Samstag, 27. Juni 2009

St. Gallen: SAMSON ET DALILA, 26.6.09

St. Gallen, Klosterhof

Eindringliche, starke Bilder an einem der wohl schönsten Openair Plätze: Diese grossartige Festspielproduktion in St. Gallen berührt und begeistert!

Premiere: 26. Juni 2009

Oper in drei Akten
Musik: Camille Saint-Saëns
Libretto : Ferdinand Lemaire
Uraufführung: 2. Dezember 1877 in Weimar
Aufführungen in St. Gallen: 26.6. | 27. 6. | 30.6. | 3.7. | 4.7. | 8.7. |10.7.09
Beginn jeweils 20.30 Uhr

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Kritik:
Die starken, unter die Haut gehenden Bilder dieser Produktion wird man so schnell nicht vergessen: Zu Beginn füllt sich das von rostigen Eisenplatten umgebene, klaustrophobisch anmutende Halbrund (Bühne: Ferdinand Wögenbauer) mit quälender Langsamkeit mit verfolgten, unterdrückten Juden. Junge, Alte, Kranke, Kinder treten einzeln und in Gruppen auf, ihre in Grau- und Schwarztönen gehaltenen Kostüme (Annamaria Heinreich) sind verschmutzt. In fatalistischer Ergebenheit scheinen sie sich ihrem schmerzvollen Schicksal zu ergeben, bevor sie sich gemeinsam zur Anklage gegen den Gott, der sie im Stich gelassen hat, vereinen. Die ergreifende Klage wird von den Chören (Chor des Theaters St.Gallen, Theaterchor Winterthur, Prager Philharmonischer Chor) mit grosser Eindringlichkeit vorgetragen. Ganz gegensätzlich präsentiert Regisseur Stefano Vizioli dann die dekadente Welt der Philister, den von Lustsklaven umgebenen Abimelech (Roman Ialcic mit profundem Bass, man bedauert, dass er so früh von Samson ermordet wird, hätte ihm gerne noch länger zugehört … ), den wollüstigen, polternden Oberpriester (sehr präsent singend und agierend: Anooshah Golesorkhi) und natürlich die verführerische Dalila. Mon coeur s’ouvre à ta voix singt sie – und nicht nur Samson verfällt ihren Reizen, auch das Publikum ist fasziniert von dieser Stimme und öffnet seine Herzen für sie. Elena Maximova ist die perfekte Dalila: Mit ihrem wunderbar satt, leicht guttural strömenden, viel Erotik und Wärme ausstrahlenden Mezzo vermag sie restlos zu begeistern. Sie ist die Liebende, die Verführerin, aber auch die von den Männern ausgenutzte und missbrauchte Frau. Die Zerrissenheit des Helden Samson zeigt Ian Storey (der Zürcher Tristan!) überzeugend. Zu Beginn ist er der über sich hinauswachsende Held, der sein Volk zum Widerstand antreibt, dann verfällt er den Verführungskünsten der Dalila, folgt seinen Trieben und wird doch immer wieder von religiösen Gewissensbissen heimgesucht. Ian Storey wagt es auch, den Beginn des dritten Aktes mit gebrochener Stimme zu gestalten. Doch noch einmal erhebt sich sein Tenor zu strahlender Höhe, als er den Tempel zum Einsturz bringt. Seine leicht gaumig klingende Stimme mag nicht jedermanns Sache sein, mit gefiel seine Interpretation ausgezeichnet. Vielleicht lag es auch daran, dass dank der Microports kein Sänger gezwungen war zu forcieren. Die Stimmen klangen überaus präsent, die Balance zwischen dem differenziert aufspielenden Orchester und den Stimmen war wunderbar ausgeglichen. Ein grosses Lob für die Tontechniker!
Dirigent Sébastien Rouland hielt den riesigen Apparat über verschiedene Monitore zusammen, es ergaben sich praktisch keine Wackler. Es lohnt sich durchaus, auch mal den Kopf zu wenden und über einen der Monitore einen Blick auf sein faszinierendes, engagiertes Dirigat zu werfen. Seine kluge, eindringliche Konzeption war geprägt von eher getragenen Tempi. Trotzdem vermochte er die Spannung zu halten, zeichnete eindringliche Bögen – und überraschte dann mit einem ziemlich schnell dirigierten Mon coeur s’ouvre à ta voix, was dieser zentralen Szene, diesem Bravourstück des Mezzorepertoires, einen ganz besonderen, psychologisch tiefgründigen Reiz verlieh.
Zum Schluss lassen sich die Philister in einem wahren Blutrausch von den ekstatischen Tänzern anstecken (die Choreografie von Annarita Pasculi vermochte in diesem Bacchanale weit mehr zu überzeugen als beim Auftritt der Philisterinnen). Nur die überstark geschminkte, nun zur Hure degradierte Dalila wendet sich apathisch ab, während die Philister in verblendeter Verzückung einem Betonklotz huldigen, der dann von Samson in einer letzten Aufwallung seiner Kräfte gesprengt wird. Die herausströmenden (atomaren?) Dämpfe vernichten alle.

Fazit:
Diese Openair Produktion ist ein Ereignis: Starke Bilder, eindringliche Personenführung und hervorragende Sänger lassen SAMSON ET DALILA zu einem ergreifenden, berührenden Erlebnis werden!

Inhalt:
Das Libretto der Oper beruht auf der biblischen Geschichte des Israeliten Samson, der mit seinen übermenschlichen physischen Kräften die das hebräische Volk unterdrückenden Philister schlägt, aber wegen seiner Liebe zur feindlichen Priesterin Dalila menschliche Schwächen offenbart. Dalila führt ihn in Versuchung, Samsons Fleisch ist schwach. Dalila entlockt ihm das Rätsel seiner Stärke. Durch seine Entmannung (Verlust seines langen Kopfhaares) wird er impotent. Die Philister nehmen ihn gefangen, berauben ihn seines Augenlichts und lassen ihn weibische Sklavenarbeit verrichten. In einer letzten Aufwallung und unter verzweifelter Anrufung seines Gottes erlangt er noch einmal seine frühere Stärke. Er reisst die Säulen des heidnischen Tempels ein. Die herabstürzenden Trümmer begraben ihn, Dalila und viele Tausend Philister.

Werk:
Die französische Oper befand sich Mitte des 19. Jahrhunderts in einer grossen Krise. Das Publikum huldigte einerseits den Belcanto-Opern Donizettis und Bellinis oder den monumentalen Werken Meyerbeers, andererseits erlangten die Werke Richard Wagners immer mehr Anhänger (siehe auch FERVAAL in Bern). Eine eigenständige französische Musiksprache konnte sich (trotz Berlioz’ und Gounods Werken) nicht durchsetzen. Zwischen den beiden Lagern tobten vehemente Kämpfe. Jeder Komponist, der dem Orchester einen wichtigeren Stellenwert zuordnete, wurde vom konservativen Lager gleich als Wagnerianer verschrien. So konnte sich auch Saint-Saëns Hauptwerk (zuerst als Oratorium geplant) vorerst in Frankreich nicht durchsetzen, obwohl es weit entfernt vom Wagner Epigonentum ist. Die Grand Opéra de Paris übernahm das Werk erst 1892, danach aber setzte es zu einem grossartigen Siegeszug an und kam allein in Paris im letzten Jahrhundert auf über 1000 Aufführungen. Die farbenreich orchestrierte Partitur mit ihren Orientalismen, den sinnlich erotischen Melodien der Dalila und der raffinierten Gegenüberstellung des barockisierenden Sakralstils in den Chören der Hebräer mit den chromatisch angelegten Philisterszenen gehört zu den absoluten Meisterwerken der französischen Opernliteratur. Die in erotischer Mezzolage singende FEMME FATALE, welche mit Bizets CARMEN Einzug in die Opernwelt gehalten hatte, fand in DALILA eine würdige Nachfolgerin.

Musikalische Höhepunkte:
Israël, rompe ta chaîne, Samson und Hebräer, Akt I
Printemps qui commence, Arie der Dalila, Akt I
Amour, vien aider ma faiblesse, Monolog der Dalila, Akt II
Mon coeur s’ouvre à ta voix, Liebesszene Dalila-Samson, Akt II
Bacchanale, Ballett, Akt III
Gloire à Dagon, Hohepriester, Dalila, Samson, Finale Akt III

1 Kommentar:

Daniel A. Meyer hat gesagt…

Danke für diese differenzierte und interessante Besprechung der Aufführung und auch, dass jemand mal im Zusammenhang realisiert, was die Tontechnik zu leisten vermag.* Auch von mir ein grosses Lob an Frank Sattler, Tonmeister Theater St. Gallen von seinem Mistreiter und Verantwortlichen für's Sound Design an Ort.
Daniel A. Meyer (M&M Hire AG / Habegger AG)

*Ca. 70 Mikrofone verstärken ein eingepacktes Orchester hinter der Bühne, das sonst quasi unhörbar bliebe. Diese "Technik" ermöglicht diese Aufführungspraxis erst.