Mittwoch, 11. November 2009

Zürich: Galaabend 175 Jahre Opernhaus (Actientheater), 10.11.2009


Am 10. November 1834, vor genau 175 Jahren, wurde das Zürcher Actientheater mit Mozarts ZAUBERFLÖTE eröffnet. Mutige Zürcher Bürger aus verschiedensten weltanschaulichen Richtungen hatten dieses Theater, das im ehemaligen Barfüsserkloster an den Unteren Zäunen seinen Platz gefunden hatte, im zwinglianischen Zürich ins Leben gerufen, ein Unterfangen nicht ohne Risiko. Bis heute - und das ist europaweit wohl einmalig - wird dieses Haus durch seine wechselvolle Geschichte hindurch von den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt, dieses Kantons getragen, wird es an der Urne regelmässig unterstützt, so beim grossen Umbau (welcher auch zu den Opernhauskrawallen und damit im Nachhinein zur verstärkten Förderung der Alternativkultur führte) oder bei der Kantonalisierung. Deshalb ist die Gravur in der Fassade des Hauses Durch Bürgergunst geweiht der Kunst mehr als stimmig.
Zudem spielt das Haus - auch das im europäischen Vergleich einzigartig - ungefähr 45% seines jährlichen Budgets selbst ein, sei es an der Kasse oder durch Sponsoring. Heute steht das Haus zwar auf 1800 Pfählen am Seeufer (1890, nach dem Theaterbrand des alten Hauses in Rekordtempo aufgebaut), aber doch dank der Kantonalisierung auf ziemlich gesichertem finanziellem Fundament.
Der Zürcher Regierungsrat in corpore, ein Bundesrat und weitere mehr oder weniger Prominente füllten gestern Abend das Opernhaus anlässlich dieser Galavorstellung. Sämtliche Künstlerinnen und Künstler verzichteten auf die Gagen zugunsten der Nachwuchsförderung, welche in Zürich mit dem Internationalen Opernstudio, der Orcheterakademie und der Ballettakademie grosse Beachtung findet. Hausherr Alexander Pereira rechnet mit Einnahmen von rund SFR 300'000 an diesem Abend.
Viele Sängerinnen und Sänger, welche dem Opernhaus zum Teil seit Jahrzehnten treu verbunden sind, gaben sich die Ehre. Nach den Begrüssungsworten durch den Verwaltungsratspräsidenten Josef Estermann und der launigen, informativ-humorvollen Rede der Regierungsratspräsidenten Regine Aeppli begann der Abend musikalisch mit der Ouvertüre zu Mozarts NOZZE DI FIGARO - und mit dem Finale des 2. Aktes aus eben dieser Oper endete er dann auch - alle Beteiligten versammelten sich anschliessend noch auf der Bühne zum Feuerstrom der Reben aus der FLEDERMAUS.
Die eindrücklichsten musikalischen Erlebnisse waren Matti Salminens Auftritt mit dem grossen Monolog aus BORIS GODUNOW. Seit beinahe vier Jahrzehnten gehört der finnische Bass zum Zürcher Haus. Als Boris setzt er immer noch Massstäbe. Agnes Baltsa kam 1976 erstmals nach Zürich, geholt vom damaligen unvergessenen Intendanten Claus Helmut Drese. Die Baltsa und Neil Shicoff spielten und sangen beinahe den gesamten 4. Akt aus CARMEN, immer noch ist die Baltsa ein begeisterndes Bühnentier. Auch Shicoff zeigte sich an diesem Abend in stimmlich hervorragender Verfassung.
Ein anderer Zürcher Liebling, José Cura, durfte den Hit Nessun dorma aus TURANDOT in den Saal schmettern. Er tat dies mit dem Charme des Latin Lovers und seinen humoristischen Einlagen, welche allerdings nicht alle im Saal für angebracht hielten.
Jünger, aber mit ebensoviel Charme und unbeschwerter Freude am Singen dann der neue Stern am Tenorhimmel, Vittorio Grigolo: Er sang zwei Arien aus RIGOLETTO, das La donna è mobile mit kraftvollem hohem H, wenn auch etwas kurz gehalten für einen Galaabend.
Michael Volle begeisterte mit der so genannten Champagner-Arie aus DON GIOVANNI und im starken Zürcher Mozart Ensemble als Graf zusammen mit Judith Schmid (Cherubino), Ruben Drole (Figaro), Malin Hartelius (neben der Gräfin sang sie auch noch eine berührende Arie der Pamina) und Isabel Rey als quirliger Susanna. Frau Rey bot auch einen beschwingten Musetta Walzer aus Puccinis LA BOHÈME dar, obwohl sie dabei von Vladimir Fedoseyews Dirigat am Pult des - ansonsten gut aufspielenden Orchesters - etwas im Stich gelassen wurde. Weitere Lieblinge des Zürcher Publikums (Emily Magee, Elena Mosuc und Juan Pons) glänzten mit Szenen aus TOSCA und RIGOLETTO, der prächtig auftrumpfende Chor des Opernhauses mit Va, pensiero aus NABUCCO.
Vor der Pause folgte dann noch das Schlussbild aus dem Ballett RAYMONDA, ein Werk, das gegenwärtig auf dem Spielplan steht und das man nicht verpassen sollte.
Hausherr Alexander Pereira führte mit sympathischer Nervosität und selbstironisch kommentierten Patzern durch den über dreistündigen Abend.
Ein grosses Kompliment gebührt den GestalterInnen und AutorInnen der Festschrift. Zu Recht wird darin auf die zahlreichen Uraufführungen hingewiesen, welche in Zürich über die Bühne gingen. Und hier muss ich auch eine leise Kritik anfügen: Aus keinem dieser wichtigen Werke war an diesem Abend etwas zu hören, kein Sutermeister, kein Busoni, kein Alban Berg, kein Schönberg, kein Klebe, kein Hindemith, kein Holliger oder Kelterborn oder - aus jüngerer Zeit Rushton. Das ist ausserordentlich zu bedauern. Wird das Zürcher Publikum denn für dermassen beschränkt gehalten, dass man ihm anlässlich einer Gala nur Werke von Mozart bis Puccini zumuten kann? Und wenn ja, dann hätte sich wenigstens eine der in Zürich uraufgeführten Operetten von Stolz, Léhar, Oscar Straus oder Victor Reinshagen als Zückerchen angeboten ...
Nicht einmal die in den letzten Jahren so erfolgreich gepflegte Händel Renaissance erfuhr eine Würdigung. Falls sich keiner der Stars zu einer Szene aus einer Oper des 20. oder 21. Jahrhunderts hätte überreden lassen, wäre dies die Möglichkeit gewesen, jemanden aus dem Opernstudio damit zu betrauen. Diese Chance wurde leider vertan.

Für oper-aktuell: Kaspar Sannemann, 11. November 2009

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

La donna è mobile mit einem hohen C ???

Operalover hat gesagt…

Danke für den Hinweis, es war natürlich ein H