Mittwoch, 22. Oktober 2008

Zürich: FIDELIO, 21.10.2008

Opernhaus Zürich | Fidelio

Einer der ganz grossen Pultstars - Bernhard Haitink - dirigiert.

Premiere: 5. Oktober 2008
Oper zwei Akten
Musik: Ludwig van Beethoven

Libretto : Joseph Sonnleithner und Friedrich Treitschke
Uraufführung: 20. November in Wien, 3. Fassung 23. Mai 1814 in Wien
Aufführungen in Zürich: Di, 07.10.2008 | Do, 09.10.2008 | Sa, 11.10.2008 | Di, 21.10.2008 | Do, 23.10.2008 | Sa, 25.10.2008

Kritik: Besuchte Vorstellung, 21. Oktober 2008
Noch fast zu erregt von den unbeschreiblichen Emotionen steigern sich Florestan (Scott MacAllister) und seine unerschrockene Gemahlin Leonore (Melanie Diener) in ihr ekstatisches Duett O namenlose Freude. Ohne dem Zuhörer eine Atempause zu gönnen attackieren danach Dirigent Bernhard Haitink und das ihm aufmerksam folgende und traumhaft schön spielende Orchester der Oper Zürich die Leonoren Ouvertüre Nr. 3 und loten dabei nochmals das ganze Spektrum der Gefühle aus, welches die Protagonisten dieses Meisterwerks durchlaufen. Von der gehemmten Hoffnung zur rauschenden Befreiung, von der Verzweiflung zum seligen Glück, von schmerzhaften, fein ziselierten Reminiszenzen zu heroischen Jubelklängen, die auf Carl Maria von Weber voraus weisen. Nur schon allein die Interpretation dieser Musik lohnt den Besuch der Neuproduktion im Opernhaus.
In der von mir besuchten Vorstellung sang (anstelle des kurzfristig erkrankten Roberto Saccà) Scott MacAllister den Florestan. Seine grosse Szene zu Beginn des zweiten Aufzugs ging durch Mark und Bein. Bereits die Orchestereinleitung mit ihren schmerzerfüllten Akkorden bereitete Gänsehaut. Mit heldentenoraler Kraft stürzte sich der Sänger in das Rezitativ. Gott! Welch Dunkel hier war ein herzzerreissender, letzter Klagegesang eines sich dem Tode nahe Wähnenden. Grandios dann auch die nachfolgende Arie mit dem visionären Schluss. Man darf sich auf seinen Siegfried an diesem Haus freuen!!
Nach der Premiere wurde Melanie Diener als Leonore nicht gerade mit Komplimenten überhäuft. In der von mir besuchten Vorstellung sang sie vortrefflich, abgesehen von kleinen Intonationstrübungen am Schluss ihrer grossen Arie. Ansonsten aber begeisterte sie mit einer warmen Stimme, einfühlsamem Spiel, einer geradezu beispielhaften Diktion, auch in den gesprochenen Passagen. Sie ist zu Recht keine heroische Leonore, sondern eine liebende Frau, die all ihren Mut zusammen nehmen muss, um in ihrer Verkleidung zu bestehen, eine Frau, voller Selbstzweifel, die am Ende Zeit braucht, um ihr Glück zu fassen.
Ganz unglücklich ist selbstverständlich Marzelline über den unerwarteten Ausgang. Sandra Trattnigg fasziniert mit ihrer glockenreinen, jubelnden Stimme. Auch sie spielt hervorragend in dieser soliden Regiearbeit von Katharina Thalbach. Nein, es ist kein provozierender FIDELIO, und doch schält Frau Thalbach im stimmigen Bühnenbild von Ezio Toffolutti den humanistischen, erhebenden Kern des Werks sehr plastisch heraus. Da gibt es viele sensibel herausgearbeitete Details zu entdecken: Der Gefangene, der seine Befreiung nicht überlebt hat, von seiner um ihn trauernden Frau gehalten wird, der verzweifelt und vergeblich liebende Jaquino (wunderschön gestaltet von Chrisoph Strehl, der auch nach seinem hervorragenden Schubert-Abend am Vortag bestens bei Stimme war), welcher von den Schergen des Pizarro geschlagen wird, Rocco (Alfred Muff mit einer herausragenden Leistung), welcher in der Kerkerszene plötzlich dermassen von Emotionen überwältigt wird, dass er sich weinend auf die Treppe setzen muss und schliesslich die strahlend weisse Erscheinung des Pizarro (Lucio Gallo gibt ihn vor Kraft und Verachtung seinen Mitmenschen gegenüber nur so strotzend) im dunklen Verliess, bis er dann ins ausgehobene Grab stolpert. Nur das Basketballspiel der Gefangenen mit Pizarros Kopf war dann ein bisschen zu dick aufgetragen.
Doch diese Betriebsamkeit machte sich eine Ratte zunutze und floh ebenfalls aus dem Kerker.
Die Choreographie der Chorszene im Schlussbild war überzeugend. Männer und Frauen (hervorragend und stimmgewaltig der Chor der Oper Zürich) standen sich frontal gegenüber und schrien sich beinahe vorwurfsvoll zu: Wer ein solches Weib errungen... . Die Damen trugen dabei Kostüme aus verschiedenen Epochen, von Biedermeier bis zu britischen Suffragetten und versinnbildlichten dadurch das im Werk durchaus vorhandene Emanzipatorische.

Fazit:
Ein Maestro der Spitzenklasse beschert uns einen musikalisch begeisternden Abend, das Werk vermag auch (oder gerade!) in einer eher konventionellen Inszenierung zu berühren.

Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre
Mir ist so wunderbar, Quartett Aufzug I
Ha, welch ein Augenblick, Rachearie des Pizarro
Abscheulicher, wo eilst du hin – Komm Hoffnung …, grosse Szene der Leonore, Aufzug I
O, welche Lust, Gefangenenchor, Aufzug I
Gott, welch Dunkel hier – In des Lebens Frühlingstagen, Arie des Florestan, Aufzug II
O namenlose Freude, Duett Leonore – Florestan, Aufzug II
Leonoren Ouvertüre Nr.3 (wird hier zwischen Kerkerszene und Schlussbild gespielt)
Heil sei dem Tag – Wer ein solches Weib errungen, Finale Aufzug II

Werk und Inhalt:
Wie schwer sich Beethoven mit seiner einzigen Oper tat, zeigen die zahlreichen Umarbeitungen, die er dem Stück angedeihen liess. Was schliesslich entstand, ist eine Utopie über Freiheit und Liebe, ein humanistisches Meisterwerk, ganz im Geiste der damals üblichen Rettungs- und Befreiungsopern und doch in ihrer Qualität weit über diese hinauswachsend und in Richtung Romantik weisend. Daran vermag auch (wie in Webers FREISCHÜTZ) der manchmal etwas holprig und gestelzt daher kommende gesprochene Text nicht zu rütteln. Zweifellos gehört Beethovens FIDELIO zum Kernrepertoire jedes Opernhauses.
Leonore hat sich als Mann (Fidelio) verkleidet in einem Gefängnis anstellen lassen, in welchem sie ihren Gatten als politischen Gefangenen des Gouverneurs Pizarro vermutet. Marzelline, die Tochter des Kerkermeisters, verliebt sich in Fidelio.
Pizarro will sich seines Gefangenen durch Mord entledigen. Leonore (Fidelio) gibt sich zu erkennen und bedroht Pizarro (Töte erst sein Weib!). Die Ankunft des Ministers verhindert eine Eskalation. Der Minister erkennt in dem Gefangenen seinen Freund Florestan. Die Kerker werden geöffnet, die politischen Gefangenen sind dank Leonores Mut und Tapferkeit befreit.

Samstag, 18. Oktober 2008

Berlin: EUGEN ONEGIN, 17.10.08

Die besuchte Vorstellung stand von vornherein unter keinem guten Stern: Trekel und Samuil liessen sich als indisponiert ansagen.
Villazon war gesund und sang. Bewundernswert wie er sich in Freyers Konzeption einfügte, vom ersten Takt bis zum Schluss die Choreographie mitmachte, auch als er längst hätte tot sein sollen...Seine Stimme ist sicher nicht ganz ideal für Lenski, da war Beczala z.B. viel überzeugender. Tonansätze, v.a. in der Höhe wackelten manchmal, doch insgesamt strömte die Stimme frei und unbelegt.
Barenboims Dirigat fand ich sehr gut, die Hörner der Staatskapelle schon weniger, da waren doch einige schlimme Patzer drin.
Samuil klang trotz ihrer Indisposition sehr voll, allerdings auch mit starkem Vibrato.
Trekel war von der Regie schon dermassen vernachlässigt, dass man ihn kaum wahrnahm.
Sehr gut Fischesser, die Amme (Margarita Nekrasova), Olga (Maria Gortsevskaya) und Larina (Katharina Kammerloher).
Die Installation von Freyer (eine Inszenierung würde ich das nicht nennen) war durchaus interessant, optisch sogar ansprechend. Doch über drei Stunden ging das ganze nicht auf. Jede Figur bewegte sich in einer ihr zugewiesenen Bahn rauf und runter, mit den immer gleichen stereotypen Bewegungen. Die Amme ganz rechts, Onegin ganz links (deshalb war er beinahe nicht zu sehen), alle Figuren waren ständig auf der Bühne, traten nie in Kontakt zueinander und sangen immer frontal ins Publikum. Dazu einige nette Beleuchtungseffekte, ansonsten dominierten schwarz und weiss, die Gesichter alle weiss geschminkt, fratzenhafte Zombies. Nur Freyers Akrobatiktruppe durfte sich dazwischen etwas freier bewegen. Für Leute, welche das Stück nicht kennen, bestimmt schwer zu verstehen.
Als Alternative sicher mal ok, aber da find ich Homokis Inszenierung an der KO bedeutend stärker, er nahm die Melancholie, die Langeweile und den immerwährenden Fluss überzeugender und stringenter auf.

Mittwoch, 15. Oktober 2008

Berlin: TURANDOT, 14.10.08


And the Oscar for best supporting actor goes to......PETER MAUS. Unglaublich, was Herr Maus darstellerisch aus der meist nur dekorativ gehaltenen Rolle des alten Kaisers herausholt. Das ist ein Verschnitt von Honecker, Breschnew, Pinochet und Hitler (mit dem parkinsonschen Syndrom). Seine kindische Freude über die Niederlage seiner Tochter, sein seniles Gebaren - einfach grossartig.
Regisseur Lorenzo Fioroni verlegt das märchenhafte Geschehen in einen entfernt an den Palast der Republik erinnernden Plenarsaal. Das Volk wird dazu verdammt, dem Politbüro/Junta zuzujubeln und zweifelhafte, brutale Theateraufführungen zu verfolgen, welche vom an Commedia dell´Arte erinnernden Trio Ping, Pang und Pong so herrlich komisch konterkariert werden (toll Nathan Myers, Jörg Schörner und Paul Kaufmann). Die Gewalt, die das ganze Treiben umgibt, schlägt schliesslich gnadenlos zu. Auch Turandot und Calaf sind in gewalttätigen Umgebungen gross geworden, sie als Tochter des Caudillo, er als Flüchtling. Am Ende kommen sie zwar zusammen, können ihrer eigenen Biografie aber nicht entkommen. Sie ermorden beide ihre Väter. Nein, Liebe ist es nicht, welche die beiden starken Figuren verbindet. Diese unverhoffte, plötzliche Liebe tritt im Libretto ja auch recht unbeholfen und unmotiviert am Schluss des Stücks auf. Deshalb macht die Deutung des Regisseurs durchaus Sinn, dass die Verbindung der beiden auf derer Traumatisierung aufbaut und eskaliert. Auf dem nackten Gerüst der Politbürologe werden auch Ping, Pong und Pang am Ende nichts mehr zu lachen haben.
Sängerisch stand der Abend erst mal unter keinem guten Stern: Carlo Ventre (Calaf) sagte krankheitsbedingt ab. Der Einspringer, Mario Zhang, schlug sich tapfer. Insgesamt fehlt es der Stimme aber an dramatischer Durschlagskraft für das grosse Haus. Immerhin darf ihm zu Gute gehalten werden, dass er den hohen Ton am Ende der Rätselszene voll aussang! Da gehen die meisten berühmten Tenöre runter.
Lise Lindstrom legte einen fulminanten Auftritt als eiskalte Prinzessin Turandot hin. Ihr "In questa reggia.." und die nachfolgende Rätselszene waren mit wunderbar schneidender Kälte und sicherer Höhe gesungen. Im dritten Akt hielt sie sich anfänglich etwas zurück, um sich dann aber im Schlussduett wieder zu steigern.
Neben dem kräftig auftrumpfenden und sicher singenden Chor erhielt Inna Los als Liú den meisten Applaus. Ihre zweite Are "Tu ch di gel sei cinta" gestaltete sie sehr anrührend. Anschliessend an ihren Selbstmord musste sie (es war wohl eine Puppe) noch 20 Minuten an einem Kabel über der Bühne hängen...
Als Timur glänzte der Bass Paata Burchuladze. Ein Penner, der sich nach dem Tode der Liú dem Alkohol ergibt und über dessen Ermordung durch seinen Sohn niemand mehr trauert.
Die besuchte Vorstellung war erst die vierte nach der Premiere. Erstaunlich, dass bereits nicht mehr Pinchas Steinberg am Pult stand, sondern der Assistent Attilio Tommasello, welcher insgesamt eine solide Vorstellung dirigierte, mit der Lautstärke des Orchesters aber doch gerade den Einspringer etwas rücksichtslos zudeckte.
Fazit: Interessante Deutung des Stoffes, nie langweilig.

Dienstag, 14. Oktober 2008

Duisburg: LOUISE


Diese Produktion MUSS man gesehen haben. Eine eindringlichere, aufwühlendere und nachdenklich stimmendere Opernproduktion habe ich in den letzten Jahren nicht gesehen. Was Regisseur Christof Loy aus dem hundertjährigen Stoff herausholt ist unglaublich aktuell. Am Schluss blieb manchem Zuschauer ein Tränenausbruch nicht erspart. Loy legte den Schwerpunkt auf die inzestuöse Beziehung des Vaters zu seiner Tochter Louise, das (in solchen Fällen leider oft übliche) Weggucken der Mutter, die sexuelle Unterdrückung der Tochter und die kurzen Momente von Louises Glück in der Künstlergemeinde des Montmartre. Dies alles spielte sich in einer Art Wartesaal des Glücks ab, Stil 50er Jahre. Eindrücklich das Spiel und der Gesang der Protagonisten, allen voran Sylvia Hamvasi, welche die Gewaltspartie der Louise mit unglaublich intensivem, strahlkräftigem Sopran ausstattete. Ihre Darstellung dieses von ihrer Familie zerstörten Mädchens berührte und erregte Wut auf eine Gesellschaft, die so etwas nach wie vor zulässt. Ihr etwas oberflächlicher Verehrer Julien, mit welchem sie nur einen kurzen Moment des Glücks geniessen darf, wurde von Sergej Khomov glaubwürdig dargestellt und hervorragend gesungen. In einem ekstatischen Duett vereinigten sich die beiden überragenden Stimmen. Sami Luttinen gestaltete den äusserlich biederen Vater (Nickelbrille und Aktenmappe), der doch ein echter Schweinehund ist, mit kernigem Bariton. Die in ihren Gefühlen erkaltete Mutter wurde von Marta Márquez mit grosser Bühnenpräsenz dargestellt, stimmlich hätte sie ruhig noch etwas aufdrehen können.
Jonathan Darlington leitete die hervorragend aufspielenden Duisburger Philharmoniker, holte all die wunderbaren impressionistischen Feinheiten aus der Partitur heraus, lotete die Leitmotive aufs Genaueste aus und erreichte auch musikalisch in der ohne Pause gespielten Oper ein Höchstmass der Gefühle.

Düsseldorf: DIE FRAU OHNE SCHATTEN


Premiere:
Nach einer halbstündigen Verspätung (Warnstreik des Orchesters) hob John Fiore den Taktstock zur Düsseldorfer Neuinszenierung von Richard Strauss´Meisterwerk. Leider schien dem Orchester der Streik nicht besonders gut getan zu haben: Koordinationsprobleme, Intonationstrübungen bei den Bläsern und brüchiger Streicherklang (zu kleine Besetzung ...) boten vor allem im ersten Akt wenig Genuss für das geübte FROSCH - Ohr.
Eine sehr glückliche Hand bewiesen die Verantwortlichen bei den immense Anforderungen stellenden weiblichen Hauptpartien: Linda Watson war eine überragende Färberin, ihre Bühnenpräsenz, die ausdrucksstarke Mimik und die dramatisch-durschlagskräftige Stimme waren phänomenal - eine Idealbesetzung. Renée Morloc legte die Amme weniger dämonisch an, als man es gewohnt ist. Sie sang aber wunderbar sauber und phrasierte hervorragend. Susan Anthony schliesslich war eine stimmkräftige Kaiserin mit sehr anrührendem Spiel. Mag sein, dass man ihre Anstrengungen bei den hohen Tönen manchmal zu deutlich spürte, doch sie kamen alle. Die schwierigen Intervallsprünge in "Vater bist du´s" waren eindrücklich gelungen.
Weniger glücklich wurde man mit den Männern: Alfons Eberz brachte mit lauten Tönen beinahe das Haus zum Einstürzen, doch die Genauigkeit der Intonation war merklich getrübt - manchmal schmerzlich. Tomasz Konieczny (für Hartmut Welker eingesprungen) gab einen sicheren Barak, stimmlich wunderschön gestaltete Passagen wechselten mit manchmal unmotivierten forte- Ausbrüchen.
Die Konzeption des Regieteams überzeugte durchwegs, eine vom Krieg zerstörte Gesellschaft, Menschen, die sich vor der brutalen Umwelt abzusetzen versuchen, die Augen verschliessen und am Ende doch von der Gewalt eingeholt werden. Das versöhnlich utopische Finale, das manchmal auch sehr kitschig wirken kann, ersparte uns Regisseur Guy Joosten. Die beiden Paare kommen nicht mehr zusammen, jeder stirbt für sich allein am Fuss der gigantischen schwarzen Treppe, auf und unter welcher sich der vierstündige Abend abspielte. Durch das Drehen dieser Treppe wurden die geforderten schnellen Szenenwechsel grossartig realisiert, das Färberhaus befand sich unter und im Innern der Treppe. Einzig zur so imposant in der Musik angelegten Zerstörung der Welt im Finale des zweiten Aktes fiel dem Regisseur wenig ein. Das liess kalt.