (und Durchschlagskraft in den Ensembles) fehlte allerdings. Fabio Maria Capitanucci blieb, obwohl stimmlich sehr potent, als Drahtzieher Figaro im Hintergrund, von der Regie im Stich gelassen, trotz Schwebens in der Luft, gleich einer billigen Zirkusnummer. Bartolo war bei Maurizio Muraro bestens aufgehoben, aber auch hier fiel der Regie nichts wirklich Überzeugendes ein, ein bisschen Rheumatismus anzudeuten reicht nicht, um diesen Mann zu charakterisieren. Paata Burchuladze war ein solider und sonorer Basilio, welcher eine differenziert gestaltete Verleumdungsarie, jenseits von Effekthascherei, darbot. Hulkar Sabirova liess in ihrer Arie als Berta aufhorchen.
Enrique Mazzola am Pult des wunderbar leicht und sauber spielenden Orchesters der Deutschen Oper Berlin kostete mit den Musikerinnen und Musikern den Witz Rossinis gekonnt aus, war ein sehr aufmerksamer und klare Akzente setzender Dirigent.

Fazit: Hübsche Kulisse, viele mehr oder weniger lustige Gags in der Rahmenhandlung - doch wo bleibt das eigentliche Stück? Musikalisch hingegen sehr erfreulich.



Inhalt: (die Vorgeschichte zur Hochzeit des Figaro)
Graf Almaviva hat sich in das Mündel des Doktor Bartolo, Rosina, verguckt. Doch Bartolo bewacht Rosina wie seinen Augapfel, da er selbst die junge Schönheit heiraten möchte. Mithilfe des käuflichen Intriganten und Barbiers der Stadt, Figaro, gelingt es Almaviva, den trotteligen Doktor hereinzulegen, und Rosina zu ehelichen.
(Dass diese Ehe dann nicht nur glücklich ist, erfährt man in Mozarts LE NOZZE DI FIGARO…)

Werk:
Rossinis Meisterwerk ist bei der Uraufführung NICHT durchgefallen, wie immer wieder gerne kolportiert wird, sondern es fiel einer Intrige zum Opfer: Anhänger des Komponisten Paisiello, welcher den Stoff ebenfalls vertont hatte, versuchten die Oper des jungen Rossini niederzuschreien, angestachelt auch durch die Intendanz eines konkurrierenden römischen Opernhauses. Bereits die zweite Aufführung wurde zu einem Riesenerfolg, seither ist die Wirkung dieser Königin unter den Buffo Opern weltweit ungebrochen. Rossini hat das Werk, wie es damals üblich war, unter grossem Zeitdruck fertig stellen müssen. Doch war es gang und gäbe für die Komponisten jener Zeit, Teile von Arien und Ouvertüren aus eigenen (und manchmal auch fremden) Werken zu übernehmen. So können beim BARBIERE Melodien aus mindestens sieben anderen Opern Rossinis gefunden werden, auch aus ernsten Opern, wie ELISABETTA, REGHINA D´ INGHILTERRA (Ouvertüre).
Nichtsdestotrotz bereiten Rossinis melodischer Einfallsreichtum, sein musikalischer Witz und das untrügliche Gespür für bühnenwirksames Timing auch nach 200 Jahren noch immer ungetrübte Freude und Genuss.

Für oper-aktuell: Kaspar Sannemann, 26.Dezember 2009

Donnerstag, 24. Dezember 2009

Berlin, Staatsoper: IL TURCO IN ITALIA, 22. Dezember 2009




Dramma buffo in zwei Akten
Musik: Gioachino Rossini
Libretto: Felice Romani
Uraufführung: 14. August  1814 in Mailand

Kritik: (besuchte Aufführung: 22.Dezember 2009)
Obwohl dies erst die 10. Vorstellung dieser Produktion war, wurden die meisten Rollen neu besetzt (Ausnahmen waren Alfredo Daza als Dichter, Katharina Kammerloher als Zaida und Forian Hoffmann als Abazar). Mit Alexandrina Pendatchanska hat man eine glaubwürdige Interpretin für die Fiorilla gefunden: Ihr beeindruckender Stimmumfang, die atemberaubenden Koloraturen und Fiorituren, zusammen mit einem leicht gutturalen, sehr erotischen Timbre, frischem Spiel und blendendem Aussehen führten zu einem rundum begeisternden Porträt dieser lebenslustigen Frau auf der Suche nach sexueller Erfüllung. Ihr Gatte hatte da natürlich einen schweren Stand, Andrea Concetti machte das Beste daraus und lief in der Auseinandersetzung mit dem von sexueller - und stimmlicher - Potenz nur so strotzenden Selim von Giovanni Furlanetto auch darstellerisch zu Hochform auf. Colin Lee sang die von immensen Schwierigkeiten gespickte grosse Tenorarie des Narciso mit scheinbar mühelos erklommenen Spitzentönen - beeindruckend. Alfredo Daza spielte und sang überzeugend den verzweifelten, sich immer stärker in den Alkohol flüchtenden Dichter, dem die Fäden seiner Komödie immer mehr aus der Hand zu gleiten drohten. Katharina Kammerloher war eine mit warmem Mezzosopran um ihren Geliebten erfolgreich kämpfende Zaida.
David Aldens Konzeption überzeugte mich sehr: Er siedelt das Geschehen in den Fünfzigern des vergangenen Jahrhunderts an, in einem Ambiente zwischen Fellini und Pirandello, mit einem Hauch von der Absurdität eines Ionesco. Trotz aller witzigen Theatralik herrscht kein plumper Klamauk - es werden auch tief verborgene Wünsche und ernsthafte Seiten der Charaktere an die Oberfläche geholt. Auch dem Happy End traut der Regisseur nicht: Während sich Geronio genüsslich ins schicke Ehebett legt, turtelt Fiorilla schon wieder mit Narciso …
Die Staatskapelle unter Riccardo Frizza begleitete mit Akkuratesse und Verve.


Inhalt: Ein Poet sucht Ideen für eine Komödie. Er findet die Inspiration durch verschiedene Charaktere in seinem Umfeld. Da sind zum Beispiel Don Geronio, welcher unter den Launen seiner jungen, lebenslustigen Gattin Fiorilla leidet, oder Zaida, welche vom Türken Selim verstossen wurde.
Selim kommt in Italien an, Fiorilla ist von ihm fasziniert und die beiden beginnen zu flirten. Der Dichter freut sich über die Verwicklungen, doch da ist auch noch Fiorillas Liebhaber Narciso, welcher das alles überhaupt nicht lustig findet. Unterdessen versöhnen sich auch Zaida und Selim wieder, doch Fiorilla ist nicht gewillt, Selim mit einer Rivalin zu teilen. Der Dichter bekommt ein erstes, turbulentes Finale für seine Komödie.
In einer umwerfend komischen Szene bietet Selim Geronio an, ihm nach türkischem Brauch die Gattin abzukaufen. Geronio seinerseits bietet dem Türken nach italienischem Brauch Prügel an. Der Dichter berichtet von einem Fest, auf dem Fiorilla von Selim entführt werden sollte. Geronio solle dort ebenfalls als Türke verkleidet erscheinen. Narciso hat die Unterhaltung mitgehört und beschliesst, dort ebenfalls als Türke zu erscheinen. Auch Zaida trifft dort verkleidet ein. Nach einigem Drunter und Drüber finden sich die “richtigen” Paare wieder. Doch ist dies nun wirklich ein glückliches Ende, ein lieto fine?

Werk: Il Turco in Italia beinhaltet musikalisch alles, was eine typische Rossini Oper aus dieser äußerst produktiven Schaffensperiode des Komponisten ausmacht: Crescendo Wellen, bravouröse Arien und Kavatinen, spritzige Ensembles, witzige und rasante Duette, turbulente Finali - alles geprägt von grosser melodiöser Eingebungskraft und untrüglichem Sinn für theatralische Effekte.
Wie damals üblich stammen nicht alle Noten aus Rossinis Feder, einiges überliess der Vielschreiber Mitarbeitern und Schülern. Für spätere Wiederaufnahmen wurden Szenen gestrichen oder neu eingefügt, den Sängern Arien auf den Leib geschrieben. Die Oper erschien bis Mitte des 19. Jahrhunderts recht häufig auf den Spielplänen der Opernhäuser, geriet danach aber zusehends in Vergessenheit, bis 1950 das Teatro Eliseo das Werk unter Gianandrea Gavazzeni und mit Maria Callas als Fiorilla und Cesare Valletti als Narciso herausbrachte. In jüngerer Zeit erhielten die Produktionen aus Genf, mit Catherine Malfitano und aus Zürich mit Cecilia Bartoli viel Beachtung.

Dienstag, 22. Dezember 2009

Berlin, Philharmonie: EIN DEUTSCHES REQUIEM, 19.12.2009



Mancher Besucher mag sich gefragt haben, weshalb die Berliner Philharmoniker so kurz vor Weihnachten ein Requiem aufs Programm setzten. Doch wenn man dann tief ergriffen hört, wie viel Trost und Hoffnung für trauernde Hinterbliebene das Werk ausstrahlt, erübrigen sich solch banale Fragen. Überwältigend war der Anblick des an die 200 Sängerinnen und Sänger starken Atlanta Symphony Orchestra Chorus. Doch die Homogenität und die äusserst subtile Klanggestaltung, die klare und genaue Diktion und die saubere Intonation verhinderten undifferenzierte Klangmassierungen. Dirigent Donald Runnicles (der neue Chef der Deutschen Oper Berlin) baute das Werk klug und zurückhaltend auf und erreichte dadurch mit den Steigerungen und Fortissimo Ausbrüchen ungemein starke, unter die Haut gehende Wirkungen, auch bei nicht religiösen Zuhörern. Als Gesangssolisten setzten Gerald Finley (Bariton) und Helena Juntonen (Sopran) weitere berührende Höhepunkte. Die Berliner Philharmoniker waren einmal mehr ganz grosse Klasse.

Leider war der erste Teil des Konzerts eher enttäuschend: Die Uraufführung von Sebastian Curriers Harfenkonzert TRACES, einem Auftragswerk der Berliner Philharmoniker. Die Musik war zwar stellenweise von ätherischer Schönheit, die Harfenisten Marie-Pierre Langlamet entlockte den Saiten ihres wunderbaren Instruments zauberhafte Klänge- und doch tat sich in den fünf Sätzen nichts Überraschendes, Aufregendes. Musik zum Einschlafen, mehr nicht. Der erste und der vierte Satz hätten gereicht.

Sonntag, 13. Dezember 2009

Zürich: WALTRAUD MEIER, Liedmatinée, Sonntag, 13. Dezember 2009



Unangeklopft ein Herr tritt abends bei mir ein: "Ich habe die Ehr', Ihr Rezensent zu sein!":
So beginnt das Lied ABSCHIED von Hugo Wolf (Text: Mörike), welches Kammersängerin Waltraud Meier als humoristische, abschliessende Zugabe heute Morgen im Opernhaus Zürich sang. Der Rezensent im Lied wird zum Schluss mit einem Fusstritt von der Künstlerin die Treppe hinunterbefördert - dieses Schicksal wird mir hoffentlich erspart bleiben. Ich will mich ja zum Glück auch gar nicht über ihre Nase auslassen, wie der unglückselige Mann im Lied, sondern über Frau Meiers phänomenale, warme Stimme und ihre überragende Gestaltungskunst.
Wie auf ihrer kürzlich erschienenen, hochgelobten CD sang die Künstlerin Perlen des deutschen Kunstlieds von Franz Schubert und Richard Strauss.
Franz Schubert: Von erfüllter Zartheit gesungen und innig gestaltet waren WEHMUT und NACHTSTÜCK, mit dramatischer, die drei Rollen Vater, Kind, Erlkönig wunderbar auslotender, aber nie manierieter Ausdruckskraft dann das Minidrama ERLKÖNIG, und von traurig verträumter Rückbesinnung zu schierer Verzweiflung alle Nuancen der Stimmung durchschreitend GRETCHEN AM SPINNRADE. Dazwischen nahm man mitfühlend am traurigen Schicksal der FORELLE Anteil.
Richard Strauss: Jubelnd und leuchtend trieb Waltraud Meier ihre Stimme zu den herrlich aufblühenden Spitzentönen in den Liedern (und echten Hits des Liedrepertoires...) CÄCILIE, BEFREIT und ZUEIGNUNG; wunderbar verhalten und mit wie selbstverständlich aus dem Text herausströmenden, facettenreichen Schattierungen dann die Lieder WINTERWEIHE, WIE SOLLTEN WIR GEHEIM SIE HALTEN und  DIE NACHT. Der Höhepunkt des ersten Teils war das Lied MORGEN: Der Pianist JOSEF BREINL setzte mit wunderbar sanftem, behutsamem Anschlag zum Vorspiel an, die Stimme von Frau Meier und der herrlich weiche Klang des Flügels verschmolzen zu tief empfundener Melancholie.

Der zweite Teil des Rezitals war den vier lezten Liedern (op. 150) von Richard Strauss gewidmet, in der Klavierfassung von Max Wolf und Ernst Roth. JOSEPH BREINL verstand es aufs Vortrefflichste, die Natur- und Stimmungsschilderungen (von den Regentropfen über die schwirrnden Lerchen bis zum Schweben der Seele in den Himmel) auf dem Flügel zu evozieren, so dass man die Orchesterfassung, an welche sich das Ohr im Verlauf der Jahre gewöhnt hatte, gar nicht vermisste. Vom schwülstigem FRÜHLING und dem schwermütigen  SEPTEMBER zu den wohl schönsten Kompositionen von Strauss, BEIM SCHLAFENGEHEN (alle auf Texte von Hermann Hesse) und IM ABEBDROT (Joseph von Eichendorff) wartete Waltraud Meier mit gefühlstiefer Ausdrucks- und Gestaltungskraft, verbunden mit exemplarischer Phrasierungskunst auf. Das Publikum dankte den beiden Künstlern mit einer Standing Ovation, sie bedankten sich beim Publikum neben der schon erwähnten Zugabe noch mit einem zweiten Lied von Hugo Wolf und einer zu Herzen gehenden Wiedergabe von Mahlers ICH BIN DER WELT ABHANDEN GEKOMMEN aus den Rückert Liedern.

Für oper-aktuell: Kaspar Sannemann, 13. Dezember 2009

Samstag, 12. Dezember 2009

Zürich: DIE FRAU OHNE SCHATTEN, 13.12.209


Alle Fotos: suzanne schwiertz, mit freundlicher Genehmigung opernhaus Zürich

Premiere: 13. Dezember 2009
Oper in drei Akten
Musik: Richard Strauss
Text: Hugo von Hofmannsthal
Uraufführung: 10. Oktober 1919 in Wien
Aufführungen in Zürich:
13.12. | 16.12. | 19.12. | 22.12. | 26.12.2009 | 3.1. | 9.1. 2010
Infos und Karten
Kritik:

Bis weit in den dritten Akt hinein war man gestern Abend in Zürich überzeugt, eine der stringentesten, dramaturgisch schlüssigsten Inszenierungen von Richard Strauss’ komplexer Oper DIE FRAU OHNE SCHATTEN erleben zu dürfen. Doch leider wartete das Inszenierungsteam (Regie: David Pountney, Bühne: Robert Israel, Kostüme: Marie-Jeanne Lecca) mit einem unsäglichen Schlussbild auf, einer Mischung aus Kindergeburtstagsfest und und Religionskitsch. Selbst die böse Tante Amme kommt mit dem grossen Suppentopf zur Speisung der 5000 (oder so). Schon zu Beginn des dritten Aktes, als die beiden Paare in Mänteln (welche halb Röntgenbild, halb Turiner Grabtuch darstellten) ihre Prüfungen durchleiden mussten, fragte man sich, welche Kostüme wohl darunter verborgen sein werden. Nun, das Ablegen der Mäntel hätte man dem Publikum ersparen können, die zum Vorschein kommenden Alltagskleider waren an Grässlichkeit nicht mehr zu überbieten. Mit der Holzhammermethode und desillusionierender Bühne (ziemlich ausgelutschter Effekt) wollte Pountney wohl den Zuschauern klarmachen, dass er das wertkonservative, reaktionäre Weltbild, welches Strauss und Hofmannsthal in der Oper propagieren, nicht teilt, sondern dass alle Menschen in ihrem Streben nach Glück und Fortpflanzung gleich, die Klassenunterschiede aufgehoben sind.
Von solcher Überzeichnung war in den ersten beiden Akten nichts zu spüren, sie lebten von einer spannenden, ganz aus dem Text heraus entwickelten Personenregie. Die Geisterwelt war mit vielen Assoziationen an den Surrealismus eines Max Ernst und an die gefiederte Fauna ausgestattet, das in einem habsburgischen Ambiente lebende Kaiserpaar huldigte der Jagd und dem Luxus, während die einfachen Färbersleute in ihrem Betrieb auf Kinderarbeit angewiesen waren, um über die Runden zu kommen. Sehr anschaulich dargestellt wurde dann die Konfrontation der in ihrer Scheinwelt lebenden Kaiserin mit den einfachen Verhältnissen, in welchen die Menschen der unteren Schichten zu existieren hatten. Eindringlich zeigte sie ihr sich stetig weiter entwickelndes Mitgefühl, während die Amme ihren verächtlichen Ekel vor dieser Armut, aus der sie wohl einst selbst aufgestiegen war, kaum verhehlen konnte. Hier wurden eindringlich angelegte Charakterstudien entworfen. Beklemmend auch die Darstellung der Färberin, ihr Widerwille gegen eigene Kinder, deren potentielles, tristes Schicksal sie in der grandiosen Fischlein-Szene voraussah, ihre Verführbarkeit durch billigen Varieté-Klamauk.
Dieser falsche Tand und die heuchlerischen Wahrsagungen der Amme hatten gegen die aufkeimende Empathie der Kaiserin keine Chance, vor den Augen des von der Amme vergebens zu Hilfe gerufenen Geisterboten obsiegte die Liebe, und der trügerische Zauber löste sich in einer gegen ihn gerichteten, äusserst bühnenwirksamen Implosion auf. In einer zerstörten, nahezu versteinerten Welt begannen dann die Prüfungen des dritten Aktes.
Drei der fünf Protagonisten wagten sich an diesem Abend an ein Rollendebüt: Birgit Remmert war eine durch eindringliche Mimik und ausdrucksstarken Gesang beängstigend heimtückische Amme. Die lange Vorbereitungszeit, welche sie in das Studium dieser rätselhaften Gestalt investiert hatte, hat sich gelohnt. Hier reift eine der grossen Darstellerinnen dieser ungemein schwierig zu interpretierenden Rolle heran.



Roberto Saccà beeindruckte in der hohen Tessitura des Kaisers mit wunderbar weichem Tonansatz, schmeichelnder Höhe und belcantistischer Phrasierung. Wohl vermochte sich sein heller Tenor nicht immer restlos gegen die Klangwogen durchzusetzen, doch ist diese auf runder Tongebung basierende Gestaltung einem forcierten Hochstemmen bei weitem vorzuziehen. Dem Gutmenschen Barak hat Strauss die einschmeichelndsten Melodien überlassen, Michael Volle kostete sie mit seinem warmen, differenziert eingesetzten, satten Bariton aufs Wunderbarste aus. Er scheint über unendlichen Atem für die zum Teil langen (und vom Dirigenten auch in getragenen Tempi dirigierten) Phrasen zu verfügen. Herr Volle zeigte einfühlsam, wie dieser sanftmütige Mann unter der ständigen Zurückweisung durch seine Frau leidet, wie dieser Leidensdruck schliesslich kaum mehr auszuhalten ist und in brutale Aggression umzuschlagen droht.
Bewährte Interpretinnen ihrer Rollen sind Emily Magee als Kaiserin und Janice Baird als Färberin. Frau Magee gestaltete die Menschwerdung der Kaiserin, welche in ihrer wunderschönen Szene Vater bist du’s gipfelt, dermassen ergreifend, dass dem Rezensenten die Superlative zu fehlen drohen. Sowohl mit zarten, warmen, als auch mit herrlich an- und abschwellenden, gleissenden Tönen wurde diese Frau gleich Parsifal „durch Mitleid wissend“.
Die mit ihrem ausweglos scheinenden, tristen Schicksal hadernde Färberin wurde von Janice Baird aufwühlend gestaltet. Ihre Stimme kann zwar schneidend klingen, wird aber nie schrill oder keifend. Die widersprüchlichen Gefühlsregungen dieser leidgeprüften Frau liessen sich in ihrem Gesicht wie in einem offenen Buch ablesen. Ihr gelang eine darstellerisch und gesanglich überaus reife Leistung. Im letzten Akt vereinigten sich die (räumlich noch getrennten) Stimmen von Michael Volle und Janice Baird zu einem der fesselndsten Augenblicke des grandiosen Abends.


Luxuriös besetzt waren die Dienerinnen/Kinderstimmen mit den Damen Guo, Olvera, Friedli, Schlosser, Lehmkuhl (auch als Stimme von oben) und Grobholz. Sandra Trattnigg lieh dem Falken und dem Hüter der Schwelle ihre schöne Sopranstimme, während Beate Vollack virtuos die akrobatischen Aktionen des treuen Vogels ausführte. Reinhard Mayr war ein solider Geisterbote auf Stelzen, Valeriy Murga, Andreas Hörl und Martin Zysset verliehen Baraks Brüdern Profil, Peter Sonn gelang als Erscheinung des Jünglings beinahe die Verführung der Färberin.
Das Orchester der Oper Zürich durfte noch einmal eine Neueinstudierung unter seinem ehemaligen GMD, Franz Welser-Möst, präsentieren. Der beinahe unerschöpfliche Farbenreichtum der schwierigen Partitur erklang trotz aller Klangmassierungen stets transparent, wurde nie zu einem nur lärmig breiigen Chaos, die kammermusikalischen Kostbarkeiten wurden von den Solistinnen und Solisten des Orchesters makellos herausgearbeitet. Einige Passagen, wie z.B. die Schlussszene des ersten Aktes mit den Wächtern der Stadt, waren vom Tempo her etwas zu gedehnt dirigiert, die drei Männer (Bermúdez, Strazanak und Slawinski) fanden so nicht zum geforderten, runden Gesang. Doch insgesamt schuf Maestro Welser-Möst mit dem fantastischen Orchester einen dynamisch fein abgestuften, der nicht unproblematischen Akustik des Hauses angepassten, Kosmos von erfüllenden, auch die gleissenden Dissonanzen nicht scheuenden Klängen.

Fazit:
Mit einer musikalisch auf so hohem Niveau stehenden und szenisch zumindest in den ersten drei Stunden spannungsgeladenen, mitreissenden Aufführung wird einmal mehr klar, dass der Theaterpraktiker Richard Strauss keine Note zuviel geschrieben hat.

Inhalt:
Die Kaiserin, Tochter des Geisterkönigs Keikobad, einst mit der Fähigkeit sich in Tierwesen zu verwandeln ausgestattet, ist in ihrer Ehe mit dem Kaiser kinderlos geblieben, sie wirft keinen Schatten. Ihre Amme, die dem Geisterkönig treu ergeben ist und alles Menschliche hasst, erhält vom Geisterboten die Nachricht, dass der Kaiser versteinern muss, wenn die Kaiserin innert kurzer Frist keinen Schatten wirft. Die Kaiserin erfährt vom drohenden Schicksal ihres Mannes durch dessen Jagdfalken. Sie befiehlt der Amme, ihr einen Schatten zu verschaffen. Gemeinsam begeben sie sich hinunter zu den Menschen, in die ärmliche Behausung des Färbers Barak und dessen Gemahlin. Diese Ehe ist ebenfalls kinderlos, weil die Färberin sich ihrem Mann zusehends verweigert. Die Amme blendet die einfache Färbersfrau mit Zaubertricks, einem schönen Jüngling und Reichtum. Die Färberin schliesst den Pakt mit der Amme und ist bereit, ihren Schatten zu verkaufen. Die Kaiserin versteht den schlimmen Handel, hat Erbarmen mit Barak, aber nicht die Kraft einzuschreiten. Die Situation im Färberhaus eskaliert. Die Färberin kündigt ihrem Mann die eheliche Treue, der eigentlich sanftmütige Barak reagiert vehement. Doch bevor er seiner Frau körperlich zu nahe kommen kann, entgleiten der Amme die Fäden, die Erde öffnet sich und verschlingt das Färberpaar. Kaiserin und Amme können sich gerade noch retten. Nun beginnt die Zeit der Prüfungen: Das Färberpaar gelangt durch die Trennung zur Einsicht gegenseitiger Liebe, die Kaiserin ficht einen inneren Kampf mit sich aus: Einerseits will sie ihren Mann vor dem Versteinern bewahren, andererseits hat sie enormes Mitleid mit den Menschen. Dieses Gefühl ist stärker. Sie stellt sich gegen ihren Vater Keikobad: ICH WILL NICHT, der erste menschliche Schrei, den sie ausstösst, gleich einer gebärenden Mutter. Damit befreit sie Färberin und Färber und rettet ihren Mann. Die Zeit der Prüfungen ist vorbei, die Stimmen der Ungeborenen kündigen an, dass sie nicht mehr lange ungeboren bleiben werden.

Werk:
Mozart (ZAUBERFLÖTE, mit ihren Prüfungen für die beiden Paare), Goethe (das Mephistophelische der Amme) und fernöstliche Symbolik standen Pate für dieses komplexe, in den immensen Anforderungen an Protagonisten, Orchester und Bühne einzigartige Werk. Von Kennern und eingeschworenen Fans wird diese farbenreiche, in ihrer verführerischen Sogwirkung einmalige Partitur salopp „FroSch“ genannt. Strauss setzte ein riesiges Orchester ein, reicherte es mit Glasharfe, Celesta und chinesichen Gongs an. Die Tonalität wird immer wieder aufgebrochen, grelle, Gänsehaut erzeugende Tutti-Effekte wechseln mit beinahe kammermusikalisch zarten Sequenzen.
Obwohl das Werk bereits 1915 beendet war, konnte die Uraufführung wegen der Wirren des ersten Weltkriegs erst 1919 stattfinden.
Musikalische Höhepunkte:
Ist mein Liebster dahin, Kaiserin, Akt I, mit gefürchteter Koloratur
Was wollt ihr hier?, Szene Färberin, Amme, Kaiserin mit dem herrlichen Aufschwung „O Welt in der Welt“ der Färberin
Falke, Falke, du wiedergefundener, Kaiser, Akt II
Es gibt derer, die haben immer Zeit, Färberin, Barak, Amme, Jüngling, Akt II
Sieh, Amme, sieh, Kaiserin, Amme, Akt II
Das Weib ist irre, Finale Akt II
Schweigt doch, ihr Stimmen – Mir anvertraut, Färberin, Barak, Akt III
Vater bist du' s?, Kaiserin, Akt III
Wenn das Herz aus Kristall - Nun will ich jubeln, Finale, Akt III. Kaiser, Kaiserin, Färber, Färberin, Stimmen der Ungeborenen

Für oper-aktuell: Kaspar Sannemann, 14. Dezember 2009

Sonntag, 6. Dezember 2009

Luzern: L'heure espagnole/Ariane, 10.12.2009



  
copyright der Bilder: luzerner theater


L'heure espagnole
Oper in einem Akt
Musik: Maurice Ravel
Text: Franc Nohain
Uraufführung: 19. Mai 1911 in Paris


Ariane
Oper in einem Akt
Musik: Bohuslav Martinů
Text: vom Komponisten, nach einem Theaterstück von Georges Neveux
Uraufführung: 2. März 1961 in Gelsenkirchen
Vorstellungen in Luzern:
10.12. | 20.12 | 23.12. | 26.12. | 30.12.2009 | 3.1. | 6.1. | 8.1.2010




Kritik:

Und wieder beweist das Luzerner Theater, dass es zu den innovativeren Häusern der Schweiz, ja des deutschsprachigen Raums gehört:
Zwei Frauen auf der Suche nach Erfüllung in der Liebe: Dies ist die Klammer, welche die beiden Einakter zusammenhält. Die eine Frau, Concepción, sucht sie im sexuellen Seitensprung, die andere, Ariane, strebt eine Erhöhung ihrer Gefühle durch – beinahe wagnerische – Entsagung an.
Bei Maurice Ravel wird das Streben der Frau sehr naturalistisch geschildert, als eine Komödie im Stil der Commedia dell'arte, bei Bohuslav Martinů wirkt die Aktion tiefenpsychologisch stilisiert.
Die Regisseurin Christine Cyris und der Bühnenbilder Werner Hutterli haben die beiden Werke raffiniert und intelligent miteinander verbunden. Die grossen Pendel der Uhren im Geschäft des Uhrmachers Torquemada werden für Ariane quasi umgedreht, werden zu unerbittlich schlagenden, an Schiffchen im Ozean erinnernde Pendel von Metronomen. Silvana Arnold hat die zu den Geschichten passende Farbdramturgie in den Kostümen beigesteuert: Rottöne für die Leidenschaften bei Ravels Oper, kalte Blautöne für die beinahe ätherisch wirkende Ariane in Martinůs Werk. Die trotz aller Unterschiedlichkeit im Handeln existierende Verbundenheit der beiden Protagonistinnen wird immer wieder sichtbar gemacht. So treten beide gemeinsam zu Beginn des Abends auf, Ariane zieht Concepción weg von den oberflächlichen Männern und hinein in ihre vergeistigte Welt.

Der zweite Teil des Abends, Martinůs ARIANE, wirkt erstaunlicherweise in Luzern insgesamt spannender und intensiver, während Ravels Buffa nicht so recht vom Fleck kommt. Vielleicht liegt es an der doch zu spärlichen Ausstattung, mit welcher man unbedingt einer verstaubt wirkenden Schwankhaftigkeit entgehen wollte. Der Verzicht auf jegliche Requisiten – mit Ausnahme eines wirklich überflüssigen Kickboards für den Maultiertreiber Ramiro – führt bei den Darstellern zu einer gewissen Steifheit. Die grosse Ausnahme ist Caroline Vitale als ungemein präsente Concepción: Ihre ausdrucksstarke Mimik gepaart mit ihrem voll klingenden, auch hysterische Schärfen nicht kaschierenden Mezzo, führt zu einem überzeugenden Rollenporträt. Die Männer haben bei diesem Vollblutweib einen schweren Stand: Jason Kim (Gonzalve) ergeht sich in schöngeistigen, mit tenoralem Schmelz vorgetragenen hohlen Phrasen, Utuku Kuzuluk ist der gehörnte, farblose Ehemann, der dies aber nicht zu merken scheint und aus der ganzen Situation noch Profit schlägt, Tobias Hächler singt überzeugend den naiven Ramiro, im Spiel wirkt er relativ verhalten, ebenso Flurin Caduff als reicher Machtmensch Don Inigo. Immerhin neigen die Darsteller nicht zum Chargieren, was dann auch wieder wohltuend ist. Doch einmal mehr zeigt sich, wie unendlich schwierig es sein kann, eine Komödie in Szene zu setzen. Viel Witz kommt jedoch aus dem Orchestergraben: Rick Stengårds und das Luzerner Sinfonieorchester meistern die auch rhythmisch farbige und flimmernde Partitur mit Esprit und Delikatesse. Nach der Pause leiten die Musiker dann ebenso prägnant die im neoklassizistischen Duktus komponierte ARIANE ein: Hier sind grossartige Details in der Personenführung zu erleben – die zarte Annäherung zwischen Ariane und Theseus, die gespaltene Persönlichkeit des Theseus mit dem Minotaurus als Alter Ego (beinahe unheimlich präsent Boris Petronje), das kurze Liebesspiel von Ariane und Theseus im Intermezzo, die (in leichter, aber sinnvoller Abänderung gegenüber dem Libretto) Ermordung des Minotaurus durch Ariane, das Schwanken – gleich einem Metronom – der Ariane zwischen Minotaurus und Theseus.
Madelaine Wibom meistert die anspruchsvolle Titelpartie mit herrlich zarten, anrührenden und mit zauberhaftem Vibrato umflorten Phrasen. Ihr grosses Lamento am Schluss ist von zu Tränen rührender, schwebender Zärtlichkeit erfüllt. Mit seinem markanten Bariton und seinem blendenden Aussehen gibt Tobias Hächler einen beeindruckenden Theseus.
Jason Kim (Burun), Utku Kuzuluk (hervorragend als Wächter!) und Flurin Caduff komplettieren das vorzügliche Ensemble, welches am Ende des Premierenabends zu Recht vom Publikum heftig gefeiert wurde.
Fazit:
Allein schon wegen der ARIANE lohnt sich die Reise nach Luzern: Der Beitrag des Luzerner Theaters zum 50. Todestag von Bohuslav Martinů ist eine echte Entdeckung!
Inhalte und Werke:
L'heure espagnole:
Concepción, die Frau des Uhrmachers Torquemada in Toledo, benutzt die wöchentliche Abwesenheit ihres Mannes, welcher die Rathausuhren kontrollieren muss, um ihre Liebhaber zu empfangen. Doch weder der Dichter Gonzalve, noch der fettleibige Bankier Don Inigo kommen wie erhofft zum Zuge, sondern ausgerechnet der Maultiertreiber Ramiro, dessen Qualitäten Concepción erst im Verlauf des turbulenten Geschehens entdeckt. Der zurückkehrende Ehemann macht mit den gescheiterten Liebhabern lukrative Geschäfte.
Ravel, der Komponist des weltberühmten BOLノRO, schrieb über seinen Einakter:
Der Geist des Werkes ist uneingeschränkt humoristisch. Es ist vor allem die Musik, die Harmonie, der Rhythmus, die Orchestrierung, wodurch ich die Ironie zum Ausdruck bringen wollte, und nicht, wie in der Operette, die willkürliche, übertriebene Wörterhäufung.“
Und tatsächlich ist die Instrumentation dieser Preziose von einer genialen Raffinesse: Bläsertriller, ein Tubasolo, Xylophonklänge, Flageoletts und Tremoli der Streicher, schnelle Wechsel zwischen gestrichenen und gezupften Saiten – und dies alles gepaart mit an spanische Volkstänze angelehnte Rhythmen, wie Habanera und Malgueña.
Ariane:
Das Werk schildert die Begegnung von Ariadne mit dem Held Theseus, ihre gegenseitige Liebesbeziehung, die Tötung des Minotaurus durch Theseus und die Klage der von Theseus verlassenen Ariadne, welche auf einer einsamen Insel auf ihren Tod wartet.
Martinů, durch die vokale Darstellungskunst von Maria Callas angeregt, beendet seinen Einakter mit einem gross angelegten Sopran-Lamento, welches ungefähr einen Fünftel der Spieldauer des Einakters einnimmt. Ihn interessierte vor allem die psychoanalytische Sicht auf die beiden Protagonisten. So ist der Minotaurus das empfindsamere ICH des Helden Theseus, der mit der Tötung des Minotaurus diesen Teil seiner Persönlichkeit von sich abspaltet und damit seiner Liebe entsagt. Für die Komposition hat Martinů, ähnlich wie Strawinsky bei THE RAKE'S PROGRESS, auf neobarocke und neoklassizistische Modelle und eine lyrische Klangsprache wie bei der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts zurückgegriffen.
Seit Monteverdis ARIANNA von 1608 gehört der Stoff zu den häufigsten Quellen für Opernkompositionen: Händel, Massenet, Richard Strauss (ARIADNE AUF NAXOS), Darius Milhaud und in neuerer Zeit Alexander Goehr und Wolfgang Rihm (DREI FRAUEN, zur Zeit in Basel zu erleben) haben sich mit dem Mythos befasst.