Sonntag, 1. November 2009

Zürich: RAYMONDA, 31.10.2009


Ballett in drei Akten (in Zürich zwei Akte, vier Bilder)
Musik: Alexander Glasunow
Choreograph der Uraufführung: Marius Petipa
Uraufführung: 7. Januar 1898 in St. Petersburg
Aufführungen in Zürich:
31.10.| 1.11. | 7.11. | 8.11. | 14.11.| 15.11. | 25.11. 2009 | 10.3. | 14.3. | 18.6. 2010
Infos und Karten

Kritik:
Einmal mehr verzaubert Heinz Spoerlis Balletttruppe durch ihre Vielseitigkeit, ihre Perfektion und und ihre unglaubliche Musikalität. Eben noch begeisterten die Tänzerinnen und Tänzer mit Choreographien von Twyla Tharp und Hans van Manen, nun beweisen sie sich in einem der grossen Klassiker des spätromantischen Repertoires, Glasunows RAYMONDA.
Heinz Spoerli hat die Geschichte von den pantomimischen, heutzutage wahrscheinlich peinlich wirkenden Zutaten entschlackt. Er legt den Fokus überzeugend auf die Geschichte eines Teenagers, welcher durch die Entdeckung der Liebe und der Erotik quasi über Nacht zur jungen Frau reift. Die umjubelte junge Primaballerina Aliya Tanykpayeva ist Raymonda, sie ist dieser zu Beginn kichernde Backfisch, welcher am Ende des Abends Begehren und sexuelles Verlangen durch den Sarazenen Abderachman erfahren und dann doch (vorläufig …) in den starken Armen des Ritters Jean de Brienne Sicherheit gefunden hat. Von ätherischer Leichtigkeit durchflutet ist ihr erstes Solo, das Pizzicato, so wundervoll funkelnd begleitet von Harfe und Flöte. Hin- und hergerissen zwischen den beiden starken Männern zeigt sie sich im zweiten Bild, im grossen Adagio, einem Pas de trois, diesmal wunderbar einschmeichelnd begeitet von der Solovioline. Als ihr tänzerischer Höhepunkt und pièce de résistance dann gegen Ende des grandiosen Abends die von zarter Wehmut erfüllte 5. Variation, mit perfekter Fussarbeit brillant auf der Spitze getanzt. Das umstrittene Händklatschen wurde nur einmal leicht angedeutet. Diese junge Tänzerin hat begeistert und in Erstaunen versetzt. Es ist ein grosses Glück, sie im Zürcher Ballett erleben zu dürfen.

Stanislav Jermakov als Jean de Brienne war ihr ein sicherer Partner. Dadurch, dass Spoerli jedoch den Sarazenen Abderachman (Vahe Martirosyan) viel früher als gewohnt ins Spiel bringt und dessen Rolle aufwertet, muss Jermakov gegen die Virilität und die starke erotische Ausstrahlung des Sarazenen auf beinahe verlorenem Posten ankämpfen. Erst in seinem grossen Solo nach dem Pas hongrois kann er zeigen, dass seine Sprünge ebenso raumgreifend und kraftvoll sind wie jene von Vahe Martirosyan. Und doch versteht man, dass Raymonda von Abderachman, von dessen offen zur Schau gestellter Erotik, welche leicht in fordernde Brutalität kippen könnte, mehr und mehr angezogen wird. Da Abderachman beim Duell nur verwundet wird, bleibt offen, ob die Beziehung mit Jean eine von Dauer sein wird. Auch dadurch wirkt Spoerlis kluge Arbeit wieder sehr zeitgemäss. Aufgewertet hat Spoerli auch die Rollen der Freunde Raymondas. Kein Wunder angesichts der Tatsache, dass er zwei so erstklassige Tänzer wie Arsen Mehrabyan (Bernard) und Arman Grigoryan (Béranger) mit ihren ebenfalls hervorragenden Partnerinnen Vittoria Valerio (Clémence) und Galina Mihaylova (Henriette) zur Verfügung hat. Sarah-Jane Brodbeck verleiht der weissen Dame wunderbar das sie umgebende Geheimnisvolle, Schwebende. Die spannend, virtuos und abwechslungsreich choreographierten Walzerszenen und die mit selbstverständlicher Perfektion vom herausragenden Corps dargebotenen ungarischen Tänze und Galops sind weitere Höhepunkte dieses durch und durch stimmigen Abends. Unterstrichen wird die Handlung durch die in dezenten Farben gehaltenen Kostüme und das unaufdringliche, liebevolle Bühnenbild von Luisa Spinatelli.

Aber nicht nur was auf der Bühne abläuft ist Weltklasse. Ebenso grosse Aufmerksamkeit verdient das Orchester der Oper Zürich unter Michail Jurowski, der mit diesem Dirigat einen begeisternden Einstand in Zürich gibt. Wie der Dirigent mit der farbenreichen Musik mitlebt, ihr schwärmerisches, melancholisches und mitreissendes Potential herausarbeitet, die Kantilenen wunderbar warm fliessen lässt, seine Begeisterung direkt auf die in allen Instrumentengruppen herausragend spielenden MusikerInnen überträgt, ist einmalig. Hoffentlich wird diesem Maestro bald einmal die Einstudierung einer Oper in Zürich anvertraut.
Fazit:
Ein romantisches Handlungsballett in der meisterhaften Handschrift von Heinz Spoerli, hinreissend und mit überragender Virtuosität dargeboten vom Zürcher Ballett und phänomenal begleitet vom Orchester der Oper Zürich unter Michail Jurowski.
Inhalt:
Eine junge Frau (Raymonda) entdeckt die Liebe: Obwohl sie mit dem Ritter Jean de Brienne verlobt ist, fühlt sie sich während dessen kriegsbedingter Abwesenheit zum sarazenischen Fürsten Abderachman hingezogen. Traumwelt und reale Wunschvorstellungen vermischen sich. Eine geheimnisvolle „Weisse Dame“ bewirkt einen Zweikampf zwischen den beiden um Raymonda werbenden Männer. Der Sarazene wird dabei verwundet. Im Beisein des ungarischen Königs findet die prunkvolle Hochzeit zwischen Raymonda und Jean de Brienne statt.
Komponist und Werk:
Alexander Glasunow (1865 – 1936) war ein bedeutender russischer Symphoniker. Sehr bekannt ist auch sein Violinkonzert. Seine Kompositionen zeichnen sich durch souveräne Beherrschung der Kompositionstechnik und einen gewissen Hang zum Pathos aus.
RAYMONDA entstand in Zusammenarbeit mit dem grossen Choreographen Marius Petipa. Es steht ganz in der Tradition der grossen romantischen Handlungsballette Tschaikowskys. Die weit gehend sinfonisch gehaltene Partitur wird durch sarazenische und ungarische Charaktertänze aufgelockert. Die Titelrolle zählt zu den schwierigsten des klassischen Repertoires.
RAYMONDA war u.a. 1971/72 in Zürich zu sehen, mit Marcia Haydée und in der Choreographie von Rudolf Nueyev, der auch den Jean de Brienne tanzte, in einer der teuersten Ausstattungen (Nikolas Georgiadis) aller Zeiten für ein Ballett.
Für art-tv und oper-aktuell: © Kaspar Sannemann, 31.Oktober 2009

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