Freitag, 30. Januar 2009

Zürich: Teatro minimo, Kompositionswettbewerb

Opernhaus Zürich

Drei Uraufführungen von Kurzopern - nur noch eine Vorstellung um den Gewinner des Wettbewerbs kennen zu lernen: Anno Schreier!

Premiere: 25. Januar 2009

Uraufführungen von drei Kurzopern:
Erin Gee: SLEEP
Anno Schreier: HINTER MASKEN
Elena Langer: THE PRESENT

Nur drei Vorstellungen (alle zu Volksvorstellungspreisen):
Uraufführung: 25. Januar 2009
26. Januar 2009, 31. Januar 2009

Karten und weitere Infos

Kritik:
SLEEP von Erin Gee:
Dieses Werk kam beim Publikum am schlechtesten an. Die Komponistin betätigte sich selbst als „The voice“. Ihre virtuosen lautmalerischen Effekte an zwei Mikrofonen spiegelten sich aber nicht im Orchester, entwickelten sich auch nicht fort. Dazu kam ein eher esoterisch angehauchter Text, welcher von Morgan Moody gekonnt deklamiert wurde. Mit Gesang im herkömmlichen Sinne hatte dies nichts mehr zu tun. So entstand – dem Titel angemessen – eine einschläfernde Klangkulisse, begleitet von schönen, aber eher trivialen Videoprojektionen. Immerhin: Aus dem Orchestergraben erklangen die wunderbaren Vokalsolisten des Vokalensembles Zürich.
Der Hauptdarsteller zieht sich aus und wieder an. Na ja … Als Installation in einem Museum vielleicht noch zu ertragen, auf eine Opernbühne gehört das Werk definitiv nicht, man wundert sich, dass die Verantwortlichen diesen Beitrag aufgenommen haben.
Erin Gee erhält den Auftrag zur Komposition eines grösseren Orchesterwerks.

HINTER MASKEN von Anno Schreier:
Nach Meinung des Kritikers das vielschichtigste und auch musikalisch spannendste Werk des Abends. Ein Mann wird von zwei Polizisten verhört, immer wieder erklingt in wunderbar traurig klagenden Vokalisen die Stimme seiner Frau, herrlich gesungen von Sen Guo. Was genau passiert ist, erfahren wir nur andeutungsweise. War es Mord, Vergewaltigung? Vielleicht wird es niemals morgen … Ein Schweben zwischen Traum und Realität. Rätselhafte Kindfrauen, die wie die Money Girls aus der Fernsehsendung DEAL OR NO DEAL daherkommen und gockelhafte männliche Wesen bebildern die Männerfantasien des Intermezzos.
Im Orchester unter der kompetenten Leitung von Zsolt Hamar wechseln raffinierte Schlagzeug Passagen mit dramatischer Musik der Bläser und Streicher.

Anno Schreier gewinnt den Wettbewerb, ihr art-tv Kritiker lag also richtig mit seinem Favoriten!

THE PRESENT von Elena Langer:
Ein alter Mann ist an Alzheimer erkrankt, seine Frau verzweifelt. Sie erinnert sich an bessere Tage, trauert der glücklichen Vergangenheit nach. Die Kinder und Enkel sitzen relativ unbeteiligt im Wohnzimmer. Ein Pflegerin und ihre angsterfüllte Tochter kümmern sich um den Alten. Dank den grossartigen Sängerinnen (Irène Friedli, Margret Chalker, Rebecca Olvera) und der eindrücklichen Leistung von David Geary in der Sprechrolle des Alten, wird dieses Stück zu einem bewegenden Psychogramm. In einem Choral, mit den glockenklaren Stimmen von Anna Steiner und Susann Kalauka aus dem Orchestergraben, lösen sich die Worte in einzelne sinnentleerte Laute auf, die Musik verklingt bis zur Lautlosigkeit. Sehr schön gemacht.
Elena Langer gewinnt den Publikumspreis und erhält den Auftrag für ein Kammermusikwerk.

Fazit:
Es lohnt durchaus, sich auf neue Hörerlebnisse einzulassen. Viel Aufwand für nur drei Vorstellungen. Das Publikum müsste konsequenter mit neuer Musik konfrontiert und darauf neugierig gemacht werden.

Dienstag, 20. Januar 2009

Basel: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER


Gewiss, neu ist der Ansatz nicht, den Regisseur Philipp Stölzl bei seiner Inszenierung des FLIEGENDEN HOLLÄNDERS gewählt hat, nämlich das Geschehen aus der Perspektive der Senta zu zeigen. Doch die Konsequenz und Intensität, mit welcher diese Intention umgesetzt wird, ist schlicht und ergreifend atemberaubend. Auf der Bühne des Basler Theaters entwickelt sich ein fesselndes, erschütterndes Psychodrama, das alle Zuschauerinnen und Zuschauer in seinen Bann zieht und die pausenlosen zwei einviertel Stunden wie in einem (Seelen-)Flug vergehen lässt. Senta bleibt innerlich das ewige Kind, das in seiner Traumwelt und seinen Tagträumen lebt und nicht erwachsen werden will, sich nicht vom sie umgebenden und bestimmenden Mief der biedermeierlichen Welt emanzipieren kann, ja von dieser Gesellschft gar erdrückt und seelisch zerstört wird. Kaum verwunderlich, dass diese Senta immer mehr einer Bette Davis in Robert Aldrichs Film „Whatever happend to Baby Jane“ gleicht. Sie altert zwar äusserlich, wird fett, apathisch, Alkoholikerin, im Innern möchte sie das kleine Mädchen bleiben, welches immer wieder auf der Bühne zu sehen ist und die Ballade des Holländers durchlebt. Erst als die betrunkenen Dorfbewohner höhnisch spottend ihr geliebtes Sagenbuch zerreissen, erwacht sie aus ihrer Apathie, wird zur rasenden Furie, erschlägt ihren trotteligen Gatten und haut sogar Erik, der immer treu zu ihr gehalten hat, immer wieder versucht hat, ihr die Augen zu öffnen, die Champagnerflasche über den Kopf im Versuch, ihre Traumwelt zu verteidigen oder gar wieder herzustellen.
Für all dies findet das Inszenierungsteam starke, überwältigende Bilder. In liebevollster Detailarbeit haben die Werkstätten eine riesige Bibliothek auf die Bühne gestellt, an der Rückwand befindet sich ein gigantisches Ölgemälde, welches sich immer wieder für tableaux vivants öffnet, in welchen Geschehnisse aus Sentas Traumwelt dargestellt werden. So gewinnt die schauerromantische Handlung Schlüssigkeit und Spannung.
Musikalisch ist der Abend dank herrlich prägnanten, durchschlagkräftigen Stimmen und einem fabelhaften Dirigat ein Ereignis. Friedemann Layer wählt zügige Tempi (überfordert aber die Sänger damit nicht), er schafft es, eine immense Spannung aufzubauen. Das Orchester folgt ihm vortrefflich, abgesehen von einigen Intonationstrübungen des Blechs, ausgerechnet in der delikaten Begleitung des grossen Duetts Senta-Holländer.
Während dieses herrlichen Duetts erweitert sich das Bühnenbild zum Bild im Bild (im Bild…). Und im hintersten Bild fliegen die Märchenbücher dann aus dem Fenster, nun ist Senta zum einzigen Mal glücklich und glaubt, die Fantasiewelten nicht mehr zu benötigen. Doch die Wirklichkeit holt sie im dritten Akt umso schneller auf den brutalen Boden der Realität zurück. Sie verkriecht sich vor der Realität, aber auch aus Scham über ihre Gefühle – wie schon bei ihrem ersten Auftritt als kleines, böses Mädchen – unter den Tisch.
Kirsi Tiihonen ist eine überragende Senta. Vom bebend erregten Beginn der Ballade bis zu ihrem Selbstmord in Raserei durchschreitet sie darstellerisch und stimmlich eindrücklich die Gefühlswelt dieser Kindfrau. Sie findet zu zarten, schmerzerfüllten Tönen, aber auch zu wuchtigen Ausbrüchen und strahlenden Jubelmelodien.
Als Holländer überzeugt Alfred Walker (wie schon in Berlin als Orest in Elektra und Prologo in Cassandra) mit vorzüglicher Diktion und kraftvoll schöner Tongebung. Ein Glücksfall der Besetzungsliste sind auch der hervorragende Bass von Liang Li als geldgieriger, Frauen verachtender Vater Daland und Thomas Piffka als Erik. Dessen kräftig strahlender und mühelos geführter Tenor verleiht dem Erik eine eminente Wichtigkeit in dieser Inszenierung, ganz jenseits des larmoyanten Betrogenen.
Und wie immer in Basel rundet der exzellente Chor, treffend in Biermeierkostümen gekleidet von Ursula Kudrna, diesen grandiosen Abend ab.
Verdienter Jubel für alle Beteiligten!

Fazit:
Starke Bilder, starke Stimmen – ein Höhepunkt der bisherigen Schweizer Opernsaison! Fünf von fünf Perlen!!!

Inhalt:
Während eines Sturms geht Dalands Schiff in einer Bucht vor Anker. Die Mannschaft und der wachhabende Matrose schlafen ein, gespenstisch naht sich ein zweites Schiff. Es ist das Schiff des Holländers, der wegen einer Gotteslästerung zu einem ewigen Leben auf See verdammt ist. Nur ein treu ergebenes Weib kann ihm Erlösung bringen. Alle sieben Jahre darf er an Land gehen und sich dieses Weib zu erringen suchen.
Daland ist beeindruckt von den Schätzen auf des Holländers Schiff und bietet dem Mann seine Tochter Senta zur Gemahlin an.
Diese ist ganz närrisch nach dem Holländer, welchen sie nur von einem Bild und der Sage kennt. Immer wieder ergeht sie sich in Tagträumen über das Schicksal dieses Mannes.
Senta wird aber vorerst vom jungen Jäger Erik umworben, der besorgt die Träumereien seiner Liebsten wahrnimmt. Doch Senta fühlt sich berufen, den „armen Mann“ zu erlösen. Unmutig verlässt Erik das Mädchen, als Sentas Vater mit dem Holländer das Zimmer betritt. Senta weiß nun, dass es ihr bestimmt ist, das Erlösungswerk zu vollbringen. Zwischen ihr und dem Holländer entsteht eine innige Verbundenheit. (Wunderbares Duett!)
Die norwegischen Matrosen bereiten das Fest vor und versuchen auch die Mannschaft des Holländer-Schiffes einzuladen, doch aus dem Schiff schallt ihnen nur beängstigendes, geisterhaftes Dröhnen entgegen, so dass sie entsetzt und verängstigt fliehen. Erik erinnert Senta noch an seine Liebe zu ihr, vergeblich.
Der eintretende Holländer hat das Gespräch belauscht und ist sich sicher, dass auch Senta ihm nicht die erhoffte Treue gewähren können wird. Um sie vor der Verdammnis zu bewahren, erzählt er ihr von seinem Fluch (Erfahre das Geschick, vor dem ich Dich bewahr). Er eilt zu seinem Schiff, um auf ewig unerlöst zu bleiben. Doch Senta setzt ihm nach, verkündet nochmals laut, ihm treu […] bis zum Tod zu sein, und stürzt sich von der Klippe ins Meer. Augenblicklich versinkt das Schiff des Holländers in den Fluten. Der Fliegende Holländer ist erlöst.

Werk:
Zum ersten Mal taucht im FLIEGENDEN HOLLÄNDER Wagners Frauenbild auf: Durch bedingungslose Hingabe und Selbstaufopferung dient das Weib der Erlösung fremder Schuld und dem Heil des Mannes. Sentas Ausbruch aus dem Mief des Kleinbürgertums wirkt zwar revolutionär, doch ihre Entscheidung führt nicht zur Freiheit der Liebe, sondern zur Selbstpreisgabe. Der Rolle des Holländers hingegen enthält die Weltschmerzthematik sowie den Keim des deutschen Irrwegs, der auf Erlösung und Untergang im globalen Vernichtungsrausch und auf Kadavergehorsam abzielt.
Seit Siegfried Wagner 1901 den Holländer in Bayreuth pausenlos spielen liess, hat sich diese Version auf den Bühnen durchgesetzt, sie wird dem balladesken Charakter des Werks gerecht. Sentas Ballade steht denn auch im Zentrum, die Erzählung vom fliegenden Holländer wandelt sich nach den ersten beiden Strophen zur Ich-Form, die junge Frau kommt zur vermeintlichen Selbstfindung.
Zwar hört man in Wagners Werk noch Anklänge an Weber und Marschner, an die deutsche Schauerromantik, auch die Nummernoper ist noch nicht komplett aufgebrochen. Doch dominieren neben volkstonhaften Einsprengseln (Lied des Steuermanns, Chöre der Spinnerinnen und der Matrosen) grossartige, durchkomponierte Szenen. So der Auftritt des Holländers und vor allem das mit 422 Takten jeglichen konventionellen Rahmen sprengende Duett Senta-Holländer.
Bereits in der Ouvertüre wird der Charakter des Stückes offenbar: Das Motiv des Holländers mit seinem Quart-Quint Aufstieg, die Sturmakkorde und die bedrohlichen Wellen des Meeres, das Erlösungsmotiv und die Melodien der Matrosen bewirken eine packende, gefährliche Sogwirkung.

Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre
Die Frist ist um, Monolog des Holländers, Aufzug I
Johohoe! Traft ihr das Schiff…, Ballade der Senta, Aufzug II
Wie aus der Ferne längst vergang’ner Zeiten, Duett Senta-Holländer, Aufzug II
Steuermann, lass die Wacht!, Matrosenchor, Aufzug III
Erfahre das Geschick, Finale Aufzug III

Montag, 12. Januar 2009

Zürich: SIMON BOCCANEGRA

Verdis düsterer Politthriller in monumentaler Ausstattung; mit Leo Nucci in der Titelpartie und Massimo Cavalletti (Bild) als überzeugendem Paolo Albiani.

Premiere: 11. Januar 2009

Handlung in einem Prolog und drei Akten
Musik: Giuseppe Verdi
Text : Francesco Maria Piave und Arrigo Boito
Uraufführung: 12. März 1857 im Teatro La Fenice,Venedig,
zweite Fassung 24. März 1881 im Teatro alla Scala, Mailand
Aufführungen in Zürich So, 11.01.2009 | Di, 13.01.09 | Fr, 16.01.09 | Mi, 21.01.09 | Fr, 23.01.09 | So, 25.01.09 | Sa, 07.02.09

Meine Kritik:
Das Auge kann sich an einigem laben in dieser Neuproduktion von Verdis Oper: An monumentalen Bühnenbildern (Carlo Centrolavigna), die von Rodins Höllentor zum Sockelfries des Altare della Patria und einer immensen Statue aus dem Forco Italico reichen, an herrlichen Kostümen (Maria Filippi), welche mit ihrer differenzierten Farbgebung eine eigene, stimmige und sinnvolle Dramaturgie entfalten, an herrlich kitschigen Meeres- und Abendstimmungen entlang den ligurischen Gestaden …
Man bewundert die Arbeiten der Werkstätten, der KostümschneiderInnen, ist manchmal regelrecht erschlagen von der Prachtentfaltung – und fragt sich dann doch, was das ganze eigentlich soll. Denn so sehr man die Gestaltung der Bühne auch bewundern mag, emotional wird man nicht angesprochen, echte Anteilnahme an den Schicksalen der Protagonisten stellt sich leider nicht ein. Regisseur Giancarlo del Monaco arrangiert das Geschehen dekorativ, ästhetisch (wenn man denn diese Art von Ästhetik mag), doch über konventionelle Gesten hinaus reicht seine Personenführung nicht. Dabei beinhaltet Verdis Oper alles, was einen spannenden Theaterabend ausmachen könnte: Intrigen, Verrat, heimliche Liebe, Gefühle und deren Unterordnung unter politische Ambitionen. Auf der Bühne des Opernhauses aber verläuft der Abend spannungslos, an der auf Hochglanz polierten Oberfläche wird kaum gekratzt. Zwar darf Boccanegra durchs Höllentor in Fiescos Palast treten, doch wird sein persönliches Inferno nicht nachvollziehbar gemacht, und auch das Höllentor verschwindet nach dem Prolog und taucht nicht wieder auf. Die letzten Inszenierungen dieses Werkes in Zürich (Kaslik/Svoboda und Marelli) waren psychologisch durchdachter und dadurch fesselnder als diese verschwenderische, ins Gigantische neigende Neuproduktion.
Erfreulicher präsentierte sich die musikalische Seite des Abends. Das Orchester unter der Leitung von Carlo Rizzi brachte die heikel zu intonierenden und doch so wunderbar stimmigen lautmalerischen Elemente der Partitur ganz vortrefflich zum Klingen. Der satte Klang der Streicher mischte sich klangschön mit den filigranen Klängen der Holzbläser und den kräftigen Einwürfen des Blechs. Dazu gesellte sich der exzellent intonierende Chor, welcher wenigstens musikalisch das hochdramatische Finale des ersten Aktes zum Gänsehaut Ereignis machte.
Die kräftigen Stimmen der Protagonisten, angeführt von den drei in ihren Rollen erfahrenen Sängern Leo Nucci (Simon Boccanegra), Roberto Scandiuzzi (Fiesco) und Fabio Sartori (Adorno), konnten sich dank des transparenten Orchesterklangs frei entfalten. Nucci begeisterte mit herrlich kunstvoller Phrasierung, perfekt auf dem Atem gesungenen Linien und durschlagkräftigem Bariton. Doch sein gelegentliches Anschleifen und Hochstemmen der Töne störten den positiven Gesamteindruck vor allem im Prolog. Scandiuzzi hat man in Zürich in dieser Rolle schon oft erleben und bewundern dürfen, ebenso den luxuriösen, grossartigen Tenor von Fabio Sartori. Deren beider Duett im ersten Akt geriet zu einer Offenbarung begeisternden Verdi-Gesanges. Der Bösewicht Paolo Albiani erhielt durch das überragende Rollendebüt von Massimo Cavalletti musikalisch das nötige Gewicht, von der Regie her hätte gerade mit diesem Sänger unbedingt mehr herausgeholt werden müssen.
Keine glückliche Hand hatten die Verantwortlichen leider mit der Besetzung der einzigen weiblichen Rolle im Stück, der Lichtgestalt der Amelia. Isabel Rey hat an diesem Haus schon viele Rollen hervorragend gestaltet (Gilda, Norina, Adina, Susanna), ihre Amelia ist ein Rollendebüt und gehört definitiv (noch?) nicht dazu. Ihrer Stimme fehlen Fundament und Wärme. Sie neigt zum Forcieren und wird dadurch in der Höhe hart, eng und gelegentlich schrill. Nach ihrer grossen Arie im ersten Akt regte sich bezeichnenderweise keine Hand zum Applaus.
Waren anfangs die verfeindeten Gruppen durch die Kostüme klar differenziert (Rot für die Plebejer und Schwarz für die Patrizier), so trugen sie im Schlussbild alle dezente Blautöne, gleichsam als eine Art Solidarisierung mit der tragischen, in Königsblau gewandeten Titelgestalt, welche sich sterbend zu ihrem geliebten Meer hinbewegt. Ein wunderschönes, ergreifendes Bild, das dann doch noch versöhnlich stimmte.

Fazit: Im gigantischen Bühnenbild erstickte Handlung. Wer kulinarische Oper ohne grosse psychologische Durchdringung mag, kommt auf seine Kosten.

Inhalt:
Genua im 14. Jahrhundert
Prolog
Jacopo Fiesco weigert sich, seine Tochter Maria dem Plebejer Bocanegra zur Frau zu geben und sperrt sie im Haus ein, obwohl sie bereits ein Kind von Boccanegra hat. Doch Maria stirbt. Fiesco verschweigt Boccanegra ihren Tod. Die Aussöhnung der beiden scheitert, weil Boccanegra Fiesco dessen Enkelin nicht zur Erziehung überlassen kann, da sie angeblich entführt worden sei. Boccanegra dringt in Fiescos Haus ein und findet seine tote Geliebte. Erschüttert kommt er aus dem Haus, während ihn das Volk jubelnd als neuen Dogen begrüsst.

Erster bis dritter Akt:
Fünfundzwanzig Jahre sind vergangen. Amelia Grimaldi (die verschollen geglaubte Tochter Boccanegras) ist verliebt in den Patrizier Gabriele Adorno. Boccanegra jedoch will seinen Kanzler Paolo Albiani mit Amelia verloben. Er entdeckt ein Amulett ihrer Mutter und erkennt in ihr seine Tochter, worauf er Paolos Werbung schroff zurückweist. Paolo ist beleidigt und schwört Rache.
Eine erregte Menge strömt in den Senatssaal, und verlangt Sühne für einen Getreuen Paolos, der von Gabriele Adorno getötet wurde. Amelia kann die Situation entschärfen und berichtet, dass sich der Anstifter ihrer Entführung noch im Saal befinde. Paolo wird gezwungen, die Übeltäter (also sich selbst) zu verfluchen.

Paolo schüttet Gift in den Becher des Dogen Boccanegra und versucht, Fiesco und Adorno zum Aufstand gegen den Dogen zu überreden. Fiesco lehnt ab, Adorno hingegen erklärt sich bereit, den vermeintlichen Nebenbuhler zu töten.
Der Doge trinkt das Gift und schläft ein. Adorno will Boccanegra erdolchen, wird aber im letzten Moment von Amelia daran gehindert. Er erfährt, dass Boccanegra nicht sein Rivale, sondern der Vater seiner Geliebten ist.
Adorno schlägt sich auf die Seite der Plebejer und hilft mit, den Aufstand der Patrizier niederzuschlagen.
Simon Boccanegra liegt im Sterben. Er versöhnt sich mit Fiesco und eröffnet ihm, dass Amelia seine Enkelin ist. Boccanegra segnet sterbend seine Tochter und Adorno, den er zu seinem Nachfolger bestimmt.

Werk:
SIMON BOCCANEGRA markiert einen entscheidenden Schritt auf Verdis Weg zum musikalischen Drama. Arienformen werden aus dramaturgischen Gründen aufgebrochen, das Arioso als musikalisch angereichertes Rezitativ wird zum Zentrum des musikalischen Ausdrucks, gerade in der Partie des Boccanegra, mit dem Verdi eine weitere seiner berührenden Vaterfiguren (Rigoletto, Miller, Nabucco, Philipp II, Georges Germont) geschaffen hat. Gleichzeitig gelingt Verdi mit der musikalischen Schilderung des ligurischen Meeres, in dessen Anblick die Protagonisten seiner Oper immer Trost zu finden scheinen, “eins der größten Beispiele von Landschaftsmalerei oder Naturlaut, die man in der Geschichte der Oper finden kann.” [Luigi Dallapiccola]
24 Jahre nach der durchgefallenen Uraufführung dieser Oper im Jahre 1857 in Venedig machte sich Verdi mit dem Librettisten und Komponisten Arrigo Boito an eine Überarbeitung des Werks, der Titelfigur schenkt er eines der schönsten Concertati der gesamten Verdi-Literatur: “Plebe! Patrizi! Popolo!” – “Plebejer! Patrizier! Volk!” Boccanegras verzweifelter Schrei nach Frieden – die Bitte eines verzweifelten Vaters nach Eintracht unter entzweiten Geschwistern, welcher in ein unglaublich packendes Finale mündet.
Somit gehört SIMON BOCCANEGRA stilistisch zu den interessantesten Schöpfungen Verdis, da die vorwiegend in düsteren Farben gehaltene Komposition auf Belcanto Seligkeit verzichtet, zugunsten eines „modernen“ Operndramas.

Musikalische Höhepunkte:
Il lacerato spirito, Arie des Fiesco Prolog
Come in quest’ora bruna, Arie der Amelia, Akt I
Vieni a me , Duett Fiesco(Andrea)-Adorno, Akt I
Plebe! Patirzi! Popolo!, Monolog des Boccanegra und Concertato, Finale Akt I
Sento avvampar nell’anima, Arie des Adorno, Akt II
Suo padre sei tu, Terzett Boccanegra, Amelia, Adorno, Finale Akt II