Sonntag, 25. Oktober 2009

St.Gallen: MEDEA IN CORINTO, 24.10.2009






Melodramma tragico in zwei Akten
Musik: Giovanni Simone Mayr
Libretto: Felice Romani
Uraufführung: 28. November 1813 in Neapel
Aufführungen in St.Gallen: 24.10. | 28.10. | 1.11. | 6.11. | 16.11. | 20.11. | 22.11. | 24.11. | 13.12. | 20.12. | 29.12.2009 | 20.1. 2010


Infos und Karten

Kritik:
Besuchte Vorstellung: 24. Oktober 2009
Die Musik- und Opernfreunde können dem Theater St.Gallen nicht dankbar genug sein für diese Ausgrabung eines zu Unrecht viel zu selten gespielten Werkes. Diese MEDEA IN CORINTO von Giovanni Simone Mayr hat nicht nur musikalisch einiges zu bieten, das Werk ist auch musikhistorisch äusserst interessant, steht es doch an der Schwelle von der Klassik zur Romantik, setzt die Errungenschaften der Vergangenheit gekonnt ein und besitzt darüber hinaus weit in die Zukunft weisende Qualitäten mit der Vorwegnahme von Elementen der Schauerromantik, dem Einbezug subtiler Orchesterfarben und gross angelegter, durchkomponierter Szenen. Das Sinfonieorchester St.Gallen unter der souveränen Leitung von David Stern gestaltet diese Musik wunderbar plastisch, mit grossem Atem und wo nötig zupackender Dramatik werden sowohl die Eigenständigkeit des Orchestersatzes betont als auch der herausragende Chor des Theaters St.Gallen und das exzellente Sängerensemble einfühlsam begleitet. Und diese Sängerinnen und Sänger haben es wahrlich in sich: Elzbieta Szmytka (sie hat bereits in Bern als Medea von Cherubini für Furore gesorgt) ist eine berührende Titelfigur. Sie durchschreitet darstellerisch gekonnt die Emotionsebenen dieser enttäuschten, verstossenen und an den Rand gedrängten Frau, die erst allmählich zur rasenden, dem Wahnsinn anheim fallenden Rächerin wird. Ihrer Stimme mag die dämonische Tiefe etwas fehlen, doch dieses kleine Manko wird durch ihre triumphale Sicherheit in der Höhe und die Geläufigkeit in den Fiorituren und Kadenzen mehr als kompensiert. Mit sanft weichem Ansatz und hellem, sauberem Sopran stattet Evelyn Pollock die naiv liebende Creusa aus. Mayr hat zwei schwierige, hohe und geläufige Stimmen voraussetzende, Tenorpartien geschrieben. St.Gallen wartet auch hier mit einer phänomenalen Besetzung auf: Giasone, dieser eitle, selbstverliebte Dandy, wird von Mark Milhofer restlos überzeugend dargestellt und gesungen. Sein Gegenspieler Egeo wird dank des mit brillanter Technik und stimmlichem Wohlklang singenden Lawrence Brownlee zum Ereignis. Dass es dem Theater St.Gallen gelungen ist, einen Sänger solchen Formats (Mailänder Scala, Met, Wiener Staatsoper, Deutsche Oper Berlin …) zu verpflichten, ist nicht hoch genug zu würdigen.
Die im Rollstuhl auftretende Napoléon-Karikatur des Königs Creonte wird von Wojtek Gierlach mit sonorem, wohlklingendem Bass gestaltet, die kleineren Partien werden durch das schauspielerische Talent von Fiqerete Ymeraj, Andrés del Castillo und Carlos Petruzziello aufgewertet.

Bleibt die Regie von David Alden in der Ausstattung von Giles Cadle (Bühne) und Jonathan Morrell (Kostüme): Sie haben das Geschehen in die Entstehungszeit des Werkes, an den kaiserlichen Hof von Bonaparte, verlegt. Das kann man machen, zwingend ist es nicht. Schrill und bunt geht es da zu und her, lenkt aber vom eigentlichen Seelendrama und den Qualen der Protagonisten ab. Einige Passagen sind jedoch sehr gelungen, so die Begegnungen von Medea und Giasone, welche psychologisch sehr intensiv durchgestaltet sind. Eine Pracht ist allerdings Medeas schwarzes Kostüm, welches sie zur Trauung von Creusa mit Giasone trägt. Lächerlich hingegen wirkt das piratenhafte Gehabe des Egeo und etwas gar Holzhammer artig der Ausblick Medeas auf heuntergekommene DDR-Plattenbauten, als sie von ihrer drohenden Verbannung erfährt, oder der Einsatz der schwarzen Unglücksraben als Vorboten des Unheils, welches über den eigentlich desinteressierten und oberflächlichen Hofstaat hereinbrechen wird.
Doch diese Einwände vermögen die wirklich packende Wiedergabe der meisterhaften Oper von Mayr nicht zu trüben.
Fazit:
Ein zu Unrecht sträflich vernachlässigtes Werk erhält durch die phänomenale musikalische Umsetzung in St.Gallen seine verdiente Anerkennung. Nicht verpassen!
Inhalt:
Jason kehrt siegreich von einem Feldzug zurück, den er für König Kreon geführt hat. Als Belohnung erhält er die Hand von dessen Tochter Creusa. Er verstösst seine frühere Gemahlin Medea. Diese rast vor Zorn und schwört grausame Rache. Dazu verbündet sie sich mit einem Freier Creusas, Egeo von Athen. Als die beiden versuchen, Creusa zu entführen, werden sie von Kreon und Jason gefangengenommen. In einer unterirdischen Grotte bittet Medea die Furien, ein vergiftetes Kleid herbeizuschaffen. Creusa zieht das Kleid an und stirbt auf der Stelle. In einem weiteren Anfall von Raserei tötet Medea die beiden Kinder, welche sie gemeinsam mit Jason hatte und zeigt sie triumphierend Jason und der Menge. Dann flieht sie mit einem von Drachen gezogenen Wagen in ihre Heimat.
Werk:
Der Medea Stoff gilt seit der Antik als Sinnbild für Liebe, welche sich durch Enttäuschung und Verrat in grenzenlosen Hass und brutale Rache wandelt. Medea besitzt dämonische und seherische Kräfte, löst Urängste aus und wird deshalb aus der Gesellschaft ausgegrenzt und verdammt. Der Stoff hat immer wieder Künstler aller Gattungen zu grossen Werken inspiriert, wurde z.B. von Pasolini mit Maria Callas als Medea auch verfilmt. Im Bereich des Musiktheaters erlangte Cherubinis Vertonung von 1797 Berühmtheit. Diese Oper war 2008 in Bern zu sehen.
Mit Beginn des 19. Jahrhunderts, ausgehend vom titanischen Menschenbild der Französischen Revolution, begeisterte sich das Publikum an den im zentralen Primadonnenpart dargestellten Seelennöten einer gepeinigten und rachegierigen Frau. Vergleichbar ist dieses Interesse mit Tendenzen der letzten Jahrzehnte: Christa Wolf (Medea Stimmen) und Ursula Haas (Freispruch für Medea) befreiten in ihren Romanen die unzähmbare Aussenseiterin von der ihr in fast allen Adaptionen seit Euripides zugeschriebenen Dämonik. In ganz frühen Mythen aber war die Königstochter und Priesterin, die vom Sonnengott Helios abstammt, eine Lichtgestalt.
Giovanni Simone Mayr steht mit seinem Werk musikalisch zwischen Mozart und Rossini. Der ursprünglich aus Bayern stammende Komponist erlangte in Italien mit über 60 Opern, zahlreicher Kirchen- und Kammermusik und als Lehrer Donizettis in Bergamo einen grossen Bekanntheitsgrad. Als jedoch Rossinis Werke die Opernbühnen zu erobern begannen, gerieten Mayrs Werke nahezu in Vergessenheit. Die Medea der Uraufführung sang übrigens Rossinis spätere Gattin Isabella Colbran.
Das Libretto ist ein Frühwerk des berühmten Felice Romani, welcher später für Rossini (Il Turco in Italia), Bellini (Sonnambula, Norma) und Donizetti (Anna Bolena, L’Elisir d’Amore) gearbeitet hat.
St. Gallen zeigt das Werk als Erstaufführung der quellenkritischen Neuedition, basierend auf Mayrs Autograph von 1821.

Samstag, 17. Oktober 2009

Zürich: MADAMA BUTTERFLY, 17.10.09


Tragedia giapponese in drei Akten
Musik: Giacomo Puccini
Libretto: Luigi Illica / Giuseppe Giacosa
Uraufführung: 17. Februar 1904 in Mailand, dreiaktige Neufassung am 28. Mai 1904 in Brescia

Aufführungen in Zürich:
17.10. | 21.10. | 25.10. | 5.11. | 8.11. | 12.11. | 15.11.| 19.11.09

Weitere Infos und Karten



Kritik:
Viel versprechend beginnt der Abend mit der Projektion eines Animationsfilms, entstanden in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Ein stilisierter, von japanischer Tuschzeichnung inspierierter Vogelschwarm, der immer bedrohlicher wirkt, taucht auf dem weissen Zwischenvorhang auf. Vor dem zweiten Akt ist es dann ein einsamer Vogel, welcher sich in einem Dickicht aus Bambus verirrt und während des Zwischenspiels zum dritten Akt bricht der Vogel auseinander, seine Flügel fallen auf einen immer grösser werdenden und schliesslich die gesamte Leinwand bedeckenden Haufen verlorener Federn - lauter enttäuschten Hoffnungen. Diese einfache und doch so stimmige Symbolisierung der Handlung von MADAMA BUTTERFLY findet dann jedoch auf der Bühne keine entsprechende Fortsetzung. Zu gestylt, zu kalt wirkt die ausschliesslich in den japanischen Nationalfarben Weiss-Rot-Schwarz gehaltene Ausstattung Reinhard von der Tannens. Pinkerton hat als Liebesnest nicht ein wackliges Häuschen (dimora frivola) erworben, sondern einen veritablen, sich im Verlauf des Abends skelettierenden Turm (Goro verspricht ihm ja, das Häuschen sei standfest wie ein torre). Der Turm wird dann aber wenig genutzt, die Handlung spielt sich vorwiegend auf der Veranda ab. Und obwohl Butterfly das Geld ausgeht, hat sie sich noch neue, schicke schwarze Möbel kaufen können. Da in Zürich die geglättete Pariser Fassung des Werks von 1906 gespielt wird, fällt der gesellschaftskritische Realismus der von Experten immer stärker favorisierten Urfassung weitgehend weg. Vier mehr dekorativ als als wirklich schlüssig eingesetzte, an die japanische Butoh Tradition erinnernde Tänzer, sollen wohl etwas zusätzliches Lokalkolorit vermitteln. Zudem darf zu Beginn ein muskelbepackter Farbiger Whisky einschenken. Hm. Der grosse Eisblock, welcher als Bar dient, soll wohl die emotionale Kälte des Yankees Pinkerton zeigen, doch wird in der Inszenierung Grischa Asagaroffs auch mit diesem Element dann nicht mehr stringent weitergespielt. So wirkt der erste Akt steif, das lange Liebesduett knistert trotz auch wieder nur dekorativ eingesetzter roter Lampions nicht vor Erotik. Amerikanische Flaggen nehmen zu Beginn des zweiten Aktes den Platz der Lampions ein, verschwinden dann aber auch schnell wieder. Die Blüten, mit denen Butterfly und Suzuki das Haus für die Ankunft Pinkertons schmücken, fallen wie auf ein göttliches Zeichen hin vom Bühnenhimmel, warum auch immer. Das imperialistische Gehabe, der Machismus werden nicht mit der erforderlichen Radikalität gezeigt, es wird in dieser Inszenierung kaum an der lackierten Oberfläche gekratzt. Einzig die Personenführung zu Beginn des zweiten Aktes, die Auseinandersetzung Cio-Cio-Sans mit Suzuki, ihr rabiates Festhalten an der Hoffnung auf Pinkertons Rückkehr, ihre Selbsttäschung sind packend dargestellt; ebenfalls sehr überzeugend ist der Auftritt von Kate inszeniert (mit enormer Bühnenpräsenz: Margaret Chalker).
Die Stars des Abends sitzen im Orchestergraben. Einmal mehr erweist sich das Orchester der Oper Zürich als Spitzenensemble. Der präzis gespielte fugierte Beginn oder die schlichtweg atemberaubende Begleitung des Summchores (ganz hervorragend und lupenrein intoniert vom Chor der Oper Zürich) durch Flöten und Pizzicati der Streicher seien hier als Beispiele genannt. Dirigent Carlo Rizzi stellte zwar weniger die mutige, bis an die Grenzen der Tonalität und darüber hinausweisende Harmonik des Werkes in den Vordergrund - die Dissonanzen wirkten oft etwas gar verschämt hinter zarten Pastellfarben versteckt - doch war seine Interpretation von wunderbar feinem Atem getragen, die Motive wurden dynamisch subtil abgestuft zu herrlichem Erblühen gebracht.
Leider fand die sängerische Ergänzung dazu auf der Bühne über weite Strecken nicht statt. Beiden Protagonisten mangelte es an stimmlicher Geschmeidigkeit. Xiu Wei Sun in der Titelrolle mag eine Arena taugliche Stimme haben, doch das ausgeprägte Vibrato und ihr leicht belegt klingender Sopran lassen auf Verschleisserscheinungen der Stimme schliessen. Ausdrucksstark war zwar ihre Mimik, ihre Entrückung nach Un bel dì vedremo, ihre Verdängungstaktik während der Briefszene - und doch wollte sich echte Anteilnahme an ihrem traurigen Schicksal nicht so recht einstellen. Neil Shicoff verfügt zwar immer noch über eine sichere Höhe, doch sein Pinkerton klang über weite Strecken mehr gequält und forciert als von seiner jungen japanischen Schönheit erotisiert. Lautstärke ist halt nicht gleich Ausdruckskraft. Da er eh nie der begnadetste aller Darsteller war, wirkte seine Gestaltung der Rolle des jungen (hier eher älteren) amerikanischen Offiziers eher unbeholfen. Bezeichnenderweise erhielten die mit wunderbar warmer Stimme gesungene Suzuki von Judith Schmid und der Sharpless von Cheyne Davidson (in seinem Anzug mit Schlapphut ab dem zweiten Akt an Indiana Jones erinnernd - warum?) fast den grössten Applaus. Als windiger Heiratsvermittler Goro überzeugte Andreas Winkler, Kresimir Strazanac fühlte sich sichtlich unwohl als Fürst Yamadori, trotz süssen, dekorativen Kätzchens im Arm. Pavel Daniluk überzeugte stimmlich als Cio-Cio-San verfluchender Onkel Bonze, sein eher für den Wassemann aus Rusalka passendes Outfit wirkte jedoch eher lächerlich als bedrohlich.
Obwohl an dieser Premiere nicht viele Plätze frei blieben, war der Schlussapplaus nicht mehr als kurz und freundlich.
Fazit:
Da gleich drei Häuser in der Deutschschweiz in dieser Saison BUTTERFLY herausbringen, sind Vergleiche unausweichlich: Das Theater Basel (Opernhaus des Jahres) hat im September eine Steilvorlage geliefert, eine musikalisch UND szenisch packende BUTTERFLY auf die Bühne gebracht, die das finanziell besser ausgestattete Zürich bei weitem nicht erreicht.
Im Mai 2010 wird dann noch das Theater St.Gallen nachziehen.

Werk:
Das Fiasko der Uraufführung von MADAMA BUTTERFLY lag vermutlich in den Rivalitäten der beiden mächtigen Verlagshäuser Italiens (Ricordi und Sonzogno) begründet. Puccini zog die Oper sofort zurück und präsentierte kurz darauf in Brescia ein neue, diesmal äusserst erfolgreiche Fassung. BUTTERFLY gehört zu den meistgespielten Opern der Welt, in den USA ist sie seit Jahrzehnten die Nummer eins. Sie ist die stilistisch geschlossenste Oper des Meisters. Der melodische Einfallsreichtum, die gewagte, auch an die Grenzen der Tonalität stossende, von Melodien japanischer Herkunft inspirierte Harmonik machen aus MADAMA BUTTERFLY weit mehr als das kitschig sentimentale Drama, als welches es oft herablassend bezeichnet wird.
Die Oper hat auch in der Pop Musik (Un bel dì gibt es in unzähligen Versionen), im Film (z.B. FATAL ATTRACTION mit Glenn Close und Michael Douglas) und im Musical (MISS SAIGON) ihre Spuren hinterlassen.
Inhalt:
Der leichtlebige amerikanische Marineoffizier Pinkerton heiratet in Nagasaki die 15jährige Cio-Cio San, genannt Butterfly. Die Warnungen des amerikanischen Konsuls Sharpless schlägt er in den Wind. Die Heiratszeremonie wird durch den Onkel Cio-Cio Sans gestört, welcher das junge Mädchen verflucht, weil sie heimlich zum Christentum konvertierte.
Der Akt schliesst mit einem der längsten und schönsten Liebesduette der Opernliteratur.
Drei Jahre später:
Butterfly hat einen Sohn von Pinkerton. Der selbst hat sich aber nie mehr in Japan blicken lassen, doch Butterfly gibt die Hoffnung nicht auf, dass er sie nach Amerika holen wird. Suzuki zweifelt. Sharpless will Butterfly darauf vorbereiten, dass Pinkeron zwar auf dem Weg nach Japan sei, doch nicht ihretwegen. Ihren Verehrer Yamadori weist Butterfly standhaft ab.
Ein Kanonenschuss verkündet die Ankunft des amerikanischen Kriegsschiffes.
Butterfly hat die ganze Nacht lang vergeblich auf Pinkerton gewartet. Sie zieht sich zurück. Pinkerton erscheint im Garten mit seiner neuen Frau Kate um seinen Sohn nach Amerika zu holen. Butterfly ersticht sich mit dem Dolch, mit dem auch ihr Vater einst Selbstmord begangen hatte.
Musikalische Höhepunkte:
Dovunque al mondo, Pinkerton – Sharpless, man hört die amerikanische Nationalhymne
Ancora un passo, Auftritt von Cio-Cio San und ihren Freundinnen, Akt I
Bimba, Bimba, non piangere, Duett Cio-Cio San – Pinkterton, Akt I
Un bel dì, Arie der Cio-Cio San, Akt II
Tutti i fior? Duett Cio-Cio San – Suzuki, Akt II
Coro a bocca chiusa , Summchor, Zwischenspiel zu Akt III
Addio, fiorito asil, Arioso des Pinkterton, Akt III
Con onor muore, Finale Akt III

Freitag, 16. Oktober 2009

Berlin, Deutsche Oper: FALSTAFF, 15.10.2009




Welch beglückenden Abend schenkte die DeutschenOperBerlin dem Publikum mit dieser Aufführung von Verdis mit subtilem Humor erfüllten Alterswerk! Götz Friedrichs Inszenierung aus dem Jahre 1977 (!) wurde sehr sorgfältig neu einstudiert. Trotz den historisierenden Kostümen wirkte die Inszenierung ausgesprochen luftig, war von einem wunderbaren Geist von Leichtigkeit erfüllt. Genau choreographierte, turbulente Szenen wechselten mit präzisen, intimen Charakterzeichnungen. Dass die Produktion auch nach über dreissig Jahren nichts von ihrer Frische verloren hat, ist bestimmt auch das Verdienst der Spielleiterin Gerlinde Pelkowski.
Ambrogio Meaestri war umwerfend als dicker, heruntergekommener Ritter. Mit differenziertem Gesang, eindrücklicher Mimik und herrlich komischem Spiel, das nie plump wirkte, stellt er sich in die erste Reihe der grossen Falstaff-Darsteller. Die mehr oder weniger treuen Diener an seiner Seite, Pistola und Bardolfo, wurden von Ante Jerkunica und Gregory Warren gesungen. Im Hause Ford erfreute man sich an den Damen: Alice, mit feinem Humor dargestellt von der kurzfristig eingesprungenen Fionnuala McCarthy und vor allem an  der Nannetta von Heidi Stober. Ihr glockenreiner, gefühlvoll aufblühender Sopran sorgte für die lyrischen Glanzpunkte des Abends. Es wird sich lohnen, die Karriere dieser viel versprechenden Stimme aufmerksam zu verfolgen. Der eifersüchtige Hausherr war Markus Brück, der Geliebte Nannettas, Fenton, wurde von Yosep Kang mit hellem, etwas gewöhnungsbedürftigem Klang gesungen. Burkhard Ulrich bot als Dr.Cajus sowohl stimmlich als auch akkrobatisch ein Kabinettsstück. Ewa Wolak als Mrs. Quickly ärgerte den Ritter mit satter, wohlklingender Altstimme und Julia Benzinger war die von Falstaff ebenfalls bezirzte Meg Page.
Michael Schoenwandt und das Orchester der Deutschen Oper sorgten für die wichtigen und farblich wunderbar abgestimmten Klangfarben aus dem Orchestergraben.

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Berlin, Komische Oper: RIGOLETTO, 14.10.2009



Infos und Karten

So hat man Verdis Schauerdrama noch nie gesehen - dermassen beängstigend und schauerlich wird man es so bald nicht wieder sehen wie in dieser Inszenierung von Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin. Der Regisseur vermischt geschickt Albtraum und Wirklichkeit: Die Figuren der Handlung sind anscheinend Kopfgeburten des geistig kranken Rigoletto, eine nach der anderen schlüpfen sie unter seinem riesigen Reifrock im ersten Bild hervor. Und doch weiss man nicht genau, wieviel sich nur in Rigolettos verstörtem Hirn abspielt und was denn doch Wirklichkeit ist/war. Rigoletto trägt zunehmend Alltagskleider, am Schluss erscheint er nur noch im Trainingsanzug. Seine Tochter hat er wie ein Entfesselungskünstler (Houdini) in eine Kiste eingesperrt, hat sie von der Welt dermassen abgeschirmt, dass ihr eine normale Persönlichkeitsentwicklung versagt geblieben ist. So zwängt sie sich in lächerliche Kleinmädchenkleider, wirft sich dem erstbesten Mann an den Hals (Herzog) der ihr begegnet. Genial dann der Einfall, Gilda als Schwangere im letzten Bild auftreten zu lassen. So ist es verständlich, dass sie von diesem Mann nicht ablassen will/kann. Als Rigoletto ihre Leiche entdeckt, versagen auch seine Zauberkünste. Da schlägt die Realität dann auf brutalst mögliche Art zu. In Erstaunen versetzt, wie raffiniert und mit welcher Perfektion das skurrile Geschehen in Szene gesetzt wird. Die (wunderbar singenden) Choristen tauchen lautlos auf und verschwinden wieder, alles passt wunderbar zu Verdis zum Teil wirklich gekonnt grotesker Musik.
In der von mir besuchten Vorstellung sang Bruno Caproni den Rigoletto. Nach etwas verhaltenem Beginn (vielleicht fühlte er sich in seinem an LA CAGE AUX FOLLES erinnernden Kostüm doch etwas unwohl) steigerte er sich in der grossen Szene mit den Höflingen im zweiten Akt und dem ergreifend gestalteten Schluss zu einem grossartigen Interpreten der Tiltelrolle. Seine Tochter Gilda wurde von Brigitte Geller mit schön klingender Mittellage gesungen. Mit den Spitzentönen und den Koloraturen der grossen Arie Gualtier Maldè - Teurer Name tat sie sich etwas schwer. Sehr berührend dann im zweiten Akt aber Wenn ich an Festtagen. Timothy Richards sang den wollüstig barbarischen Herzog mit gut sitzender, angenehm männlich und trotzdem weich fliessender Stimme und zeigte seinen abstossenden Charakter ebenso überzeugend. Den Gassenhauer La donna è mobile durfte er dann italienisch singen und tat das mit viel Schmelz. Caren van Oijen stellte mit substanzreichem Mezzo gleich vier Rollen dar, alle individuell charakterisiert: Maddalena, Giovanna, Gräfin von Ceprano und Page. Eine Top Leistung! Tilman Rönnebeck überzeugte als schmieriger Sparafucile mehr als als Monterone. Für die wichtigen Verfluchungen fehlte ihm das bedrohliche Volumen in der Stimme.
Patrick Lange am Pult stellte zwar das Grelle der Partitur in den Vordergrund, das Orchester wusste aber auch mit weich gezeichneten Kantilenen zu gefallen.
Bettina Bartz und Werner Hintze haben eine neue deutsche Übertragung erstellt, an welche ich mich erst gewöhnen musste, da ich mit der deutsch gesungenen Einspielung mit Fischer-Dieskau und Ernst Kozub unter Horst Stein gross geworden bin.
Die neue Bestuhlung in der Komischen Oper mit den in die Sitzlehen integrierten Displays ist sehr bequem.

Montag, 12. Oktober 2009

Berlin, Deutsche Oper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN, 8. und 11.10.2009




Kritik:
Das inhaltlich nicht leicht zu erschliessende Ausnahmewerk der Opernliteratur, diese immense Parabel um Prüfungen und Menschwerdung, stellt jedes Haus vor grösste Herausforderungen. Diese Neuproduktion an der DeutschenOperBerlin kann sich sehen UND hören lassen. Hausherrin Kirsten Harms zeigt eine in sich schlüssige, nachvollziehbare Inszenierung. Indem sie das Übersinnliche, Märchenhafte der Hoffmannsthal´schen Vorlage weitest gehend ausblendet und den Fokus ganz auf die der Kaiserin auferlegten Prüfungen legt, betritt Frau Harms zwar nicht unbedingt Neuland, auch wenn sie das Geschehen in die Entstehungszeit des Werkes verlegt, den ersten Weltkrieg und den aufkommenden Faschismus - welche zweifelsohne Strauss und Hoffmannsthal in ihrem Schaffen beeinflussten, - in die Handlung integriert. Das Resultat jedoch ist überzeugend. Die kalte Marmorarchitektur des kaiserlichen Palastes, die bunkerartige Wohnung des Färberpaares und die öde Mondlandschaft nach dem Giftgaskrieg im dritten Akt bilden stimmige Spielflächen. (Ausstattung: Bernd Damovsky)
Manuela Uhl zeigte eine zerbrechliche, anrührende Kaiserin, welche die immensen stimmlichen Herausforderungen über weite Strecken grossartig meisterte. Am 8 Oktober zeigte sie sich noch besser in Form als am 11. Vielleicht lag das auch am Dirigenten. Während am 8. Ulf Schirmer ( welcher das Werk einstudiert hatte und auch die meisten Vorstellungen leiten wird) überragend schöne Bögen spannte und eine perfekte Balance zwischen Graben und Bühne erreichte, übernahm am 11. Oktober Ulrich Windfuhr das Dirigat. Einige Koordinationsdivergenzen blieben damit wohl unausweichlich. An beiden Abenden jedoch beeindruckte das Orchester der Deutschen Oper mit einer überwältigenden Leistung, auch und vor allem in den zahlreichen solistischen Passagen, mit zarten, sauber intonierten Bläser- und Streichersoli.
Doris Soffel kennt man unterdessen als eine der besten Ammen der Gegenwart. Vor allem verblüfft ihre durchschlagende Höhe. Die dritte grosse Frauenpartie sang Eva Johansson mit kräftigem, in der Höhe jubelndem Sopran. Auch darstellerisch war sie eine sehr intensive Färberin. Ihr Gatte Barak wurde durch die voll und warm strömende Baritonstimme von Johan Reuter zum stimmlichen Höhepunkt des Abends. Der Kaiser von Robert Brubaker wurde von Abend zu Abend sicherer und besser. Er meisterte die gesanglich so unbequem hoch liegende Partie mit bemerkenswertem Aplomb. Erfreulich auch, dass den kleineren Rollen genügend Beachtung geschenkt wurde, hier sei in erster Linie Liane Keegan als herrlich voluminös und satt erklingende Stimme von oben erwähnt, aber auch die Wächter der Stadt waren mit Ben Wager, Lucas Harbour und Krzystof Szumanski bestens besetzt.
Fazit: Einfach überwältigend!

Samstag, 10. Oktober 2009

Berlin, Staatsoper: SALOME, 9.10.2009



Dreissig Jahre hat die Inszenierung von Harry Kupfer unterdessen auf dem Buckel und wirkt frisch wie am ersten Tag. Das ist sowohl das Verdienst einer sorgfältigen Repertoirepflege als auch der klugen, zeitlosen Konzeption Kupfers.
Diese 98. Vorstellung wurde von Philippe Jordan dirigiert - und wie: Strauss´ farbenreiche Partitur hat man noch selten so mitreissend und mit dermassen atemloser Spannung erfüllt gehört. Die Orientalismen und typisch Strauss´schen Klangmassierungen verwoben sich zu einem facettenreichen brillanten Ganzen, an welchem die Staatskapelle ihren wohl verdienten Anteil hatte. Als wollüstige Prinzessin Salome begeisterte Evelyn Herlitzius mit dramatisch subtiler Gestaltung und phänomenaler Stimmkraft. Dass ihr metallischer Sopran in der Höhe leicht eingeengt wirkte, verzieh man ihr angesichts der grossartigen Rollengestaltung (inklusive eines absolut phänomenalen Schleiertanzes) gerne. Reiner Goldberg, der am 17. Oktober seinen 70. Geburtstag feiern wird, ist geradezu eine Idealbesetzung des Herodes. Sowohl Darstellung (das parkinsonsche Zittern, die abergläubische Angst, aber auch die unglaubliche Brutalität und Altersgeilheit der Figur) als auch der Gesang waren von atemberaubender Intensität. Hut ab vor einer solchen Leistung. Er gehört zu der Riege von intelligenten Sängern, welche den Fachwechsel rechtzeitig geschafft haben, vom einstmals gefeierten Heldentenor zum gereiften Charaktertenor. Daneben hatte seine Gemahlin Herodias einen schweren. Daniela Denschlag sang wohl sehr klangschön, doch hat die Stimme noch zu wenig Substanz und Charakter für die Rolle. Mark Doss war der Jochanaan. Wunderbar warm strömten seine Kantilenen wenn er auf der Bühne stand; leider war die Tontechnik nicht ganz sauber eingestellt, wenn seine Stimme aus der Zisterne erklang. Da ertönte seine angenehm weiche, saubere Stimme zu leise und brüchig. Aber das lag bestimmt nicht an ihm. Stephan Rügamer wusste als Narraboth zu gefallen.
Fazit: Meisterhaftes Dirigat - zu Recht umjubelter Abend.
Für oper-aktuell: Kaspar Sannemann, 10.Oktober 2009

Montag, 5. Oktober 2009

Berlin, Deutsche Oper: CARMEN, 4.10.09




Was mag den einst so erfolgreichen Startenor antreiben, mit 60 Jahren noch den Don José zu singen? In solchen Rollen verwaltet Neil Shicoff unter sicht- und vor allem hörbaren Qualen nur noch Fragmente seiner Stimme. Tonansätze wackeln, in Pianostellen muss er sich in die Kopfstimme retten, die Intonation ist stellenweise arg getrübt. Spitzentöne gelingen zwar im fortissimo, doch sind sie hart erkämpft und hoch gestemmt. Insgesamt wirkt er oft quäkend. In einigen Rollen - Eléazar zum Beispiel - und unter der Führung von guten Regisseuren hat er in letzter Zeit wenigstens durch eine intensive Darstellung berühren können. Doch sein José gestern in der Deutschen Oper Berlin wirkte steif und - man muss es leider sagen - alt. Und dieser Mann soll in knapp zwei Wochen in Zürich den Pinkerton in der neuen Butterfly Produktion singen?
Sein Gegenspieler Escamillo vermochte aber auch nicht zu überzeugen. Entweder liegt Stephen Bronk die Partie nicht, oder er hatte schlicht und einfach einen schlechten Abend. Weder Höhen noch Tiefen waren vorhanden, ja die Stimme brach sogar regelrecht weg. Dieses Manko vermochte er auch nicht durch eine darstellerisch für sich einnehmende Leistung zu kompensieren. Jedenfalls wurde es nicht einsichtig, weshalb er für Carmen dermassen begehrenswert sein sollte.
Diese Carmen war keine junge, feurige Zigeunerin. Nora Gubisch zeigte sie als Frau um die Vierzig, welche sich in erotische Abenteuer stürzen will, aber mit ihren noch vorhandenen Reizen etwas unbeholfen umgeht. Leichtes Wackeln mit den Hüften und sich ständig in die unbändigen Haare zu greifen, reicht nicht aus, um die Figur überzeugend darzustellen. An ihren vokalen Künsten allerdings gabs nichts auszusetzen. Ihr warmer, sauberer Mezzo klang sehr einschmeichelnd, es fehlte lediglich die Substanz in der Tiefe und die Erotik in der Stimme. Martina Welschenbach als Micaela erhielt den grössten Applaus. Für meinen Geschmack klang ihre helle, laute Stimme aber zu metallisch kalt für die Rolle des einfachen Bauernmädchens. Sehr gut hingegen Frasquita und Mercédès von Anna Schoeck respektive Julia Benzinger. Die kleineren Rollen waren adäquat -aber nicht mehr - besetzt. Für ein solches Haus eher an der unteren Grenze.
Die Produktion stand ja anlässlich der Premiere unter keinem guten Stern. Der für die Neuproduktion ürprünglich vorgesehene Regisseur Jürgen Gosch erkrankte schwer und starb dann. So wurde eine Inszenierung von Peter Beauvais aus dem Jahre 1979 ausgegraben und von Soeren Schuhmacher neu inszeniert. Allerdings muss man sagen, dass man noch selten eine dermassen langweilige, uninspirierte CARMEN gesehen hat. Da ist jede Aufführung einer Laienbühne spannender. Einige Seil springende Kinderchen reichen als Chorbewegung nicht aus. (Immerhin beeindruckte der Chor der Deutschen Oper durch vollen, schönen Klang.) Ansonsten Rampengesang von der schlimmsten Sorte.
Einzig die stimmigen Bühnenbilder von Pierluigi Samaritani und das Lichtdesign von Ulrich Niepel trösteten über diesen verlorenen Abend hinweg. Denn auch aus dem Orchester schwappte kein Esprit auf die Bühne über. Laurent Campellone sang zwar alles mit, scheint das Werk wirklich verinnerlicht zu haben, doch seine hölzerne Schlagtechnik führte zu einem stampfenden Gesamteindruck. Rasante Tempi sind noch lange keine Garantie für Ausdruckskraft, sie führen eher zu Unsauberkeiten in der Koordination. Zudem führte das jeweils vorzeitige Schliessen des Vorhangs dazu, dass das Publikum lautstark in die Aktschlüsse hinein applaudierte.
Eigentlich dürfte sich ein Haus dieser Grösse und dieses Renommees einen solchen Abend nicht leisten.
Für oper-aktuell: Kaspar Sannemann, 5.Oktober 09

Donnerstag, 1. Oktober 2009

St. Gallen: COSÌ FAN TUTTE, 30.9.2009





Video zur Aufführung 



Kritik:
Die Gewinnerinnen des Abends sind die Frauen: Die von Don Alfonso unterdrückte und von Kindesbeinen an ausgebeutete Despina wird zukünftig auf eigenen Füssen stehen, sich aus ihrer Abhängigkeit vom Gaukler lösen. Beispiele ihres grossartigen komödiantischen Könnens hat sie zur Genüge geliefert. Die Schwestern Dorabella und Fiordiligi haben eben ihren Vater beerdigt (zu den schweren Akkorden der Ouvertüre lassen sie weisse Blumen ins Grab – den Orchestergraben – fallen), am Ende dieses turbulenten Tages stehen sie ohne ihre fiesen Verlobten da und werden hoffentlich an einfühlsamere Männer geraten.
Verlierer sind die Männer: Alfonso wird ohne die talentierte Despina wohl ganz in Korruption und Alkohol abgleiten, der smarte Latin Lover Ferrando hat das Ziel, seinem Kumpel die Braut auszuspannen, nicht erreicht. Er sinkt gebrochen nieder. Der gutmütige, aber naive Kindskopf Guglielmo hat seine Fiordiligi verloren und auch das Herz der Dorabella nicht erobern können.
Diese Sicht des Regisseurs Ansgar Weigner auf COSÌ FAN TUTTE ist ungewohnt, neu und zeigt interessante und berührende Ansätze, vermag in den psychologischen Deutungen der Charaktere zu überzeugen. Dass dann einige Ungereimtheiten zum Text von Lorenzo da Ponte bleiben, ist nicht zu umgehen. Doch scheint mir seine Interpretation sehr nahe bei Mozart zu liegen. Und schliesslich: Welches Opernlibretto ist schon durch und durch schlüssig und logisch. So bleibt immer ein Spielraum für Interpreten und diesen hat Ansgar Weigner grosszügig genutzt. Restlos begeistert das Bühnenbild von Susanne Harnisch: Die Trattoria mit den darüber liegenden Wohnräumen im Stil der 50er Jahre ist eine wunderbare Spielfläche für die Entfaltung des Geschehens.
Die Übertitel erläutern sinnigerweise die Konzeption des Regisseurs und geben die Texte da Pontes nur bruchstückhaft wieder.
Ein Glück auch, dass dem Regisseur für seine Umsetzung tolle Singschauspieler zur Verfügung stehen:
Simone Riksman erinnert als Despina an Giulietta Masina in Fellins LA STRADA. Sie zeigt die ganze Tragik der Kindsfrau auf, welche sich im Verlauf des Abends von ihrem Vaterersatz Alfonso löst. Mit ihrem glockenreinen Sopran bereichert sie die Ensembles und nutzt die Arie Una donna a quindici anni zu einem gesanglichen und darstellerischen Kabinettsstück. Von der Klangfarbe her unterscheiden sich die beiden Schwestern nicht allzu stark. Netta Or als Fiordiligi verfügt über einen sehr angenehm dunkel, interessant timbrierten Sopran. Den zerklüfteten Felsen der schwierigen Felsenarie erklimmt sie mühelos, ihre Stimme verfügt über ein breites dynamisches Spektrum, welches sie äusserst differenziert einzusetzen weiss. Die zweite Arie, Per pietà, delikat vom Horn begleitet, gerät zu einer musikalischen Sternstunde. Der samtene Ansatz der Töne und die leuchtenden Höhen lassen aufhorchen.
Katja Starke liess sich an diesem Abend als leicht indisponiert ansagen, doch war von der Erkältung nichts mehr zu hören. Ihre Dorabella ist eigentlich die sympathischere, menschlichere der beiden Damen. Der warme Mezzosopran und die gekonnte Phrasierungskunst der Künstlerin begeistern immer wieder.
Arthur Espiritu geht in seiner Rolle als windiger, eitler Geck und selbstverliebter Macho vollkommen auf. Neben seiner blendenden Erscheinung führen vor allem sein doppelbödiges Spiel, seine subtile Mimik und die Stimmschönheit seines Tenors zu einem interessanten Rollenporträt. Die Idee, seine von einschmeichelnder Melodik geprägte Arie Un aura amorosa als erotische Telefonanmache zu inszenieren, ist eine der treffendsten des Abends. Sein etwas tollpatschiger Kumpel Guglielmo wird von Markus Beam mit der notwendigen Naivität und amüsanten akrobatischen Einlagen gespielt. Er tut einem am Schluss am meisten Leid, da er von seinem vermeintlichen Freund Ferrando aufs Schlimmste missbraucht worden ist. Sein jung und frisch klingender, sauber geführter Bariton weiss zu gefallen.
David Maze war in der besuchten Vorstellung (30. September) der schmierige Alfonso, eine gescheiterte Existenz. Wenn sich dann auch noch Despina von ihm emanzipiert, ihm sämtliche Fäden entgleiten, bleibt ihm gar nichts mehr, nur der Alkohol. Von einem versöhnlichen Ende, einem lieto fine, kann also in dieser St.Galler COSÌ keine Rede sein.
Gespielt wird eine gekürzte Fassung, mit den üblichen Strichen. (Nicht wie in Zürich, wo COSÌ FAN TUTTE beinahe eine Stunde länger dauert.)
Das Sinfonieorchester St.Gallen spielt einen lebendigen Mozart, manchmal etwas gar polternd. Für die zügigen Tempi ist mit ausladenden Bewegungen und grosser Aufmerksamkeit und Übersicht Dirigent Jeremy Carnall zuständig.
Fazit:
Nicht ganz frei von Ungereimtheiten, aber eine allemal spannende Lesart. Ein junges Ensemble begeistert mit Mozarts genialer Musik.

Werk:
Così fan tutte gehörte lange Zeit nicht zu den beliebtesten Opern Mozarts, obwohl die Musik zum Schönsten und Einfühlsamsten zählt, was Mozart komponiert hatte. Seine Gabe, tief in die Seele der Menschen hineinzublicken, Schwächen und widerstreitende Gefühle auszuloten und diese in beglückend schöne Noten zu setzen, erreichte in dieser Oper einen Höhepunkt.
Mozarts liberale Gesinnung und sein Einstehen für die sexuelle Selbstbestimmung stand in herbem Widerspruch zum aufkeimenden Puritanismus, der nach der französischen Revolution einsetzte. Wegen des nach dem Tod des aufgeklärten Reformkaisers Joseph II. moralisch unter Druck gekommenen Librettos und abfälliger Äusserungen von Beethoven (obwohl er eine Fiordiligi Arie zum Vorbild für die grosse Leonoren Arie genommen hat …) und Wagner bekam das Werk erst im 20. Jahrhundert seinen verdienten Stellenwert im Repertoire.
Inhalt:
Die Wette, die Guglielmo und Ferrando mit dem Philosophen Don
Alfonso eingehen, entpuppt sich als Spiel mit dem Feuer. Um die Liebe von Fiordiligi und Dorabella auf die Probe zu stellen, geben die Offiziere vor, in den Krieg zu ziehen. Nach tränenreichem Abschiednehmen der fassungslosen Frauen betreten Guglielmo und Ferrando als fremdländische Brautwerber verkleidet die Szene und das böse Spiel nimmt seinen Lauf: Kammerzofe Despina, Intrigantenhelferin Don Alfonsos, rät den Bräuten, das Liebesvergnügen willkommen zu heissen und diese, obwohl anfänglich noch resistent gegen voreheliche Untreue, geben sich den Freuden der neuen Liebe schliesslich hin. Dies geschieht nach Metastasios Intrigenschema natürlich über Kreuz, sodass nun Guglielmo und Dorabella sowie Ferrando und Fiordiligi jeweils vor Zuneigung füreinander vergehen. Dass am Ende alles doch wieder seine zweifelhafte Ordnung erhält – Was soll’s! So machen’s alle!
Musikalische Höhepunkte:
Soave il vento, Terzett Fiordiligi, Dorabella, Don Alfonso, Akt I
Ah, scostati … Smanie implacabili, Szene und Arie der Dorabella, Akt I
Come scoglio, Arie der Fiordiligi, Akt I
Un aura amorosa, Arie des Ferrando, Akt I
Una donna a quindici anni, Arie der Despina, Akt II
Per pietà, Arie der Fiordiligi, Akt II
Il core vi dono, Duett Dorabella, Guglielmo, Akt II
Fra gli amplessi, Duett Fiordiligi, Ferrando, Akt II
Für art-tv und oper-aktuell: © Kaspar Sannemann, 1. Oktober 2010
Così fan tutte
Dramma giocoso in zwei Akten
Musik: Wolfgang Amadeus Mozart
Libretto: Lorenzo da Ponte
Uraufführung: 26. Januar 1790, Burgtheater Wien
Aufführungen in St.Gallen: 19.9. | 30.9. | 4.10. | 6.10. | 11.10. | 25.10. | 5.11. | 14.11. | 6.12. | 9.12. | 12.12. | 21.12. | 28.12. 2009 | 14.1. | 16.2. | 19.2. | 24.2. 2010
Weitere Infos unter: www.theatersg.ch