Montag, 16. Februar 2009

Basel: LULU, 15.2.2009




Unvollendete Oper in drei Akten
Musik: Alban Berg
Text: vom Komponisten, nach Wedekinds ERDGEIST und DIE BÜCHSE DER PANDORA
Uraufführung: Fragment: 2. Juni 1937 in Zürich,
vollständige Fassung (Cerha): 24. Februar 1979 in Paris (Boulez/Chéreau)
Aufführungen in Basel: 21. 2. | 26.2. | 9.3. | 15. 3. | 4.4. | 7.4. | 4.5. | 7.5. | 10.5. | 16.5. | 23.5.
Infos und Karten

Kritik:
Gleich zu Beginn dieser Aufführung wird klar, worum es im Stück von Alban Berg und worum es dem Regisseur Calixto Bieito geht: Um das animalisch-triebhafte der menschlichen Sexualität. Nicht mehr und nicht weniger. Es fallen die Hüllen, die Seelen entblössen sich. Alfons Flores hat ein raffiniertes Bühnenblid geschaffen, einen Plexiglasboden umrahmt von einer Metallkonstruktion, gleichsam ein von allem Überflüssigen befreites Skelett. Genauso brutal werden die Psychen der Handelnden seziert. Mit Leuchtröhren von unten und von oben werden spannende Stimmungen erzeugt, einige mit raffiniert eingebetteten pornographischen Darstellungen versehene Videoprojektionen bebildern die sinfonischen Zwischenspiele, wenige Möbelstücke und Müllsäcke reichen aus, um die verschiedenen Schauplätze anzudeuten, den Aufstieg und Fall einer sexuell entfesselten Frau.
LULU kann nur aufgeführt werden, wenn eine Vollblut Darstellerin zur Verfügung steht – und Marisol Montalvo IST eine solche, ein Glücksfall erster Güte. Sie hat diese Frauengestalt vollkommen verinnerlicht, ist Schmeichlerin, devote Geliebte, verletzte Frau und Mörderin, besitzt die sexuelle Anziehungskraft, vermag damit zu spielen und geht damit auch auf ergreifende Art zu Grunde. Manchmal erinnert sie an Josephine Baker, vor allem in der Szene im Varieté, wo sie, im goldenen Käfig sitzend, Dr. Schön und seine Verlobte im Publikum erblickt, ihn von neuem für sich gewinnt und nötigt, seine Verlobung per SMS aufzulösen. Stimmlich ist Mariso Montalvo dieser immens schwierigen Partie bis hin zu den blitzsauberen Koloraturen gewachsen, singt und spielt mit atemberaubender Leichtigkeit, vermag zu ekeln und zu berühren. Das ist ihr grosses Verdienst, aber auch dasjenige des Regisseurs, welcher die archaische Handlung geradlinig grausam auf die Bühne des Basler Theaters stellt.
Der Protagonistin steht ein ebenso hochkarätiges Ensemble zu Seite. Claudio Otelli ist hervorragend als Dr. Schön, spielt und singt diesen dubiosen Charakter glaubwürdig; im letzten Akt tritt er dann auch als Lulus Mörder Jack the Ripper auf. Sein Sohn Alwa wird von Erin Caves – trotz einer grippalen Indisposition – intensiv dargestellt. Rolf Romei brilliert mit tenoralem Glanz als Maler/Neger. Die zwielichtige Entourage der Lulu wird von Allan Evans als Schigolch angeführt, dem zu Recht vom Publikum besonders herzlich applaudiert wurde. Dazu gesellen sich Andrew Murphy als Rodrigo/Tierbändiger, Aurea Manson als Gymansiastin und vor allem Tanja Ariane Baumgartner, welche der Gräfin Geschwitz durch Spiel und Stimme ein echt berührendes Profil verleiht.
Einen nicht zu unterschätzenden Anteil am Gelingen des Abends hat natürlich auch das Sinfonieorchester Basel unter Gabriel Feltz. Orchester und Dirigent liessen die anspruchsvolle Partitur so leicht und selbstverständlich klingen, als gehöre sie zu ihrem Standardrepertoire. Einmal mehr wurde deutlich, wie intensiv alle Beteiligten, von Technik, Maske, Requisite, Kostüm bis zu hin zu Musikern und Sängern bei einer Opernaufführung Hand in Hand arbeiten müssen, um eine solch herausragende Aufführung zustande zu bringen.
Das Premierenpublikum verdankte den aufwühlenden, herausfordernden Abend mit lang anhaltendem, enthusiastischem Applaus.
Eine kleine Anmerkung sei erlaubt: Zürich und Basel brachten am selben Wochenende verdientermassen zwei bedeutende Werke des 20. Jahrhunderts zur Aufführung, Zürich Strawinskys rückwärtsgewandten, neoklassizistischen RAKE’S PROGRESS vor deutlich gelichteten Zuschauerreihen, Basel Bergs anspruchsvolle, zukunftsgerichtete LULU vor voll besetzten Rängen. Basel hatte in jeder Beziehung die Nase vorn – das spricht für dieses Haus, aber auch für das viel aufgeschlossenere Publikum!
Fazit:
Eine Oper, die nicht kalt lässt – packendes Musiktheater. Das Theater Basel hat viel gewagt – und gewonnen!
Inhalt:
Lulu, diese Urgestalt des Weibes, ist Schlange, Verführerin, geschaffen Unheil anzurichten, zu vergiften, zu morden, oder die ihr Verfallenen in den Selbstmord zu treiben. Keiner ist ihr gewachsen: Ihren ersten Mann trifft der Schlag, der zweite bringt sich um, der dritte wird von ihr ermordet. Sie birgt als Büchse der Pandora alle Übel dieser Welt, funktioniert aber auch als Wunschmaschine und Projektionsfläche der sie umgebenden, männlich beherrschten Welt. Dem gesellschaftlichen Aufstieg folgt die Gosse: In London wird sie zusammen mit der ihr hündisch ergebenen Lesbierin Gräfin Geschwitz vom Lustmörder Jack the Ripper ermordet.
Werk:
Berg legt seiner Komposition eine einzige Zwölftonreihe zu Grunde, durch Mutationen erfährt sie manche Veränderungen, er entwickelt leitmotivartige Klänge und Akkorde, die er den Protagonisten zuordnet. Die musikalische Gestaltung ist neben polyphon atonalen Klängen auch durchsetzt mit in Dur-Moll Tonalität angenäherten Ariosi, Duetten, Kanzonen und choralartigen Elementen. Zudem erfand er mit dem Monoritmica, einem vom Fünfvierteltakt beherrschten Melodram, ein zusätzliches Gestaltungselement. Zusammengehalten werden diese Elemente von ausgedehnten sinfonischen Zwischenspielen, so dass die musikalische Struktur einem grossen Spiegel gleicht.
Berg hinterliess den dritten Akt nur als Fragment, seine Witwe Helene Berg setzte ein testamentarisches Komplettierungsverbot durch. Erst nach ihrem Tod 1976 kam eine aussergerichtliche Einigung mit der Alban Berg Stiftung zustande und die von Friedrich Cerha vollendete LULU konnte in 1979 Paris uraufgeführt werden.

Sonntag, 15. Februar 2009

Zürich: The Rake's Progress, 14.2.09



Premiere: 14. Februar 2009 Oper in drei Akten und einem Epilog
Musik: Igor Strawinsky
Libretto : W.H. Auden und Chester Kallman
Uraufführung: 11. September 1951 in Venedig (mit Elisabeth Schwarzkopf als Anne!)
Aufführungen in Zürich: Mi, 18.02.2009 | Fr, 20.02.2009 | So, 22.02.2009 | Di, 24.02.2009 | Do, 26.02.2009 | Sa, 28.02.2009 | Mi, 04.03.2009

Kritik:
Wenn ein Regisseur, wie hier im Fall von Martin Kušej, öffentlich bekannt macht, dass er ein Libretto indiskutabel schwach findet, kein Mitgefühl für die Protagonisten aufbringen kann und will, dann muss man sich fragen, warum er die Oper überhaupt inszeniert. Nur um zu schauen, ob sein Korsett, in welches er das Werk presst, auch funktioniert? Ist das dann nicht ebenfalls selbstsüchtiges Gehabe, nicht besser als die Publicity Geilheit, die er seinen Figuren über lange drei Stunden vorwirft? Sicher, einige beklemmende Bilder findet er: Das ewige Streben nach Reichtum, vermeintlichem Glück und Berühmtheit findet in einer Art Big Brother Container im Zürich des Jahres 2009 statt, erst ärmlich eingerichtet mit Matratze auf dem Fussboden, leeren Bierdosen und Pizzakartons, Tom ist ein Vollblut-Prolet in weissen Socken, dann der Aufstieg in die Villa am See, da darf er dann auch mal ins Wasser springen und Champagner trinken und schliesslich – das stärkste Bild – vor der leeren Schrankwand aus Eichenimitat, hier guckt Tom (nun in Adiletten) im Fernsehen „Mainz, wie es singt und lacht“ und verblödet zusehends. Bücher sind keine mehr da, dafür Flatscreen und eine gut assortierte Bar, mehr brauchen viele Menschen heutzutage ja leider tatsächlich nicht mehr. Zwischenstation macht Tom im Bordell – bei Kušej ein Gang Bang beim Porno Casting. Man lässt ja nichts aus, um berühmt zu werden. Im prüden Wien, woher die Produktion stammt, führte diese Szene dazu, dass der Zutritt zur Oper erst ab 18 Jahren erlaubt war, in Zürich entlockt das einigen resoluten Zwinglianern zwar kräftige Buhs, einigen sich progressiv geben wollenden Damen Bravi, dem Grossteil des Publikums gerade mal ein Gähnen. So schleppt sich der Abend ziemlich zäh dahin, Doris Day und Rock Hudson amüsieren sich im Fernsehen (als Anne ihren Tom zurück haben möchte) mehr als die Zuschauer, Karlheinz Böhm und sein Lebenswerk, die Hilfe für die Hungernden in Äthiopien, werden ebenso angeklagt und durch den Dreck gezogen wie Jesus, dessen Bild in diesem Umfeld lange auf dem Bildschirm eingefroren sichtbar bleibt. Zu den kontemplativeren, schwermütigern Passagen des Werks sind dem Regisseur kaum adäquate Bilder eingefallen. Auch die Gegenüberstellung von Heiliger und Hure in der grossen Szene der Anne wirkt abgegriffen. Die Poesie hat keinen Platz, die Figuren werden als gross angelegte Medienschelte der Hässlichkeit und der Lächerlichkeit preisgegeben.
Ähnlich spannungslos klingt hier in Zürich Strawinskys neoklassizistische Musik. Vielleicht hätte Nikolaus Harnoncourt, welcher ursprünglich für diese Übernahme vorgesehen war, Akzente setzen und Spannung aufbauen können. Bei Thomas Adès war das leider nicht der Fall. Immerhin kann man sich an schönen Stimmen freuen: Shawn Mathey – ein Rollendebütant, wie alle andern auch – singt mit frischem, mühelos ansprechendem Tenor die anspruchsvolle Partie des Tom Rakewell, Eva Liebau bekommt in Zürich endlich einmal eine grosse Rolle und singt die zart fühlende Anne ganz wunderbar, Martin Gantner ist ein stimmlich und darstellerisch souveräner, ins mephistophelische ziehender Verführer Shadow, Alfred Muff, viel beschäftigt am Opernhaus in dieser Saison, ein biederer Vater Trulove und Michelle Breedt eine schon fast zu schön singende Türkenbaba. Hier natürlich nicht ein bärtiges Weib, sondern ein zeigegeiler Transvestit, welcher den Paparazzi immer wieder gerne seinen Penis hinhält, um ins Fernsehen (Glanz und Gloria) zu kommen. Den moralisierenden Epilog teilen die Protagonisten übers Fernsehen in der Talkshow bei Aeschbacher mit. Das ist ein schlichtweg genialer Einfall des Regisseurs.
Ärgerlich für viele Zuschauer im zweiten Rang ist, dass die Sicht auf die Übertitel durch zusätzlich angebrachte Scheinwerfer beträchtlich eingeschränkt wird.

Inhalt:
Die Geschichte behandelt Aufstieg und Fall des Wüstlings Tom Rakewell, welcher - vom Teufel (Nick Shadow) verführt - seine Geliebte Anne Truelove verlässt, in London der Zügellosigkeit frönt, die bärtige Türkenbaba ehelicht, sein gesamtes Vermögen verliert und schliesslich in der Psychiatrie endet, wo ihm Anne noch ein letztes Wiegenlied singt, bevor er völlig dem Wahn verfallen stirbt. In einem Epilog verkünden die Hauptdarsteller die Moral der Geschichte: Der Teufel findet immer Arbeit für Müssiggänger.

Werk:
Igor Strawinsky liess sich durch eine Serie von Kupferstichen von William Hogarth (1697 – 1764) zu The Rake's Progress anregen, die in Form einer Bildergeschichte die zweifelhafte „Karriere“ eines durch Erbschaft wohlhabend gewordenen jungen Mannes erzählen. Im Libretto von Wystan Hugh Auden und Chester Kallmann ist die Handlung mit absurden Elementen zugespitzt (etwa die Heirat Toms mit der vollbärtigen „Türkenbaba“, einer Jahrmarktssensation). Strawinsky huldigt in diesem Werk dem Neoklassizismus und orientiert sich an Formen der „klassischen“ Oper des 18. Jahrhunderts, greift lustvoll vieles auf, was Reformer wie Gluck oder Wagner verdrängt hatten. Das Werk ist nach dem Schema einer alten Nummern-Oper gebaut, lyrische, groteske, heitere und tragische Episoden wechseln sich in bunter Reihenfolge ab. Die Arien, Duette, Terzette und Chöre verlassen die Tonalität nie und sind von gefälliger Harmonik. Das Orchester ist am Apparat einer Mozart-Oper orientiert, mit Cembalo Accompagnato für die Rezitative. Strawinsky erreicht mit der lieblichen Melodiebildung und den delikaten Rhythmen eine farbenreiche Wirkung.

Musikalische Höhepunkte:
Here I stand..., Szene und Arie des Tom, Akt I
Love, too frequently betrayed, Cavatine des Tom, Akt I
No word from Tom, Arie der Anne, Akt I
I was never saner, Arie des Shadow, Akt II
As I was saying, both brothers wore moustaches..., Arie der Baba, Akt II
I burn! I freeze!, Shadows Abschied, Akt III

Fazit: Gross angelegte Medienschelte – trotzdem ein sich zäh dahinschleppender Abend.

Donnerstag, 12. Februar 2009

Berlin: ARIADNE AUF NAXOS, 11.2.09





Bilder mit freundlicher Genehmigung: @bettina stoess  www.moving-moments.de


Zwar handelt die ARIADNE AUF NAXOS von Richard Strauss unter anderem vom jungen Gott Bacchus, der die verzweifelte, von ihrem Geliebten auf Naxos zurückgelassene Ariadne trösten soll. Doch in dieser Aufführung wurde die Zerbinetta vom Publikum wie eine Göttin am Koloraturhimmel gefeiert. Gruberova und Mosuc waren gestern - nun herrscht Jane Archibald. Die junge Kanadierin, Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, eroberte mit herrlich perlenden Koloraturen und erfrischendem Spiel die Herzen der Berliner. Aber auch der Rest der Besetzung konnte sich sehen und vor allem hören lassen: Violetta Urmana als sehr bodenständige Ariadne und laut singende Diva, in ihrer grossen Arie vielleicht etwas kurzatmig dafür mit grosser Stimme singend, weit entfernt von der Zerbrechlichkeit, mit der man die Rolle auch interpretieren könnte, Roberto Saccà als Bacchus, die unbequem hohe Lage souverän meisternd, und Ruxandra Donose als Komponist. Ich muss alles revidieren, was ich über ihren Octavian am 26.12.08 hier geschrieben habe. Diese Leistung gestern war umwerfend! Regisseur Robert Carsen bot den Zuschauern ein ausgeklügeltes, unterhaltsames Spiel, ein bis zur Applausordnung genau und passend choreographiertes Theater auf dem Theater, mit viel Augenzwinkern und Humor. Einige Abstriche vielleicht beim Dirigat von Jacques Lacombe. Vieles wirkte etwas gar hastig hingepinselt, das war bei Christoph von Dohnányi in Zürich feinziselierter. Aber insgesamt ein rasend guter Opernabend, 12 Minuten Applaus, verdient!!!

Montag, 9. Februar 2009

Berlin: PIQUE DAME; Komische Oper, 8.2.09


Auf PIQUE DAME in der Komischen Oper hatte ich mich riesig gefreut, stand doch eine Wiederbegegnung mit einer der grossartigsten deutschen Stimmen der 50er und 60er Jahre auf dem Programm: Anja Silja.
Doch zum ersten Mal war ich in der Komischen Oper richtig enttäuscht. die Hauptpartien waren schwach besetzt, die zarte Lisa (Olga Boylan) eine vibratoreich singende Matrone, der Aussenseiter Hermann ein derartiges Trottelchen, dass man Lisas Männerwechsel vom gutaussehenden Fürsten Jeltzky zu diesem an Norman Bates aus PSYCHO gemahnenden (nur dass Anthony Perkins bedeutend besser aussah...) Schlappschwanz kaum nachvollziehen konnte. Und dann die Silja als Gräfin: Kaum zu hören, schwachstimmig, nur in der Grétry Arie einigermassen überzeugend. Immerhin darstellerisch eine Wucht.
Die Inszenierung (Regie Thilo Reinhardt) hatte einen interessanten Ansatz gewählt, die Handlung ins postkommunistische Russland der 90er Jahre verlegt, Hermann sucht vergeblich Anschluss an diese unsägliche Jeunesse dorée. Doch wirkte vieles unausgegoren und das Travestie behaftete Schäferstück im 2. Akt war nur peinlich, ebenso die Vergewaltigung Lisas durch die Freunde von Hermann im letzten Bild. Man hätte sie doch besser in die Newa springen lassen.
Kor-Jan Dusseljee sang zu quäkig als Hermann, mit dieser Figur hatte man von Anfang an kein Mitleid, zudem wurde er darstellerisch vom Regisseur doch arg im Stich gelassen, der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Idee mit der Identitätsverschmelzung mit der Gräfin war zwar einleuchtend, doch zu breit ausgewalzt. von den Männern vermochte mich einzig Philipp Horst als Tomski zu überzeugen.
Das Spiel des Orchesters war leider auch nicht über alle Zweifel erhaben, oft klang es zu dünn, der Dirigent (Alexander Vedernikov) vermochte die Spannungsbögen nicht aufrecht zu erhalten.

Persönliche Anmerkung:
Schräg hinter mir sass der Herr Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, machte ein griesgrämiges verhärmtes Gesicht wie immer und rührte auch keine Hand zum Applaus. Aber wahrscheinlich hätte sich auch bei einer besseren Aufführung seine Miene kaum aufgehellt. Dies schafft wohl nur eine erneute Drehung der Schraube zum totalen Überwachungsstaat.

Freitag, 6. Februar 2009

Berlin: DIE ÄGYPTISCHE HELENA


Das Wort mag abgegriffen sein und oft inadäquat verwendet werden, trotzdem kann ich nur sagen DIE ÄGYPTISCHE HELENA war geeeeeeeeeeeeiiiiiiiiiiiiiiiillllllllll.

In dieser Interpretation und mit diesen Sängerinnen hat sie das Zeug dazu, eine neue Lieblingsoper von mir zu werden. Hört euch z.B. mal die ZWEITE BRAURNACHT auf youtube an:
http://www.youtube.com/watch?v=wsIxsMNynjo

Der Schweizer Regisseur Marelli hat das Geschehen in ein orientalisches Bordell der Jahrhundertwende verlegt mit der Zauberin Aithra (hervorragend Laura Aikin) als Paartherapeutin. Damit umschiffte er die moralisch doch bedenkliche Klippe, welche Hofmannsthal und Strauss dem Werk aufgebürdet hatten, dass nämlich für die Vereinigung und das Wiederaufflammen der Liebe zwischen Menelaos und Helena zuerst ein unschuldiger vermeintlicher Nebenbuhler, der hübsche Prinz Da-ud, umgebracht werden muss, und dieses Verbrechen bei Hofmannsthal ungesühnt bleibt und quasi als Lateralschaden für die Lobpreisung der Ehe hingenommen wird. Hier war das ganze nur eine Maskerade der Therapeutin und der Prinz konnte wohlbehalten auferstehen. Dazu schufen Marelli und seine Frau eine der schwülstigen Musik angepasste Ausstattung. Genial. Die umfangreiche, herrliche Partie der Helena sang Ricarda Merbeth. Ein Genuss vom Anfang über die zweite Brautnacht bis zum ekstatischen Ende. Musik, die süchtig macht.
Andrew Litton dirigierte das wunderbar aufspielende Orchester der Deutschen Oper Berlin, deckte die Sänger nicht zu und kostete die wunderbaren Aufschwünge der Musik doch aufs Wunderbarste aus. Chafin war nach etwas verhaltenem Beginn und einigen Schwierigkeiten mit dem (vielen) deutschen Text ein stimmlich souveräner, darstellerisch etwas steifer Menelas. Aber trotz diesen kleinen Einschränkungen muss man auch ihm für seine Leistung ein Kränzchen winden, die Partie ist (wie oft bei Strauss, der doch besser und dankbarer für Frauenstimmen schreiben konnte) nämlich in sehr unangenehmer Lage komponiert. Er meistert das viel besser als z.B. Kastu in der Dorati Aufnahme mit Dame Gwyneth in der Titelpartie.

Sonntag, 1. Februar 2009

Bern: Der Rosenkavalier




Stadttheater Bern

Herrlich schräge, kurzweilige Komödie in grossartiger musikalischer Umsetzung. Nicht verpassen!

Premiere: 31. Januar 2009

Der Rosenkavalier
Komödie für Musik in drei Aufzügen
Musik: Richard Strauss
Libretto: Hugo von Hoffmannsthal
Uraufführung: 26. Januar 1911 in Dresden
Aufführungen in Bern: 31.01.2009 | 08.02.2009 | 14.02.2009 | 21.02.2009 | 15.03.2009 |04.04.2009 | 18.04.2009 | 15.05.2009 | 24.05.2009 |21.06.2009

Karten und Infos

Kritik:
Die Welt ist ganz schön aus den Fugen geraten in dieser Neuinszenierung des ROSENKAVALIERS in Bern. Auf einer schiefen Ebene, in einem abbruchreifen Theater siedelt das Inszenierungsteam (Regie Dieter Kaegi, Ausstattung Okarina Peter, Timo Dentler) die Handlung an. Die Anachronismen des Textbuchs (so war zum Beispiel das Zeremoniell der Rosenüberreichung zur Zeit Marie Theresias längst passé) und der Musik (der Wiener Walzer war dazumal noch nicht erschaffen) werden schonungslos offen gelegt.
Die Ausstatter haben einen beherzten Griff in den Fundus getan und herrlich schräge Kostüme hervorgezaubert, einige durchaus mit Anklängen ans Zeitalter des Rokoko (Sänger, Livreen) andere wiederum – ebenso wunderbar passend – schlicht und einfach geschmacklos (Ochs). So akzentuiert die Inszenierung die Stilbrüche des Stücks mit einer augenzwinkernden Schrillheit, die riesig Spass macht. Einzig am Ende des ersten Aktes, nach dem wunderbar wehmütigen Monolog der Marschallin über die Vergänglichkeit der Zeit, schweben lautlos ein Dutzend Kronleuchter vom Bühnenhimmel. Die Fürstin versucht in ihren Gedanken nochmals die heile, glanzvolle Welt der Vergangenheit auferstehen zu lassen. So sehen wir zu Beginn des zweiten Aktes denn auch auf der Bühne das getreu nachgebildete, goldene Bühnenportal des Berner Theaters, himmelblaue Vorhänge öffnen sich für den effektvollen Auftritt des Rosenkavaliers, ein herrlich kitschiges Bild. Doch bereits im dritten Akt ist dieses Bild wieder zerstört, der profane Dreck überzieht die Bühne, das Portal bröckelt gefährlich. Zwar versucht der Mohr der Marschallin am Schluss noch, die Bühne wieder gerade zu rücken, allein es gelingt ihm nicht, er entledigt sich seines lächerlichen Kostüms und winkt den Vorhang herunter. Die Maskerad’ hat ein End’.
Dieter Kaegi hat genau auf den Text gehört, inszeniert mit leichter, spielerischer Hand und lässt doch das Aufblitzen echter Gefühle zu. Es gibt unzählige stimmige Szenen, vom natürlich verspielten Liebesgeplänkel zwischen der Marschallin und ihrem jungen Lover bis zur hinreissenden Travestie des Intrigantenpaares Valzacchi-Annina, auch der Bastard des Ochs, die stumme Rolle des Leopold, wird endlich einmal wichtig genommen und dank der schauspielerischen Präsenz von Thomas Pösse erhält er ein köstliches Profil. Nur schon die Szene im zweiten Akt, wo er von den Mägden im Hause Faninal vernascht wird, zeugt von den den tollen komödiantischen Einfällen des Regisseurs und seiner Darsteller.
Keine überzuckerte Rokokowelt also auf der Bühne, kaum süssliche Klänge aus dem Graben. Die Strauss’schen Dissonanzen, aber auch die herrlich schrägen Walzerfolgen werden vom musikalischen Leiter des Berner Stadttheaters, Sroljub Dinić, effektvoll zum Erklingen gebracht, da wird nichts mit vermeintlichem Schönklang zugedeckt, sondern gezeigt, dass auch der ROSENKAVALIER ein echter Strauss ist. Das Berner Symphonieorchester zeigt sich der schwierigen Partitur mit wenigen Abstrichen durchaus gewachsen. Der Dirigent versteht es auch, die Dynamik an den entscheidenden Stellen so zurückzunehmen, dass die exzellenten Sängerinnen und Sänger die immensen Textfluten differenziert und verständlich gestalten können.
An erster Stelle darf hier die relativ kurzfristige Einspringerin Michaela Selinger in der Hosenrolle des Octavian genannt werden. Ihr erfrischendes Spiel, kombiniert mit einem jugendlichen musikalischen Impetus in der makellos geführten Stimme, macht sie zu einer geradezu idealen Interpretin dieser grossen Mezzopartie. Mit Alexandra Coku steht ein junge Frau in den besten Jahren als Feldmarschallin auf der Bühne, eine aparte Erscheinung in Stimme und Spiel. Die perfekten Piani am Schluss des ersten Aktes führen zu einer berührenden Verschmelzung ihrer wunderschönen Stimme mit den zarten Klängen des Orchesters. Besonders bemerkenswert auch das Spiel ihrer Hände beim Sinnieren über das Älterwerden in ihrem grossen Monolog. Das ist echtes Musiktheater, jenseits klischierter Sängerposen. Brava!
Die dritte grosse Frauengestalt ist die junge Sophie von Faninal, interpretiert von Hélène Le Corre. Vielleicht mangelt es der Stimme noch an Geschmeidigkeit in der Höhe um den so typischen und wirkungsvollen Strauss’schen Silberklang zu erreichen, doch kann sie dafür mit einer wunderbar warmen Mittellage trumpfen. Dank ihrer klugen Gestaltung der Partie steht diese Sophie nicht (wie so oft) als naives Dummchen, sondern als durchaus selbstbewusste junge Frau auf der Bühne.
Und dann ist da noch der grosse Routinier Günter Missenhardt als Ochs auf Lerchenau. Den Text hat er nach über 300 Vorstellungen in dieser Rolle verinnerlicht wie wohl kein zweiter, und doch wirkt er frisch und lebendig, macht den Unsympath schon beinahe zu einem Sympathieträger, vermeidet es dank ausdrucksstarken Gesangs die Rolle der Lächerlichkeit preiszugeben. Herrlich!
Der Besetzungszettel ist lang, alle verdienten ein besonderes Lob für ihre Leistungen, so der für einmal ohne die übliche Larmoyanz dieser Rolle singende Faninal von Robin Adams, die erfrischend spielenden Intriganten Qin Du und Andries Cloete, die umwerfende Fabienne Jost als Leitmetzerin oder der wunderschön singende Tenor David Sotgiu in der viel zu kurzen Rolle des Sängers. Ihm könnte man noch lange zuhören und man bedauert, dass er vom Ochs so brüsk von der Bühne gefegt wird … DER ROSENKAVALIER ist mit einer Spieldauer von vier Stunden ein langes Werk – mit diesem Ensemble und in dieser Inszenierung wirkt es in keinem Moment zu lang.

Fazit:
Einmal mehr dürfen die Berner stolz sein auf die Leistungen ihres Theaters. Musikalisch und szenisch ein Genuss. Hingehen!!!

Werk:
Nach den zum Teil bis an die Grenzen der Tonalität reichenden Werken SALOME und vor allem ELEKTRA stellt DER ROSENKAVALIER einen vermeintlichen Rückschritt zu einer gefälligeren Tonsprache dar. Doch auch in dieser genialen Komödie hört man chromatische Verschiebungen und Reibungen, doch sind sie in den dramatischen Verlauf und den immer wieder aufblitzenden Wohlklang (Walzerfolgen, Ariosi) integriert. DER ROSENKAVALIER ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte, er markiert den letzten Welterfolg einer deutschen Oper und gehört bis heute zu den Repertoirestützen jedes Opernhauses. Das Werk mit einer Aufführungsdauer von beinahe fünf Stunden ist das Produkt der einzigartigen künstlerischen Zusammenarbeit von Dichter und Komponist, Hoffmannsthal und Strauss (welche mit ELEKTRA begann und über ARIADNE AUF NAXOS, DIE FRAU OHNE SCHATTEN, INTERMEZZO und DIE ÄGYPTISCHE HELENA – zur Zeit an der Deutschen Oper Berlin zu erleben – zur ARABELLA führte).
Durch die Gestaltung des Octavian als Hosenrolle und die somit entstehende Verschmelzung von drei Frauenstimmen entwickelt Richard Strauss eine erotische Klangfarbe, welche im Terzett am Ende des dritten Aktes in einem der schönsten Musikstücke der gesamten Opernliteratur kulminiert.

Inhalt:
Die Feldmarschallin, eine ungefähr 30jährige, verheiratete Frau, hat ein Verhältnis mit dem 17jährigen Octavian. Nach einer Liebesnacht der beiden erscheint der Vetter der Marschallin, der verarmte Baron Ochs auf Lerchenau, welcher sich mit der Tochter des neureichen Herrn von Faninal verheiraten will. Octavian verkleidet sich als Kammerzofe. Die Marschallin schlägt Octavian als Rosenkavalier (Brautwerber) für Ochs vor. Bei der Überreichung der silbernen Rose verlieben sich jedoch Sophie von Faninal und Octavian ineinander. Nach einigen Intrigen und Verwicklungen wird Ochs blossgestellt, die Marschallin entsagt ihrer Liebe und führt das junge Paar zusammen.

Musikalische Höhepunkte:
Di rigori armato il seno, Arie des Sängers, Akt I
Da geht er hin, Monolog der Marschallin, Akt I
Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding, Marschallin Akt I
Er kommt, er kommt, Überreichung der Rose, Akt II
Ich hab’ halt schon einmal, Walzer des Ochs, Akt II
Hab mir’s gelobt, Terzett Marschallin, Octavian, Sophie, Akt III
Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, Duett Octavian, Sophie, Akt III