Samstag, 26. September 2009

Basel: DREI FRAUEN, 25. 9.2009, OPERNHAUS DES JAHRES!!!






Musiktheater in drei Monodramen und zwei Zwischenspielen
Musik: Wolfgang Rihm
1. Teil: Aria/Ariadne, Szenarie nach Nietzsches DIE KLAGE DER ARIADNE

Uraufführung: 22. Januar 2002 in Köln (Juliane Banse)
2. Teil: DAS GEHEGE, nach Botho Strauss' SCHLUSSCHOR
Uraufführung: 27. Oktober 2006, Nationaltheater München (Gabriele Schnaut)
3. Teil: PENTHESILEA-MONOLOG, nach dem Schlussmonolog aus Kleists PENTHESILEA
Uraufführung: 20. August 2005 in Weimar (Gabriele Schnaut)
Premiere und Uraufführung in dieser Zusammenstellung: 25. September 2009 in Basel

Weitere Aufführungen in Basel: 27.9. | 29.9. | 4.10. | 19.10. | 23.10. | 26.10. | 31.10. | 11.11. | 1.12. | 3.12. | 6.12. | 23.12. | 2.12. 2009
2.1. | 4.1. 2010
Kritik:
Woran mag es gelegen haben, dass man diese beinahe zweistündige (Ur-)aufführung zeitgenössischer Musik als derart kurzweilig empfand?
Lag es an den starken Texten (Nietzsche, Botho Strauss, Heinrich von Kleist)? - Ja, aber nicht nur.
Lag es an der vielschichtigen, spannenden Musik, welche Wolfgang Rihm für die DREI FRAUEN komponiert hatte? - Ja, aber nicht nur.
Lag es am hervorragend und mit so grosser Selbstverständlichkeit spielenden Sinfonieorchester Basel, welches diese Musik mit einer Präzision spielte, als gehöre sie zum Standardrepertoire? - Ja, aber nicht nur.
Lag es an den drei herausragenden Sopranistinnen, welche diese drei unterschiedlichen Frauengestalten so faszinierend und mit überwältigender Eindringlichkeit auf der Bühne darstellten?- Ja, aber nicht nur.
Lag es am Dirigenten André de Ridder, welcher dieser Musik durch seine Übersicht und Disposition erst zum Leben erweckte und die Fäden so klug spannte? - Ja, aber nicht nur.
Lag es an der schlichten und doch bildstarken Eindringlichkeit der Inszenierung (Regie: Georges Delnon, Bühne: Roland Aeschlimann, Kostüme: Marie-Thérèse Jossen, Licht: Hermann Münzer)? - Ja, aber nicht nur.
Nein, es war der Glücksfall der Verbindung und die gekonnte Verschmelzung all dieser Elemente, welche ein faszinierendes Neues entstehen liessen!
Für Aria/Ariadne schrieb Rihm eine lyrische, zarte Musik, mit wunderbaren Kantilenen der Streicher. Yeree Suh stellte auf der Bühne mit ihrem reinen, leuchtenden Sopran die Verletztheit und Trauer dieser Ariadne aufs Wunderbarste dar. Immer wieder suchte sie Trost im Drücken des kleinen weissen Kissens, das in der Mitte der Bühne lag, versteckte Liebesbriefe im riesigen Wäscheschrank, blieb aber am Ende doch als alte, gebrochene Frau einsam zurück. Rolf Romei als Dionysos schaute ihrer Verzweiflung aus dem Publikum genüsslich zu, begann auch von da zu singen, sprang über die Zuschauerreihen und verhöhnte sie gleichsam mit seinen parodistischen, beinahe dadaistischen Gesängen und der Zurschaustellung seines makellosen Körpers. Ich bin dein Laby-by-by-by.....rinth. Starker, kurzer Auftritt eines tollen Sängers!
Selbstbewusster, herber und rauer dann die Anita von Rayanne Dupuis: Das Kissen ist grösser geworden, doch sie braucht es eigentlich nicht. Aus dem Schrank kommt nicht der ersehnte Adler, in welchen sie ihre wollüstigen Fluchtphantasien projiziert, sondern schlappe Männergestalten, welche sie mit einer kuzen Bewegung zu Boden schmeisst. Zum ersten Zwischenspiel wurde aus Dionysos (Photoshop sei Dank) ein Adler, nun verwandelt sich der Adler während des zweiten Zwischenspiels zum blutüberströmten Haupt des von Penthesilea ermordeten Achilles. Das Kissen nimmt nun beinahe den gesamten Bühnenraum ein, Penthesilea liegt oben, steigt während des Monologs hinunter, verkriecht sich zeitweise sogar darunter, wird von ihrer Schuld erdrückt. Renate Behle gestaltet diese hochdramatische Musik mit ebensolcher Kraft in Stimme und Ausdruck. Grandios.
Das Inszenierungsteam verstand es, die drei unterschiedlichen Psychogramme klug zu verbinden, die tiefen Einblicke in die unterschiedlichen Seelenzustände zu gewähren, ohne dass sich die Zuschauer als Voyeure vorkommen mussten.
Fazit:
Mehr zeitgenössische Oper (mehr Rihm...) auf unseren Bühnen. Bitte !!!
Werk und Inhalt:
Wolfgang Rihm, der erfolgreiche Vielschreiber unter den zeitgenössischen Komponisten, der sich immer wieder mit starken literarischen Texten auseinandersetzt, sie in Verbindung mit seinen Kompositionen zu Neuem verschmilzt, hat für Basel drei seiner bestehenden Monodramen durch Zwischenspiele zu einer abendfüllenden Oper umgebaut.
Da ist die verlassenen Ariadne, welche sich nach dem Geliebten sehnt, Anita, die Frau, welche sich der Vergangenheit ihrer Familie nicht stellen will, während des Mauerfalls in den Zoo flüchtet, sich wollüstig nach einem Adler verzehrt und diesen schliesslich tötet und die Amazonenkönigin Penthesilea, welche den eigenen Geliebten in Stücke gerissen hat, weil sie sich verraten glaubte und sich nun selbst opfert. Liebe - Tod – Liebestod, diese Konstellation hat Rihm zu spannender, die Gefühlsregungen der Frauen bis in die Fasern auslotender Musik inspiriert.
„ … notiertes Seismogramm. So will Musik sein, zumindest die, die ich meine.“ (Wolfgang Rihm).
Für art-tv und oper-aktuell: © Kaspar Sannemann, 26. September 2009

Sonntag, 20. September 2009

Zürich: MOSÈ IN EGITTO, 19.9.2009


 
Azione sacra in drei Akten
Musik: Gioachino Rossini
Libretto: Andrea Leone Tottola
Uraufführung: 5. März 1818 in Neapel
Aufführungen in Zürich:
19.9.| 23.9. | 25.9. | 27.9. | 2.10. | 4.10. | 8.10. | 11.10. | 15.10. | 18.10 | 20.10 | 23.10.09
Kritik:
Diese Aufführung von Rossinis MOSÈ in Zürich muss in die Rezeptionsgeschichte des Werks eingehen: Spannender, intelligenter und folgerichtiger kann man sich eine Aufführung kaum mehr vorstellen. Das Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier (in Zürich bekannt durch CLARI) hat die Partitur sehr genau analysiert und ist zu überzeugenden Lösungen gelangt. Die erste biblische Plage der Finsternis ist ein weltweiter Börsencrash, ein rabenschwarzer Freitag. Das ist natürlich für die Börsianer (Ägypter) ein beklagenswerter Super-GAU, welchen der Chor der Oper Zürich nach den drei Eröffnungsakkorden beeindruckend anstimmt. Noch schlimmer ist dies für die Reichen und Mächtigen dieser Welt, sprich die Familie Faraone. Um ihr Vermögen zu retten, scheuen sie auch vor Verhandlungen mit zweifelhaften religiösen Fundamentalisten nicht zurück (Mosè – äusserlich an BinLaden erinnernd und Aronne, dem Zionisten). Wenn dann die Indizes in strahlendem C-Dur wieder zu steigen beginnen, setzen die Börsianer vor Freude zu einem umwerfenden Bürostuhl-Ballett an. Das ist grossartig inszeniert und passt so herrlich zu Rossinis ratternden Rhythmen. Doch Versprechen werden gemacht und widerrufen, und so greifen Gewalt und Terrorismus immer weiter um sich: Koffer explodieren in Abflughallen und reissen Polizisten in den Tod, auf Cocktailpartys fallen junge Männer einem Giftanschlag zum Opfer, fanatisierte Damen in Abendroben jagen rächend und mit Sturmgewehren bewaffnet den fliehenden Terroristen hinterher, tappen prompt in die gestellte Falle am Roten Meer (Staudamm?) und versinken jämmerlich in den hereinbrechenden Fluten..
Mosè ist der religiöse Eiferer, der gerne seinen monotheistischen, rächenden Gott zitiert und anruft, um seine Taten zu rechtfertigen, der gekonnt mit den Medien umgeht, auf allen Kanälen (Al Jazeera lässt grüssen) präsent ist. Sein Gegenspieler Faraone hingegen ist der smarte, aber ständig zaudernde Anzugträger, der auch mal für seinen Jungen Osiride in der Designerküche die Frühstückseier zubereitet. Zwischen diesen Fronten eines ausgeprägten Machismus werden die Frauen zerrieben: Signora Faraone sucht Trost bei zweifelhaften Sekten, die einfache Jüdin Elcìa versucht zwischen den Gruppen zu vermitteln, zeigt menschliche Grösse, doch ihre Bemühungen werden von Mosè gnadenlos ignoriert, sie muss zusehen, wie ihr Geliebter Osiride kaltblütig ermordet wird. Dies alles ist mit einer unglaublichen Perfektion inszeniert, von der Personenführung der Protagonisten bis zur packenden Gestaltung der Chorszenen, vom aufwändigen Bühnenbild (Christian Fenouillat), den stimmigen Kostümen (Agostino Cavalca) bis zur fantastischen Lichtgestaltung (Christophe Forey, Hans-Rudolf Kunz). Vor lauter Begeisterung über diese Inszenierung darf man aber die Leistungen der Musiker und Sänger (alles Rollendebüts, bis auf Michele Pertusis Faraone) nicht vergessen. Javier Camarena als Osiride begeistert einmal mehr in einer Rossini Partie. Sein leuchtender, mühelos über grosse Ensembles strahlender, höhen- und koloratursicherer Tenor ist ein Ohrenschmaus. Zurückhaltender angelegt ist der Aronne, dem Reinaldo Macias seine schöne Stimme leiht. Eva Mei klingt zu Beginn noch etwas spitz, beinahe hysterisch. Doch steigert sie sich im Verlauf des Abends, findet zu zärtlich klagenden Tönen. In ihrem Liebesduett mit Camarena vereinigen sich die beiden hohen Stimmen in schmeichelnder Harmonie. Mit perlenden und glasklaren Koloraturen wartet Sen Guo (als Amaltea, Gemahlin des Faraone) auf. Das wunderschöne intonierte Quartett Mi manca la voce (Eva Mei, Sen Guo, Javier Camarena und Reinaldo Macias) im zweiten Akt ist von berührender Zartheit und Delikatesse. Anja Schlosser und Peter Sonn gestalten die Partien der Amenofi, respektive des Mambre, mit viel versprechenden Stimmen.
Rossini hat für die beiden Gegenspieler Mosè und Faraone grosse und dankbare Basspartien geschrieben. Erwin Schrott und Michele Pertusi überzeugen mit immenser Ausdrucksstärke, gepaart mit Stimmschönheit und Kraft. Mosès hingeschleudertes Ingrato nach Faraones Rückzieher, welches dann die Spirale der Gewalt in Gang setzt, erzeugt Gänsehaut. Pertusi fasziniert mit subtilem, geschmeidigem Gesang; Schrott ist – der Rolle entsprechend – etwas direkter, ungehobelter. Bevor sich dann am Schluss die eingestürzte Mauer wieder erhebt, stehen sich beiden Kontrahenten alleine gegenüber. Doch an eine Versöhnung ist nicht zu denken, die grausamen Schreckensbilder des weltweiten Terrorismus stehen zwischen ihnen. Ein erschütterndes Schlussbild - da traut man auch den ruhigen und versöhnlichen Klängen, welche vom Orchester der Oper Zürich unter der Leitung des fabelhaft dirigierenden Paolo Carignani so wunderschön erklingen, nicht.
Nachtrag: Am 23.10.09 habe ich die Aufführung nochmals besucht. Der oben geschilderte, äuserst positive Eindruck, hat  sich mehr als bestätigt. Faraone wurde am 23. Oktober von Carlo Lepore gesungen. Seine Stimme klingt nicht ganz so geschmeidig wie die Pertusis. Aber auch er bot eine herausragende Leistung und fügte sich auch darstellerisch hervorragend in dieses aussergewöhnliche Ensemble ein. Die Interpreten wurden am Schluss dieser - leider - vorläufig letzten Aufführung vom Publikum verdientermassen stürmisch gefeiert.

Fazit:
Grossartige Sänger und eine packende Inszenierung, die Geschichte schreiben wird, machen diese Rossini Oper zu einem unvergesslichen Erlebnis.
Inhalt:
Die Oper behandelt die biblische Erzählung vom Auszug des israelitischen Volkes aus Ägypten, versehen mit einer Liebesgeschichte zwischen Osiride, dem Sohn des Pharaos, der aus Liebe zu einer Israelitin (Elcia) den Auszug verhindern will. Zu Beginn der Oper herrscht - eine der zehn Plagen - völlige Dunkelheit, die sich nach Moses' Gebet aufhellt. Der Pharao verspricht deshalb den Israeliten die Rückkehr ins Heilige Land, doch sein Sohn widerruft diese Erlaubnis. Im zweiten Akt wird Ägypten von Feuer und Hagel heimgesucht. Erneut erhört Gott Moses und der Pharao will die Israeliten ziehen lassen. Osiride und Elcia haben sich versteckt, werden aber von Moses und Aaron aufgepürt und getrennt. Osiride wird zum Mitregenten ernannt, will die Israeliten aber wiederum nicht wie versprochen ziehen lassen. Der Blitz erschlägt ihn. Die Israeliten ziehen Richtung Rotes Meer. Dieses teilt sich, um dem hebräischen Volk die Rückkehr zu ermöglichen, doch die nachfolgenden Ägypter ertrinken in den sich wieder vereinigenden Fluten.
Werk:
Mit MOSÈ IN EGITTO ist Rossini ein Werk von grosser musikalischer Kraft gelungen. Die Partitur - mit den wirkungsvollen, beinahe oratorisch komponierten Chorszenen und der politisch unmöglichen Liebesgeschichte in diesem biblischen Kontext – beinhaltet viele musikalische Kostbarkeiten. Für Paris erstellte Rossini auch eine französische Version (MOÏSE), doch ist die italienische 2. Fassung von 1819 dieser in mancherlei Hinsicht überlegen. Besonders der Beginn der Oper, welche ohne Ouvertüre mit der Klage über die Finsternis einsetzt, und die das Werk prägenden Dur/moll Spannungen verdienen besondere Beachtung. Der absolute Höhepunkt ist natürlich die berühmte Preghiera im dritten Akt, nicht nur ein echter Ohrwurm, sonder ein von wahrhaft beglückendem Wohlklang geprägtes Gebet, welches Rossini erst für die Wiederaufnahme 1819 komponiert hatte. Es liegt übrigens auch in einer Einspielung mit Nana Mouskouri vor ...
Für oper-aktuell: © Kaspar Sannemann, 19. September 2009


Samstag, 19. September 2009

LUZERN: WOYZECK, 18.9.09





Musical nach Georg Büchner
Musik: Tom Waits
Text: Tom Waits, Kathleen Brennan, Robert Wilson
Uraufführung: 18. November 2000 in Kopenhagen


KOPRODUKTION MIT LUCERNE FESTIVAL
PREMIERE: 18. SEPTEMBER 2009, 19.30 UHR IM LUZERNER THEATER
WEITERE VORSTELLUNGEN: 19.9. | 25.9. | 1.10. | 3.10 | 4.10. | 8.10. | 11.10. | 18.10. | 20.10. | 24.10. | 31.10. | 13.11. | 18.11. | 13.12. | 22.12. 2009 | 3.1. 2010



Kritik:
Eben noch singt Andres in witzig-schlüpfrigen Limericks zum Amüsement des Publikums über männliche Unzulänglichkeiten und Begierden (IT'S JUST THE WAY WE ARE BOYS), holt die sieben exzellenten Musiker zum Couplet aus dem Graben, Minuten später bringt Woyzeck seine Geliebte zu Mark und Bein erschütternden, das Gehör bis zur Schmerzgrenze ausreizenden Klängen um. Eben noch hängt Woyzeck mit dem Ohrwurm SHE'S MY CONEY ISLAND BABY Tagträumen und Wunschvorstellungen in seinem tristen Dasein nach, dann reissen schräge, gehetzte Dissonanzen ihn wieder in die brutale Realität des ewigen Underdog, (MISERY IS THE RIVER OF THE WORLD) zurück. Von diesen Spannungsfeldern lebt das Schauspielmusical WOYZECK, welches vom Premierenpublikum in Luzern zu Recht mit einer Riesen Begeisterung aufgenommen wurde. Das Inszenierungsteam (Regie Andreas Herrmann, Bühne: Max Wehberg, Kostüme: Catherine Voeffray, Licht: Gérard Cleven) hat zum Glück auf äusserliches Spektakel und Schockeffekte verzichtet. Diese nämlich braucht die starke Vorlage Büchners gar nicht. Wie die schmerzlichen Gedanken in Woyzecks Kopf dreht sich die Drehbühne unaufhaltsam, kommt nur selten zum Stillstand; Versuche, dagegen anzutreten, scheitern. Eine raffinierte Konstruktion aus drei ineinander verschachtelten Quadern aus rohen Sperrholzplatten und ein Kinderwagen reichen zusammen mit dem raffinierten Lichtdesign vollständig aus, um eine Geschichte zu erzählen, welche unter die Haut geht. Zwar kann man immer mal wieder lachen in diesem Trauerstück, doch schon im nächsten Moment bleibt einem dieses Lachen im Hals stecken. Die Intensität der neun Darstellerinnen und Darsteller, ihre enormen physischen und gesanglichen Leistungen verdienen höchstes Lob. Hans-Caspar Gattiker ist ein verletzlicher Woyzeck. Seine Stimme ist weich, manchmal beinahe brüchig, in den Songs, er ist ein ewig Suchender, Gehetzter – und wirkt gerade dadurch so Mitleid erregend. Wiebke Kaysers Marie beginnt sehr zart und anrührend, nach dem erotischen Abenteuer mit dem Tambourmajor wirkt sie selbstbewusster, kantiger. Ganz stark sind die Auftritte von Samia von Arx als Idiot. Die Schlussszene mit der verdoppelten Märchenerzählung und dem gehauchten Wiegenlied zählt zu den eindringlichsten dieses unglaublich spannenden und tief berührenden Abends.


Fazit: Unbedingt hingehen! Direkt, erschütternd, bewegend!


Werk und Inhalt:
"Woyzeck handelt von Wahnsinn und von Obsessionen, von Kindern und von Mord – alles Dinge, die uns berühren. Das Stück ist wild und geil und spannend und Phantasie anregend. Es bringt einen dazu, Angst um die Figuren zu bekommen und über das eigene Leben nachzudenken. Ich schätze mal, mehr kann man von einem Stück nicht verlangen." (Tom Waits)
Das Stück basiert auf dem gleichnamigen Dramenfragment Georg Büchners aus dem Jahr 1837, das heute zu den meistgespielten Dramen der deutschen Literatur gehört. Es ist die düstere, aber auf Tatsachen beruhende Geschichte des Soldaten Franz Woyzeck, der sich im Kampf um das tägliche
?berleben u.a. als Versuchskaninchen für zweifelhafte medizinische Experimente verdingt. Physisch und psychisch wird Woyzeck von seiner Umgebung misshandelt, was bei ihm zu Wahnvorstellungen führt. Als er entdeckt, dass seine Geliebte ihm untreu ist, gehorcht er den inneren Stimmen, die ihm befehlen, sie zu töten.
Die Musik, welche Tom Waits auf Songtexte seiner Frau Kathleen Brennan schrieb, klingt aggressiv und brutal, aber auch mitfühlend und romantisch und spiegelt so das Leid des empfindsamen Protagonisten, welcher an seiner grausamen Umgebung zerbricht. Das Trio Waits/Brennan/Wilson zog das Stück nach der Uraufführung zurück. Dem Theater Oberhausen gelang es vor einem Jahr als erstem im deutschsprachigen Raum, die Aufführungsrechte zu bekommen.

Das Stück ist in dieser Saison auch in Bern zu erleben (Premiere und Schweizerische Erstaufführung: 12. September 2009).
Büchners Fragment diente auch Alban Berg und Manfred Gurlitt als Vorlage zu ihren gleichnamigen Opern. Gurlitts Oper ist gegenwärtig ebenfalls im Luzerner Theater in einer überaus empfehlenswerten Inszenierung zu sehen.

Musikalische Höhepunkte:
Misery Is The River Of The World
Everything Goes To Hell
Coney Island Baby
God's Away On Business
Lullaby (Nothing's ever...)
(Woyzeck's) Woe
Diamond In Your Mind
It's Just The Way We Are Boys

Für oper-aktuell.blogspot.com und art-tv.ch: © Kaspar Sannemann, 19. September 2009


Samstag, 12. September 2009

Zürich: ERNANI, 11.9.2009


Oper in vier Akten
Musik: Giuseppe Verdi
Libretto: Francesco Maria Piave, nach Victor Hugo
Uraufführung: 9. März 1844 in Venedig
Aufführungen in Zürich: 4.9. | 6.9. | 11.9.| 13.9. 2009
Kritik:
Ein Fest schöner, aber auch lauter Stimmen, bescherte die Wiederaufnahme der Inszenierung von Grischa Asagaroff aus dem Jahre 1997. Nello Santi stand am Pult, und wie immer wenn der inzwischen 78jährige Maestro in Zürich auftritt, fliegen ihm die Herzen des Zürcher Publikums zu. Kein Dirigent wird in Zürich so herzlich willkommen geheissen wie er. Auch diesmal dirigierte er das Werk auswendig, mit straffer Hand und federnder Rhythmik führte er Orchester und Sänger. Dass der Chor manchmal ein wenig schlampte, ist wohl nicht seine Schuld. Sängerisch bewegte sich der Abend auf hohem Niveau. Allen voran Thomas Hampson als Don Carlo: Stimmschön und intensiv sang er die königlich/kaiserliche Partie. Salvatore Licitra in der Titelrolle kannte nur f und ff, aber dies äusserst gekonnt. Das Finale des zweiten Aktes geriet so zu einem Höhepunkt. Carlo Colombara war ein jugendlich klingender und attraktiver Silva, da verstand man gar nicht, dass Elvira ihn so ablehnt. Sein profunder Bass vermochte den wunderbaren Kantilenen Verdis Wärme einzuhauchen. Joanna Kozlowska sang die Elvira mit grosser Attacke, gelegentlich laut "gebellten" Tönen, verfügte aber auch über die Genauigkeit in den Koloraturen und glasklare, metallische Spitzentöne.
Die opulente Ausstattung von Dante Ferretti ist wunderschön anzuschauen, man fühlt sich in einem Museum. Doch Asagaroff fiel nichts ein, um die Personen und ihre Handlungen zu charakterisieren. Steifer Rampengesang, Auf- und Abmarsch von Soldaten, konvetionelle Armbewegungen...Sicher, es sind ausser Kozlowska keine Sänger der Premiere mehr am Werk, doch Asagaroff ist Oberspielleiter in Zürich und deshalb könnte man bei einer Wiederaufnahme doch etwas mehr erwarten.
Dem Publikum gefiels, grosser Applaus für alle.
Werk und Inhalt:
Die Vorlage basiert auf dem Drama Hernani von Victor Hugo aus dem Jahre 1830. Dieses Drama wird seit Verdis Oper selbst auf den französischen Bühnen kaum mehr aufgeführt. Die Handlung ist fiktiv, obschon die Figuren auf historische Persönlichkeiten verweisen und die Handlung auf deren Lebensstationen bezug nimmt (etwa die Wahl des Kaisers Karl V.). Thematisiert wird die Rache, und diese wird in verschiedenen Facetten und Stufen umgesetzt. Das Rachegefühl scheint um so grössere Befriedigung zu erheischen, als ein perfektes Glück zweier frisch Vermählter vor der furchtbaren Alternative eines ehrlosen Lebens durch den Tod beendet wird. 
Mit dieser, seiner fünften Oper schaffte Verdi den endgültigen Durchbruch. Sie wurde im 19. Jahrhundert sehr oft aufgeführt. Die mitreissende Melodik vermag auch heute noch zu begeistern, das Finale des dritten Aktes in der Kaisergruft zu Aachen ist eines der packendsten von Verdi überhaupt.
für oper-aktuell: © Kaspar Sannemann, 12. September 2009

Freitag, 11. September 2009

Basel: MADAMA BUTTERFLY, 10.9.2009



Tragedia giapponese in drei Akten
Musik: Giacomo Puccini
Libretto: Luigi Illica / Giuseppe Giacosa
Uraufführung: 17. Februar 1904 in Mailand, dreiaktige Neufassung am 28. Mai 1904 in Brescia
Aufführungen in Basel: 10.9. | 13.9. | 19.9.| 24.9. | 28.9. | 3.10. | 18.10. | 24.10. | 30.10. | 9.11. | 15.11. | 1.12. | 3.12. | 6.12. | 23.12. | 2.12. 2009
2.1. | 4.1. 2010
Infos und Karten

Kritik:
Gut möglich, dass einige Besucherinnen und Besucher der gestrigen Premiere von MADAMA BUTTERFLY in ein paar Jahren werden sagen können: ICH WAR DABEI, ALS EIN NEUER STERN AM OPERNHIMMEL AUFGING! Denn für die Beschreibung der Leistung der jungen SVETLANA IGNATOVICH fehlen einem beinahe die Superlative. Rein und zart schwebt ihre makellose Stimme über den hohen Sopranen bei ihrem ersten Auftritt, mit Humor und mädchenhafter Verliebtheit wirft sie sich dem (gut aussehenden) Yuppie Pinkerton in die Arme, leidenschaftlich und selbstbewusst agiert sie im langen Liebesduett; zwischen bangem Hoffen, Selbsttäuschung und Verzweiflung schwankt sie im zweiten Akt, und wenn sie dann im dritten Akt mit fahler Stimme zu Con onor muore ansetzt, ist das von einer nicht mehr zu überbietenden Kraft und Intensität. Den Jubel des Publikums hat sie sich mit dieser phänomenalen Leistung mehr als verdient.
Es gehört zu den Stärken dieser Produktion, dass neben Frau Ignatovich ein junges, ebenso überzeugendes Ensemble auf der Bühne steht. Maxim Aksenov gibt den Unsympathen Pinkerton mit yuppiehafter Überheblichkeit, ein Jungspund, der schnell zu Geld gekommen ist, glaubt die ganze Welt gehöre ihm und nicht merkt, dass er in zu grossen Schuhen steckt. (Ist es Zufall, dass er äusserlich an den jungen Brad Pitt erinnert?) Mit glatter, sehr gut fokussierter Stimme singt er unbeschwert den ersten Akt und findet in Addio fiorito asil zu berührender Empfindsamkeit. Auch Sharpless ist in dieser Inszenierung ein smarter Typ. Eung Kwang Lee verleiht dieser zwiespältigen Figur mit charaktervoller Baritonstimme und grossem darstellerischem Können Gewicht. Valentina Kutzarova kann u.a. im Blumenduett ihre Qualitäten offenbaren. Einmal mehr bedauert man, dass Puccini diese Partie relativ klein gehalten hat. Andrew Murphy hat einen starken Auftritt als Onkel Bonze (hier eher ein japanischer Godfather, mit Bodyguards), der profitgierige Heiratsvermittler Goro gewinnt durch Karl-Heinz Brandts Darstellung ein überzeugendes Profil.
Enrico Delamboye und das wunderbar aufspielende Sinfonieorchester Basel zeigen eine der reifsten Partituren Puccinis (gespielt wird die gängige Fassung von 1907) in all ihren herrlichen Farben, vom gehetzt präzisen, fugierten Beginn bis zum rhythmisch vertrackten grossen Intermezzo zu Beginn des dritten Aktes.
Wie die BOHÈME in Bern ist auch die BUTTERFLY in Basel mit grosser Sensiblität von einer Frau inszeniert. Jetske Mijinssen (Regie), der Bühnenbildner Paul Zoller und Arien de Vries (Kostüme) zeigen MADAMA BUTTERFLY als heutiges Stück, denn die Themen dieser Tragödie sind nicht an eine bestimmte Zeit gebunden. Imperialistisches Gehabe, männliche Sorglosigkeit und Arroganz sind zeitlos. Butterfly und ihr Kind müssen in einem nie fertigen Häuschen aus unverputzten Gipsplatten wohnen, als sich dann die gesamte Bühne während des (wunderschön intonierten) Summchores öffnet, sieht man, dass da kein Himmel ist, kein Platz für Hoffnung, sondern nur eine weitere Wand aus grauen Gipsplatten.

In dieser Trostlosigkeit fixiert Cio-Cio San ihre ganze Liebe auf das gemeinsame Kind, überhäuft es mit Spielsachen. Doch als ihr die naive Kate (und die Vormundschaftsbehörden) auch noch das Kind wegnehmen, sieht sie keinen anderen Ausweg mehr, als sich selbst zu töten.
MADAMA BUTTERFLY wird in dieser Saison auch noch in Zürich (Oktober) und in St.Gallen (Mai) Premiere haben. Man darf gespannt sein.
Fazit:
Eine Cio-Cio San der Superlative und ein exzellentes Ensemble lassen diese BUTTERFLY zu einem unvergesslichen Erlebnis werden.
Werk:
Das Fiasko der Uraufführung von MADAMA BUTTERFLY lag vermutlich in den Rivalitäten der beiden mächtigen Verlagshäuser Italiens (Ricordi und Sonzogno) begründet. Puccini zog die Oper sofort zurück und präsentierte kurz darauf in Brescia ein neue, diesmal äusserst erfolgreiche Fassung. BUTTERFLY gehört zu den meistgespielten Opern der Welt, in den USA ist sie seit Jahrzehnten die Nummer eins. Sie ist die stilistisch geschlossenste Oper des Meisters. Der melodische Einfallsreichtum, die gewagte, auch an die Grenzen der Tonalität stossende, von Melodien japanischer Herkunft inspirierte Harmonik machen aus MADAMA BUTTERFLY weit mehr als das kitschig sentimentale Drama, als welches es oft herablassend bezeichnet wird.
Die Oper hat auch in der Pop Musik (Un bel dì gibt es in unzähligen Versionen), im Film (z.B. FATAL ATTRACTION mit Glenn Close und Michael Douglas) und im Musical (MISS SAIGON) ihre Spuren hinterlassen.
Inhalt:
Der leichtlebige amerikanische Marineoffizier Pinkerton heiratet in Nagasaki die 15jährige Cio-Cio San, genannt Butterfly. Die Warnungen des amerikanischen Konsuls Sharpless schlägt er in den Wind. Die Heiratszeremonie wird durch den Onkel Cio-Cio Sans gestört, welcher das junge Mädchen verflucht, weil sie heimlich zum Christentum konvertierte.
Der Akt schliesst mit einem der längsten und schönsten Liebesduette der Opernliteratur.
Drei Jahre später:
Butterfly hat einen Sohn von Pinkerton. Der selbst hat sich aber nie mehr in Japan blicken lassen, doch Butterfly gibt die Hoffnung nicht auf, dass er sie nach Amerika holen wird. Suzuki zweifelt. Sharpless will Butterfly darauf vorbereiten, dass Pinkeron zwar auf dem Weg nach Japan sei, doch nicht ihretwegen. Ihren Verehrer Yamadori weist Butterfly standhaft ab.
Ein Kanonenschuss verkündet die Ankunft des amerikanischen Kriegsschiffes.
Butterfly hat die ganze Nacht lang vergeblich auf Pinkerton gewartet. Sie zieht sich zurück. Pinkerton erscheint im Garten mit seiner neuen Frau Kate um seinen Sohn nach Amerika zu holen. Butterfly ersticht sich mit dem Dolch, mit dem auch ihr Vater einst Selbstmord begangen hatte.
Musikalische Höhepunkte:
Dovunque al mondo, Pinkerton – Sharpless, man hört die amerikanische Nationalhymne
Ancora un passo, Auftritt von Cio-Cio San und ihren Freundinnen, Akt I
Bimba, Bimba, non piangere, Duett Cio-Cio San – Pinkterton, Akt I
Un bel dì, Arie der Cio-Cio San, Akt II
Tutti i fior? Duett Cio-Cio San – Suzuki, Akt II
Coro a bocca chiusa , Summchor, Zwischenspiel zu Akt III
Addio, fiorito asil, Arioso des Pinkterton, Akt III
Con onor muore, Finale Akt III
Für oper-aktuell und art-tv: © Kaspar Sannemann, 11. September 2009

Donnerstag, 10. September 2009

Bern: La Bohème, 9.9.2009


Oper in vier Bildern
Musik: Giacomo Puccini
Libretto: Luigi Illica / Giuseppe Giacosa
Uraufführung: 1. Februar 1896 im Teatro Regio, Turin
Aufführungen in Bern: 9.9. | 15.9. | 19.9.| 26..9. | 4.10. | 11.10. | 25.10. | 27.10. | 14.11. | 21.11. | 28.11. | 11.12. | 19.12. | 29.12.2009
17.1. | 24.1. | 13.2 . | 17.2. | 7.3.2010
Kritik:
Stimmig - im besten Sinn des Wortes - ist diese Neuinszenierung von Puccinis LA BOHÈME in Bern. Regisseurin Mariame Clément und ihre Bühnenbildnerin Julia Hansen haben weder Ort noch Zeit verändert, die Geschichte dieser jungen Menschen spielt sich in etwa zur Entstehungszeit der Oper ab. Turbulent und lustig geht es zu Beginn in der Dachkammer zu und her, ebenso auf dem Weihnachtsmarkt mit den vielen Christbäumen, ja selbst Santa Claus gibt sich kurz die Ehre, bevor dann die ganze Tragik der Liebesbeziehung zwischen Rodolfo und Mimì ab dem dritten Bild offen gelegt wird: An der Zollschranke, mit dem obligaten Schneefall, und im letzten Bild in einer noch ärmlicher eingerichteten neuen Dachkammer. Logischerweise mussten die vier Freunde nach ihrem Schabernack mit dem Vermieter Benoît (ganz hervorragend dargestellt von Lionel Peintre) umziehen. Bei der Zeichnung der Charaktere hat Frau Clément viel Feingefühl bewiesen, hat sich ganz auf die Protagonisten konzentriert, sie hervorgehoben und dem Chor im zweiten Bild deshalb Halbmasken und pantomimisches Agieren verpasst. Schlichtweg genial zeigte sich die Charakterisierungskunst der Regisseurin im ersten Bild bei der Begegnung Rodolfos mit Mimì: Während Rodolfo seine berühmte Händchen-Arie so grosspurig, wichtigtuerisch und mit gespielt falscher Bescheidenheit vorträgt, hört Mimì verzückt und bewundernd zu. Er hingegen steht gelangweilt und angeödet da, wenn sie von ihrem einfachen Leben erzählt. Doch sobald sie dann poetischere Töne anschlägt, wird er in ihren Bann gezogen, das Licht auf der Bühne wird unnatürlich, die Möbel schweben davon und die beiden vereinigen sich  für (allzu) kurze Zeit in einer Traumwelt, in der es ausser ihrer Liebe nichts anderes mehr gibt. Ein berührendes Bild.
Tamara Alexeeva ist eine selbstbewusste, natürliche und doch verletzliche Mimì, ihre leuchtende, sehr angenehm timbrierte Stimme vermag die tiefen Gefühle der Zuneigung, der Liebe und des Schmerzes aufs Wunderbarste auszudrücken. Hoyoon Chung ist ganz der joviale, leichtlebige Rodolfo, seine Ariosi trägt er gekonnt, höhensicher und mit viel Schmelz vor, aber manchmal auch etwas gar vordergründig plakativ. Sein Duett mit Marcello im vierten Bild hingegen gerät zu einem wahren Stimmfest von unter die Haut gehender Intensität zweier grossartiger Sänger: Robin Adams ist sowohl darstellerisch als auch stimmlich ein wunderbar facettenreicher Marcello. Das Herrenquartett wird durch die tolle Leistung von Gerardo Garciacano als Schaunard und Carlos Esquivel als mehr auf seine Sprüche als auf Körperpflege achtenden Philosophen Colline ergänzt.
Bleibt noch Marcellos Muse Musetta: Hier hat das Berner Theater mit der Verpflichtung von Daniela Bruera den ganz grossen Wurf gelandet. Die Koloraturen perlen nur so, die Wandlung von dem zu Beginn so durchtriebenen Frauenzimmer zur zu echtem Mitgefühl fähigen jungen Frau gelingt Frau Bruera auf überzeugende Art und Weise. Die Stimme verfügt über eine substanzreiche Fülle und einen ausserordentlichen Wohlklang.
Ein ganz spezielles Lob gebührt dem Kinderchor der Musikschule Köniz, der mit Präzision und Klangschönheit zu begeistern wusste.
Srboljub Dinić und das Berner Symphonieorchester gehen mit viel Verve zur Sache. Das ist ein lauter, unsentimentaler Puccini, da wird nicht geschönt, Dissonanzen werden offengelegt. Recht so. Puccini steht nämlich nicht für Kitsch, sondern für echte, tief empfundene Gefühle in all ihren Widersprüchen, und für diese hat die Berner Aufführung eine stimmige Plattform bereitgestellt.

Inhalt undWerk:
Puccinis LA BOHÈME gehört zweifellos zu den bedeutendsten Werken der italienischen Oper.
In eindringlichen, atmosphärisch dichten Bildern zeichnen Puccini und seine Librettisten Szenen aus dem Leben junger Menschen. Sie träumen von Freiheit und Selbstverwirklichung, sie lieben und sie streiten sich, sie kämpfen mit Humor ums Überleben. Doch als eine von ihnen tödlich erkrankt, wird aus dem sorglosen Leben bitterer, tragischer Ernst.
Puccini hat dazu eine seiner farbenprächtigsten Partituren komponiert, lyrisch-sentimentale Stellen verschmelzen mit humorvoll kontrastierenden Passagen, die Personen sind überaus stimmig in kurzen, prägnanten Ariosi charakterisiert. Im letzten Bild verschmelzen all diese Leit- und Erinnerungmotive, der Orchesterklang wird aber zugleich dünner und führt so zum ergreifenden Schluss.
Musikalische Höhepunkte:
Che gelida manina, Arie des Rodolfo, Bild I
Si, mi chiamano Mimì, Arie der Mimi, Bild I
O soave fanciulla, Duett Mimì-Rodolfo, Bild I
Quando m’en vo, Walzer der Musetta, Bild II
Addio dolce svegliare, Duett Mimì-Rodolfo mit Hintergrundgezänk Marcello-Musetta, Bild III
Vecchio zimarra, senti, Arie des Colline, Bild IV
O Mimì, tu più non torni, Arioso des Rodolfo, Bild IV
Und nicht verpassen:
In Zusammenarbeit mit dem Schweizer Fernsehen
La Bohème im Hochhaus
Livesendung am
29. September 2009, 20.05 Uhr, SF 1 und arte
Musikalische Leitung: Srboljub Dinić
Inszenierung im Hochhaus: Anja Horst
Chor des Stadttheater Bern
Chorleitung: Alexander Martin
Kinderchor der Musikschule Köniz
Berner Symphonieorchester

Für oper-aktuell: © Kaspar Sannemann, 10. September 2009

Montag, 7. September 2009

Luzern: Wozzeck, 6.9.2009


Mit packend intensivem Musiktheater eröffnet das Luzerner Theater die Saison mit der Musikalischen Tragödie Wozzeck von Manfred Gurlitt nach dem Stück von Georg Büchner.


Musikalische Tragödie in 18 Szenen von Manfred Gurlitt 

Uraufführung: 21. April 1926 in Bremen
Musikalische Leitung: Mark Forster 
Inszenierung: Vera Nemirova,  Bühne: Werner Hutterli 

KOPRODUKTION MIT LUCERNE FESTIVAL
PREMIERE: 6. SEPTEMBER 2009, 19.30 UHR IM LUZERNER THEATER
WEITERE VORSTELLUNGEN: 8.9., 13.9. (13.30 Uhr), 16.9. (20.00 Uhr), 24.9., 26.9., 2.10. (Theatertag),
10.10., 16.10., 5.11.09 jeweils 19.30 Uhr
Kritik:
Klug durchdacht und jenseits ausgetretener Pfade präsentiert sich der Spielplan für die Spielzeit 2009/10 des Luzerner Theaters. Mit Manfred Gurlitts WOZZECK stellt man ein Werk zur Diskussion, das unter anderem wegen Alban Bergs berühmterer Adaption des gleichen Stoffes beinahe der Vergessenheit anheim zu fallen drohte. Das Luzerner Ensemble hat mit diesem Stück viel gewagt – und gewonnen! Gurlitt kann neben Berg durchaus bestehen, ja seine Version der unverwüstlichen Tragödie Büchners ist diesem in ihrer raueren, konsequenter das Fragmentarische der Vorlage betonenden Struktur sogar verwandter – und mit der frei schwebenden Tonalität auch dem Ohr des Zuschauers näher.
Vera Nemirova setzt in ihrer intensiven Inszenierung ganz auf die Interaktionen zwischen den Figuren und schafft es so, das tragische Geschehen ungemein spannend, packend, geradlinig und ohne störenden Firlefanz zu erzählen. Sie stellt den Epilog dem Werk voran und lässt es mit Wozzecks Suche nach dem Messer und dem von den Kameraden abgeholten Kind offen enden. Das wirkt zuerst etwas verstörend, aber gerade dieses befremdende Ende ist unglaublich stark, hart und unsentimental – und entspricht auch dadurch dem fragmentarischen und allgemein gültigen Charakter der Vorlage.
Die leere, von drei flachen Quadern begrenzte Bühne von Werner Hutterli und die ganz in Weiss gehaltenen Kostüme von Ulrike Kunz (nur Marie erscheint nach ihrem „Sündenfall“ in Rot) verstärken die Konzentration auf die Kernaussagen noch. Die Sängerinnen und Sänger haben sich ihren schwierigen Rollen voll und ganz verschrieben. Marc-Olivier Oetterli ist als Wozzeck von einer Intensität ohnegleichen. Immer wieder lässt er die Fragilität der Figur mit seinem warmen Bassbariton durchschimmern. Seine Marie wird von Simone Stock mit leuchtendem, äusserst differenziert eingesetztem Sopran gesungen, ihr Spiel ist ebenso intelligent gestaltet. Die namenlosen Figuren Tambourmajor, Arzt (Jude) und Hauptmann erhalten durch Manuel Wiencke, Patrick Jones und Thomas Ghazeli die richtige Mischung aus karikierter Überzeichnung und phänomenaler musikalischer Gestaltung. Caroline Vitale ist ganz toll als moralinsaure, eifersüchtige Nachbarin und als ruhig erzählende alte Frau. Eine grossartige Leistung vollbringen auch das Luzerner Sinfonieorchester, die Mitglieder der Luzerner Kantorei und der Chor des Theaters Luzern unter dem Dirigenten Mark Foster. Das Orchester ist von Gurlitt zwar relativ gross besetzt, wird in den einzelnen Szenen aber immer kammermusikalisch und auch oft lautmalerisch eingesetzt. Die musikalische Struktur bleibt dank den Musikerinnen und Musikern immer gut durchhörbar und trotz der kurzen Szenen, welche durch Auf- und Abblendungen geteilt sind, fesselnd.
Das Premierenpublikum bedankte sich bei allen Beteiligten zu Recht mit lang anhaltendem, begeistertem Applaus.
Fazit:
Ein spannender Abend – der mit Tom Waits Musicaladaption WOYZECK ab dem 18 September im Luzerner Theater eine hochinteressante Ergänzung und Fortsetzung finden wird.
Inhalt:
Der Mensch ist nichts als ein Haufen Dreck und Staub.
Der schlecht bezahlte Soldat Wozzeck wird von allen ausgenutzt. Sein Hauptmann hält ihm Moralpredigten, der Doktor missbraucht ihn für medizinische Versuche, seine Frau Marie betrügt ihn mit dem Tambourmajor. Wozzeck leidet zunehmend unter Visionen und schrecklichen Ängsten. Er kauft sich ein Messer und bringt damit seine geliebte Marie um. Auf der Suche nach dem ins Wasser geworfenen Messer ertrinkt er.
Werk:
Nur vier Monate nach der Uraufführung von Alban Bergs weitaus berühmterer Vertonung des Büchner Stoffes gelangte Manfred Gurlitts WOZZECK zur Uraufführung. Man geht davon aus, dass Gurlitt Bergs Oper NICHT gekannt hatte. Gurlitt war ein Kompositionsschüler von Engelbert Humperdinck (Hänsel und Gretel, Königskinder). 1933 trat er in die NSDAP ein, seine Mitgliedsaft wurde jedoch später aufgrund angeblich jüdischer Verwandtschaft für nichtig erklärt. 1939 konnte er nach Japan emigrieren, wo er als Dirigent und Professor an der Musikhochschule sehr erfolgreich war.
Sein in frei schwebender Tonalität gehaltener WOZZECK klingt schlichter und rauer als Bergs Meisterwerk, die einzelnen Szenen werden nicht wie bei Berg durch facettenreiche Zwischenspiele verbunden, die 18 Szenen sind kammermusikalisch instrumentiert, stehen isoliert voneinander da und bekräftigen damit das episodenhafte von Büchners Vorlage. Die Partie der Marie hingegen ist sehr virtuos angelegt.


Für oper-aktuell.blogspot.com und art-tv.ch: © Kaspar Sannemann, 6. September 2009

Mittwoch, 2. September 2009

Winterthur: La Grotta di Trofonio

 
  
 

Opernhaus Zürich - zur Saisoneröffnung in Winterthur

La Grotta di Trofonio
Opera comica in zwei Akten
Musik: Antonio Salieri
Text: Giovanni Battista Casti
Uraufführung: 12. Oktober 1785 im Burgtheater Wien
Aufführungen in Winterthur: 2.9. | 3.9. | 5.9. und 6.9.09

Infos und Karten
Kritik: Das Ohr konnte sich an mancherlei Preziosen erfreuen an diesem Abend im Theater Winterthur: Ein exquisites, virtuoses Sängerensemble bot Arien, Duette und Quartette mit grossem Reichtum an Klangfarben dar. Das Musikkollegium Winterthur (mit Jeffrey Smith am Hammerflügel) unter seinem neuen Chef Douglas Boyd zeigte bereits in der fulminant gestalteten Ouvertüre seine Klasse und unterstrich diese im Verlauf des Abends mit der einfühlsamen aber auch durchaus eigenständigen Begleitung der Sängerinnen und Sänger (hervorragende Leistungen der Bläser liessen aufhorchen).
Isabel Rey als lebenslustige Dori hat endlich wieder einmal eine Rolle erhalten, die auf sie zugeschnitten scheint und bei der sie ihr grosses komödiantisches Talent und ihre Gesangskultur voll ausspielen konnte. Ihre umwerfendste Szene als enttäuschte Betrunkene hatte sie zu Beginn des zweiten Aktes. Das war eine Klasseleistung. Serena Malfis Debüt auf der Bühne hatte Ereignischarakter. Hier reift eine wunderbare Mezzosopranisten heran, eine kräftige und doch samtene Stimme paart sich mit schauspielerischem Talent. Die Opernfreunde dürfen sich auf ihre Rosina in Rossinis Barbier im Dezember auf der Zürcher Bühne freuen. Aber auch die vier Männer wussten zu überzeugen: László Polgár war ein markant witziger Trofonio, Gabriel Bermúdez verlieh dem Plistene mit seinem angenehm weich und sauber klingenden Bariton und dem umwerfenden Spiel grosse Präsenz, Davide Fersini als Vater der beiden Damen gestaltete seine Partie mit viel Augenzwinkern und Humor und last but bei weitem nicht least Kresimir Spicer, der in seinen schwierigen Arien mit seinem bruchlos und differenziert geführten Tenor Begeisterungsstürme auslöste.
Und doch: Stellenweise zog sich der Abend etwas zäh dahin. Das lag daran, dass der Regisseur Mario Pontiggia das Werk (zu) ernst genommen und wenig hinein interpretiert hatte. Gerade diesem Stück hätte aber eine frechere Interpretation nicht geschadet. So wirkte alles zwar niedlich, nett, war begrenzt lustig und hübsch anzuschauen, aber insgesamt zu brav. Selbst die witzigen Running Gags, die zu Beginn zu beobachten waren, wurden in der Folge nicht konsequent weitergeführt. Der Beginn des zweiten Aktes begann mit etwas mehr Pfiff, doch schon bald breitete sich wieder eine gewisse Langeweile und einschläfernde Betulichkeit aus. Nicht ganz unschuldig daran ist bestimmt auch das zu geschwätzig gehaltene Libretto Castis.
Aber insgesamt: Lohnenswert, vor allem wegen der hervorragenden musikalischen Umsetzung.
Inhalt:
Die ungleichen Zwillinge Ophelia (ernst) und Dori (lebenslustig) haben sich mit ihnen wesensverwandten Männern verlobt. Ophelia mit dem seriösen Artemidor und Dori mit dem fröhlichen Plistenes.
Die beiden Männer haben nun beim Zauberer Trofonio Rat geholt und kommen völlig verändert zu ihren Geliebten zurück. Artemidor ist nun der gesellige Typ, während Plistenes sehr introvertiert und nachdenklich wirkt. Den beiden Schwestern gefallen diese Gemütsveränderungen überhaupt nicht. Sie blasen die geplante Vermählung ab und suchen ebenfalls Rat bei Trofonio. Doch auch sie kehren völlig verändert zurück. Dori wirkt nun grüblerisch und Ophelia erfreut sich an Belanglosigkeiten. Nun wenden sich auch die beiden Männer von ihren Geliebten ab. Ein heilloses Durcheinander entsteht. Der Vater der beiden Zwillinge, Aristos, bittet den Zauberer, alles wieder in Ordnung zu bringen. Trofonio – obwohl er an seinem Spiel mit den Liebenden einen Riesenspass gehabt hat – gibt den Paaren ihren eigentlichen Charakter zurück. Dem Happyend steht nichts mehr im Wege.
Komponist und Werk:
Das Gerücht, Salieri habe seinen berühmten Kollegen Mozart vergiftet, hält sich hartnäckig, obwohl keine Beweise oder Anhaltspunkte dafür existieren. Puschkins Novelle (Mozart und Salieri, 1830) oder in jüngerer Zeit Peter Shaffers Theaterstück AMADEUS und die daraus entstandene Verfilmung haben dazu beigetragen, Salieris Ruf zu ruinieren. Immer wieder wurden in jüngster Zeit Versuche gemacht, seinen Ruf als Komponist zu rehabilitieren (Cecilia Bartoli und Diana Damrau mit ihren Solo-Alben, die Mailänder Scala mit L'EUROPA RICONOSCIUTA oder das Opernhaus Zürich vor sechs Jahren ebenfalls in Winterhur mit AXUR, RE D`Ormus). Angesichts von Mozarts Genius haben es Salieris Opern schwer, sich auf den Bühnen durchzusetzen.
LA GROTTA DI TROFONIO war zunächst ein grosser Erfolg beim Publikum beschieden. Salieri schrieb eine feinsinnige, farbenreiche Musik zu Castis stellenweise satirischem Text. Besonders die musikalische Charakterisierungskunst des Komponisten verdient Beachtung. Wer genau hinhört, wird musikalische Wendungen entdecken, welche ihm bekannt vorkommen. Aber aufgepasst: Salieris Werk erschien VOR Mozarts drei da Ponte Opern. Also hat der Mozart sich keineswegs gescheut, bei seinem Rivalen abzukupfern. Auch inhaltlich kommt einem der Plot doch sehr bekannt vor ... Mozart/da Ponte haben das Thema in COSÌ FAN TUTTE aufgenommen.
In allen Operntexten Castis trifft man auf satirische Elemente, in La Grotta di Trofonio wird vor allem auf die zur Entstehungszeit besonders grassierende Furcht vor Übersinnlichem angespielt. Salieri antwortet auf die sprachlich gewandte, aber etwas schablonenhaft wirkende Vorlage Castis mit einer ausgesprochen feinsinnigen, farbenreichen Musik, die einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung musikalischer Charakterzeichnung der Protagonisten leistet. Besonders der ausgeklügelte Einsatz der Holzbläser ist bemerkenswert (zum Beispiel eine nur von zwei Englischhörnern und Fagott begleitete Cavatine). Zur ironisierten Schilderung des Übersinnlichen setzt Salieri aparte Orchesterfarben (zum Beispiel im Tritonus gestimmte Pauken) und einen hinter der Szene singenden Männerchor (Coro di spirti dentro la grotta) ein.




LA GROTTA DI TROFONIO erfreute sich nach der Uraufführung grosser Beliebtheit, trat später jedoch hinter die Werke Mozarts zurück. Das Opernhaus Zürich produziert diese Aufführung als Koproduktion mit der Oper Las Palmas, Gran Canaria.
Für oper-aktuell: © Kaspar Sannemann, 2.9.2009