Sonntag, 28. September 2008

Luzern: Kehraus um St. Stephan



Kehraus um St. Stephan

Premiere in Luzern: 27.September 2008

Satire mit Musik in zwei Teilen

Musik: Ernst Krenek

Libretto: vom Komponisten

Uraufführung: 6. Dezember 1990 in Wien

Aufführungen in Luzern:

Mi 01.10.08 | Mi 15.10.08, Geschlossene Vorstellung | Fr 17.10.08 | So 02.11.08 | Fr 14.11.08 | So 16.11.08 | Do 20.11.08 | Do 27.11.08

http://www.luzernertheater.ch


Kritik:

Welch eine Entdeckung! Drei Stunden Spieldauer vergehen wie im Flug dank packender Handlung, intelligentem, satirischem und nachdenklich stimmendem Text – und dazu eine vorzügliche, szenisch äusserst genaue und musikalisch überzeugende Umsetzung dieses Sittengemäldes von Ernst Krenek.

Dirigent John Axelrod betreute am Samstag seine letzte Premiere in Luzern und bewies einmal mehr sein Gespür für Entdeckungen. Dieses Werk in dieser Interpretation MUSS man gesehen und gehört haben. Die Nähe zur Bühne erweist sich im Luzerner Theater zu einem Riesen Vorteil fürs Publikum. Gebannt verfolgt man das satirische, bitterböse und doch tragische Geschehen, leidet mit den exzellenten Darstellerinnen und Darstellern mit. Und diese leisten Beachtliches: Jason Kim verblüfft mit strahlkräftigem Tenor als Rittmeister a.D., Mechthild Bach ist eine in ihrer Abneigung gegen den unsympathischen Berliner Kabulke (toll gespielt und gesungen von Thomas Ghazeli) resolute Elisabeth, findet aber in ihrem grossen Gebet zu wahrlich anrührenden, durchdringenden und direkt ins Herz greifenden Tönen, meistert souverän die schwierigen Intervalle. Stefan Rössler ist der sympathische Weinbauer, einer, der noch an Anstand und Werte glaubt. Seine Kinder hingegen suchen das grosse, schnelle Glück (und Geld). Maria reflektiert ihr Handeln immerhin („Ich wollte das Geld haben, nun hat mich das Geld“). Simona Eisinger singt und gestaltet die Figur restlos überzeugend. Genauso prägnant charakterisiert Hans-Jürg Rickenbacher ihren Bruder Ferdinand. Eine Entdeckung ist der Bariton Howard Quilla Croft als Industrieller Koppreiter. Er zeichnet ein differenziertes Porträt dieses ziestrebigen Unternehmers, der dann doch so kläglich scheitert und nur noch die Selbsttötung als letzten Ausweg sieht. Wunderschön gesungen auch sein Duett mit Mechthild Bach im ersten Teil. In weiteren Rollen überzeugen Flurin Caduff, Caroline Vitale, Martin Nyvall und Jürgen Schulz. Vortrefflich der Chor des Luzerner Theaters und die Schülerinnes des Dance Art Studios.

Die Inszenierung im grauen, tristen Einheitsbühnenbild, welches mit wenigen Versatzstücken die schnellen Szenenfolgen genial bewältigt, ist absolut stimmig. Ohne Mätzchen wird die Geschichte aus der Zeit heraus erzählt – und eröffnet gerade dadurch dem Zuschauer die Möglichkeit, Parallelen zur heutigen Zeit zu ziehen, ohne ihn zu vergewaltigen. Chapeau!

Fazit:

Diese Entdeckung darf man nicht verpassen. Packendes, intelligentes und anregendes Musiktheater.

Werk und Inhalt:

Als eine «Satire mit Musik» bezeichnete Ernst Krenek seine 1930 komponierte Oper «Kehraus um St. Stephan», für die er auch das Textbuch verfasste. Mit kritischem, aber auch durchaus witzigem Blick auf die Zeit, gestatete Krenek eine intelligente, spannende und kurzweilige Analyse einer Gesellschaft, die keine Moral mehr kennt, am Abgrund tanzt. Damit passt das Stück wie angegossen in die heutige Zeit, man braucht es nicht einmal zu aktualisieren, um die Parallelen zu erkennen.

Vieles ist kaputt in der Welt der ehemaligen k.u.k. Monarchie. Der Krieg ging verloren, ein neues Unternehmertum, welches sich nicht scheut über Leichen zu gehen, breitet sich aus. Der ehemalige Adel und die Offiziere sind heimatlos geworden, die jungen Leute versuchen ihr Glück zu finden, indem sie sich in jeglicher Form prostituieren.

Die Musik Kreneks ist äusserst abwechslungsreich und farbig – sie wechselt vom mit Ariosi durchsetzten Konversationston zu innigen, gefühlvollen, auch religiösen Momenten, greift immer wieder rhythmisch vertrackte Tanzelemente auf, erinnert manchmal (gerade auch im moralisierenden Schluss) an Richard Strauss und Franz Schreker.

Seit seinem Erstling Jonny spielt auf, galt Krenek als entarteter Künstler, Kehraus um St. Stephan wurde nicht wie geplant 1930 in Leipzig uraufgeführt sondern erst 1990 in Wien.


Basel: La Bohème

La Bohème

Theater Basel

Ungewöhnliche Lesart von Puccinis Opernhit, garantiert nicht langweilig, vermag bestimmt auch junge Leute für Oper zu begeistern! Bravi!!!

Premiere: 26. September 2008

Oper in vier Bildern
Musik: Giacomo Puccini
Libretto: Luigi Illica / Giuseppe Giacosa
Uraufführung: 1. Februar 1896 im Teatro Regio, Turin
Aufführungen in Basel:
28. 9. | 1.10. | 5.10. | 13. 10. | 17.10. | 19.10. | 26. 10. 08 und weitere Aufführungen im November

Kartenbestellung und Infos: Theater Basel

Kritik:
Selten hat das Publikum dermassen mit den vier Künstlern im ersten Bild von Puccinis Bohème mitfrieren müssen wie hier in Basel. Da ist nichts von Malatelier mit Ausblick auf die Dächer von Paris zu sehen, sondern eine trostlose, beinahe apokalyptisch anmutende eiskalte Gletscherlandschaft bildet den Rahmen für die Handlung. Kein Wunder dass Colline, Schaunard und Marcello sich mit Hilfe des Kletterseils ins Café Momus begeben müssen, welches dann selbstverständlich nicht im Quartier Latin liegt sondern die Sonnenterrasse eines noblen Skiorts ist, auf welcher sich die Schickeria langweilt, bis die Blasmusik zur letzten Talabfahrt drängt. Nach diesen beiden weissen Bildern folgen sinngemäss die schwarzen. Nun kippt das Geschehen, aus dem Spass wird Ernst. Der Boden ist nun schwarz, auf einer Seite liegt noch etwas Schnee, die Bühne wird hinten durch ein dunkles, irrisierendes Licht ausstrahlendes Lochblech begrenzt. In dieser irrealen Welt begegnen sich die Liebenden noch einmal, vereinigen sich, um sich bald darauf wieder zu trennen. Stark dann der Schluss der Oper. Nun ist die Bühne total schwarz, die Protagonisten werden mit Spots hervorgehoben, treten kaum noch in Kontakt zueinander. Mimì stirbt, doch ihre Seele erhebt sich und findet endlich das lange erträumte Glück, das wärmende Bett, das in einem allerdings hässlichen Silberkäfig vom Bühnenhimmel schwebt. Diese neue Leseart des bekannten Stücks durch das junge Inszenierungsteam um Regisseur David Hermann (Falstaff in Luzern, Jeanne d’ Arc au bûcher in Basel) hat erwartungsgemäss das Publikum gespalten.
Gesungen und gespielt wurde allerdings grandios. Allen voran die zerbrechlich wirkende und doch so wunderbar sauber und mit warmem und aufs Schönste aufblühendem Sopran singende Mimì von Maya Boog. Welch ein Glück für Basel, diese fantastische Sängerin und Gestalterin am Haus zu haben. Berückend ihre Piani, begeisternd das Crescendo in ihren grossen Szenen. Aber auch die anderen Protagonisten dieses spielfreudigen Ensembles leisteten Beachtliches – so der junge Mexikaner David Lomeli als Rodolfo, mit stupender Höhe und umwerfend tolpatschigem Gehabe bei seinem ersten Annäherungsversuch an Mimì, der junge Kanadier Phillip Addis überzeugt mit warmem, rundem Bariton als eifersüchtiger, humorvoller Marcello und Nicholas Söderlund gestaltet die Trennung von seinem neuen, plastifizierten Designmantel vortrefflich. Sehr komisch auch die Musetta mit Schosshündchen von Agata Wilewska, deren helle Stimme sich wunderbar in die Ensembles einfügt.
Der Dirigent Maurizio Barbacini leitet das Geschehen mit viel Schwung, verleiht der Musik aber auch die nötige Portion Süsse und bereitet einen intensiven Klangteppich, auf welchem sich die Sängerinnen und Sänger wohl fühlen können.

Fazit:
Musikalisch beeindruckend, szenisch gewöhnungsbedürftig, aber erstaunlicherweise doch irgendwie stimmig. Garantiert kein langweiliger Abend!!!

Werk und Inhalt:
In eindringlichen, atmosphärisch dichten Bildern zeichnen Puccini und seine Librettisten Szenen aus dem Leben junger Menschen. Sie träumen von Freiheit und Selbstverwirklichung, sie lieben und sie streiten sich, sie kämpfen mit Humor ums Überleben. Doch als eine von ihnen tödlich erkrankt, wird aus dem sorglosen Leben bitterer, tragischer Ernst.
Puccini hat dazu eine seiner farbenprächtigsten Partituren komponiert, lyrisch-sentimentale Stellen verschmelzen mit humorvoll kontrastierenden Passagen, die Personen sind überaus stimmig in kurzen, prägnanten Ariosi charakterisiert. Im letzten Bild verschmelzen all diese Leit- und Erinnerungmotive, der Orchesterklang wird aber zugleich dünner und führt so zum ergreifenden Schluss.

Musikalische Höhepunkte:
Che gelida manina, Arie des Rodolfo, Bild I
Si, mi chiamano Mimì, Arie der Mimi, Bild I
O soave fanciulla, Duett Mimì-Rodolfo, Bild I
Quando m’en vo, Walzer der Musetta, Bild II
Addio dolce svegliare, Duett Mimì-Rodolfo mit Hintergrundgezänk Marcello-Musetta, Bild III
Vecchio zimarra, senti, Arie des Colline, Bild IV
O Mimì, tu più non torni, Arioso des Rodolfo, Bild IV

Montag, 22. September 2008

Amsterdam: DIE FRAU OHNE SCHATTEN


Tag der Aufführung
20.09.2008
Ort
Amsterdam De Nederlandse Opera
Komponist
Strauss Richard
Werk
Die Frau ohne Schatten
Besetzung
Der Kaiser: Klaus Florian Vogt
Die Kaiserin: Gabriele Fontana
Die Amme: Doris Soffel
Der Geisterbote: Peteris Eglitis
Der Hüter der Schwelle des Tempels / Die Stimme des Falken: Lenneke Ruiten
Eine Stimme von oben: Corinne Romijn
Erscheinung eines Jünglings: Jean-Léon Klostermann
Barak der Färber: Terje Stensvold
Sein Weib: Evelyn Herlitzius
Der Einäugige: Roger Smeets
Der Einarmige: Alexander Vassiliev
Der Bucklige: Torsten Hofmann
Dienerinnen: Lenneke Ruiten, Anneleen Bijnen, Inez Hafkamp
Die Stimmen der Wächter der Stadt: Peter Arink, Leo Geers, Harry Teeuwen, Tomoko Makuuchi, Jeanneke van Buul, Jeke Berends, Bernadette Bouthoorn, Hiroko Mogaki
Genre
Oper
Bemerkung
Nahezu perfekte FRAU OHNE SCHATTEN. Sowohl gesanglich als auch die Inszenierung. Die drei Damen waren phänomenal. Frau Herlitzius sang mit grosser, voller Stimme und erreichte Spitzentöne, die andere Sängerinnen in der Rolle gerne zu kaschieren versuchen. Frau Fontana hatte eine glasklare Stimme und erreichte treffsicher ihre Höhen. Im "Vater, bist Du es?" entfaltete sich ihre Stimme in hervorragender Weise und ohne Atemnot spannte sie die grossen Strauss'schen Bögen. Frau Soffel war eine Wahnsinns-Amme mit dämonischer Tiefe und sicheren Höhen, die auch wunderbar gehalten werden konnten. Als Überraschung darf Herr Vogt als Kaiser gelten. Schlanke, volle Stimme, der diese schwierige Partie scheinbar mühelos und in allen Lagen zu singen vermochte. Wenn andere Sänger in gleicher Partie nicht selten vom Orchester zugedeckt werden, Klaus Florian Vogt war immer gut zu hören. Herr Stensvold war ein Barak mit toller, angenehmer Stimme, der weder polterte noch undeutlich war. Die Spielfreude zeigte sich bei allen Beteiligten (sogar bei Baraks Brüdern, welche viel häufiger als in anderen Inszenierungen präsent waren), was sicher auch an Andreas Homokis gut durchdachtem Regiekonzept liegen mag. Erotisches Vergnügen: Der Jüngling wurde von Herrn Klostermann nicht nur wunderbar gesungen, sondern auch mit nackter Brust dargestellt ...

Alles in allem eine wirklich gelungene und lohnenswerte FroSch-Aufführung. Beinahe die perfekteste FRAU OHNE SCHATTEN, die man sich (gesanglich) wünschen mag.
Dirigent
Albrecht Marc
Regisseur
Homoki Andreas

Quelle: http://www.opern-freund.de

Ich kann mich nur anschliessen, es war grandios!

Donnerstag, 18. September 2008

Zürich: DAS RHEINGOLD, 17.9.2008


Das Rheingold

Opernhaus Zürich

Wiederaufnahme der wunderbar ästhetischen Installation von Robert Wilson, szenisch und musikalisch ein Ereignis!
Premiere: 17. September 2008, Wiederaufnahme

Das Rheingold
Vorabend zum Ring des Nibelungen
Musik: Richard Wagner
Textdichtung vom Komponisten
Uraufführung: 22. September 1869 im Nationaltheater, München
Aufführungen in Zürich: Fr, 19.09.2008 | Fr, 26.09.2008 | Do, 20.11.2008 | Mi, 26.11.2008
| Fr, 20.03.2009 | Mi, 01.04.2009 | Mi, 24.06.2009

Kritik:
Schon mit dem immer wieder faszinierend anzuhörenden, sich über 136 Takte steigernden Es-Dur Akkord im Vorspiel zu RHEINGOLD erreicht der junge Schweizer Dirigent Philippe Jordan eine ungeheure Transparenz und zugleich eine Sogwirkung und Spannung, die über die gesamte, pausenlose Spieldauer von über zweieinhalb Stunden nicht nachlässt. Das Orchester der Oper Zürich folgt ihm konzentriert und klangschön musizierend. Ein Genuss und ein viel versprechender Beginn am Vorabend zu Wagners Tetralogie, welche in dieser Saison (neben Einzelvorstellungen) auch viermal als Zyklus angeboten wird.
Wenn dann die Rheintöchter so herrlich langsam aus den Nebelschwaden auftauchen, die raffinierte Lichtgestaltung, die symbolträchtigen, durch klare Linien gezeichneten Kostüme und die hoch ästhetischen Bewegungen den Zuschauer in ihren Bann ziehen, steht einem inspirierenden, erfüllenden und trotz all der Langsamkeit nie lange wirkenden Abend nichts mehr im Wege. Robert Wilsons Inszenierung mit den Kostümen von Frida Parmeggiani und der Lichtgestaltung von Andreas Fuchs und Wilson selbst hat auch nach 8 Jahren nichts von ihrer Faszination eingebüsst.
Sämtliche Sängerinnen und Sänger zeichnen sich durch eine hervorragende Diktion und Phrasierungskunst aus, der Dirigent schafft eine perfekte Balance zwischen Orchester und Bühne. Er scheint die nicht unproblematischen akustischen Bedingungen hier am Haus bestens zu kennen.
Dass alle Rollen hervorragend mit Ensemblemitgliedern (und einem treuen Gast) besetzt werden konnten, zeichnet das Zürcher Ensemble einmal mehr aus. Egils Silins ist ein hochkarätiger Wotan, seine Autorität, seine Präsenz und die makellos geführte Stimme vermögen zu begeistern. Seiner Gemahlin Fricka (Liliana Nikiteanu) merkt man an, dass sie als „Bühnentier“ darstellerisch gerne mehr aus sich herausgehen möchte, als Wilsons Konzeption es ihr erlaubt. Deshalb verlegt sie alle Ausdrucksnuancen in die Stimme und erreicht dadurch eine faszinierende Intensität und Glaubwürdigkeit der Figur. Schon vor 8 Jahren war Loge richtigerweise mit einem Tenor besetzt, der eigentlich aus dem Belcanto Fach kam (Francisco Araiza). Diesmal hat man die dankbare Partie Reinaldo Macias anvertraut, der dieses Rollendebüt hervorragend meistert. Rolf Haustein war ein restlos überzeugender Alberich, ebenso Volker Vogel als sein Bruder Mime. Pavel Daniluk fügt mit dem Riesen Fafner die Reihe seiner eindrücklichen Basspartien fort. Ein grosses Vergnügen bereitete es, den drei Rheintöchtern von Sen Guo, Anja Schlösser und Irène Friedli zuzuhören. So herrlich reine Stimmen, so Mitleid erregend in ihrem klagenden Schlussgesang. Margaret Chalker (Freia), Cheyne Davidson (Donner) und Miroslav Christoff (Froh) komplettieren die Götterwelt, Fasolt (Andreas Hörl) wird leider trotz seiner stupenden Bassstimme von seinem Bruder Fafner beim Griff nach dem Ring erschlagen.
Das viel versprechendste Debüt des Abends beschert dem Publikum wohl das neue Ensemblemitglied Wiebke Lehmkuhl als Erda. Ihre durchdringenden Warnrufe „Weiche, Wotan, weiche …“ klingen beim Verlassen des Opernhauses noch lange nach.
Man kann sich so richtig auf die nächsten drei Ring-Abende freuen!
Fazit:
Faszinierende Inszenierung, geradezu ideale Besetzung und ein höchst spannendes Dirigat.
Ein gelungener Auftakt zu Wagners Gesamtkunstwerk!
Das Werk:
Richard Wagner beschäftigte sich über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren mit dem Nibelungenstoff. Entstanden ist ein zeitloses, gigantisches Gesamtkunstwerk, mit beinahe 20 Stunden Spieldauer, welches sich über vier Abende erstreckt. Über hundert meisterhaft verarbeitete Leitmotive prägen die Partitur, welche an die Solisten und das Orchester höchste Anforderungen stellt.
Den RING DES NIBELUNGEN kann man immer wieder neu sehen und interpretieren. Er kann eine Apotheose auf das Menschentum sein, eine Kritik an der industrialisierten Gesellschaft, eine politisch-soziale Kritik, eine Entsagung im Sinne Schopenhauers; man kann darin eine Vorwegnahme von Freuds Deutung des Unbewussten erkennen oder andere tiefenpsychologische Exkurse.
Im RING geht es um Machtstreben, Machtmissbrauch, List, Betrug, Entführung, Vergewaltigung, Inzest, Verträge und deren Brüche – und um Liebe.
Wagner hat den Text im konsequent angewandten Stabreim selbst verfasst. Er benutzte als Quelle seiner Inspiration weniger das mittelalterliche Nibelungenlied, sondern griff auf ältere nordisch-germanische Sagen zurück.
Inhalt des Vorabends:
Mit einem Fluch auf die Liebe raubt der Zwerg Alberich den Rheintöchtern das Gold. Daraus lässt er sich von den Nibelungen unter der Leitung seines Bruders Mime einen Tarnhelm sowie einen Ring schmieden, der ihm unermessliche Macht bescheren wird.
Die Riesen Fafner und Fasolt haben den Göttern eine gewaltige Burg gebaut – Walhall. Als Lohn haben sie sich die Göttin Freia ausgehandelt, die ewige Jugend verspricht. Göttervater Wotan jedoch weigert sich, Freie herauszugeben. Loge, der listige Feuergott, bietet den Riesen das Gold des Nibelungen an.
Auf betrügerische Art und Weise bemächtigen sich Wotan und Loge des Goldes und des Ringes. Allerdings heftet Alberich einen fürchterlichen Fluch an den Ring, welcher jeden, der sich seiner bemächtigt, vernichten soll. Der Fluch wirkt: Fafner erschlägt bei der Teilung des Goldschatzes seinen Bruder Fasolt.
Die Erdgöttin Erda prophezeit Wotan das Ende der Götter.
Wotan – voller Sorge über die Prophezeiung – und die Götter schreiten über eine Regenbogenbrücke zur Burg.



Montag, 15. September 2008

Zürich: Lucia di Lammermoor



Prunkstück der italienischen Opernromantik in einer nicht zwingenden Neuinszenierung! Einzig Elena Mosuc in der Titelpartie vermag zu berühren.

Premiere: 14. September 2008

Lucia di Lammermoor
Oper in 3 Akten
Musik: Gaetano Donizetti
Libretto: Salvatore Cammarano
Uraufführung: 26. September 1835 im Teatro San Carlo, Neapel
Aufführungen in Zürich: Di, 16.09.2008 | Do, 18.09.2008 | Sa, 20.09.2008 | Di, 23.09.2008 | Do, 25.09.2008 | So, 28.09.2008 | Fr, 03.10.2008 | Fr, 26.12.2008 | So, 28.12.2008

Kritik:
Eben noch flimmerten die aufwühlenden Bilder zum Gedenken an die unfassbaren Terroranschläge von 9/11 auf die Twin Towers des World Trade Centers über die Bildschirme – nun begegnen wir einem zerborstenen Wolkenkratzer aus Glas und Stahl auf der Bühne des Opernhauses, welcher das Einheitsbühnenbild dieser Neuinszenierung prägt. Es mag sein, dass diese Assoziation nicht beabsichtigt war, sie stellte sich bei manchem Besucher unweigerlich ein. Dies hätte den Verantwortlichen bewusst sein müssen. Als sich dann auch noch ein Stuntman effektvoll vom Wolkenkratzer (als Lucia nach deren Wahnsinnsszene) in die Tiefe stürzte, war der Gipfel der Geschmacklosigkeit erklommen. Der Turm diente wohl als Symbol für eine in ihrem tiefsten Kern zerstörte Gesellschaft. Immerhin funktionierten trotz der äusserlichen Zerstörungen die elektrischen Leitungen im Innern des Turms noch, so konnten sich darin einige nette visuelle Effekte abspielen.
Vier Neuinszenierungen von Werken, welche immerhin noch vergangene Spielzeit gegeben wurden, hat das Opernhaus für diese Saison angesetzt. (Neben LUCIA folgen noch FIDELIO, TOSCA und COSI FAN TUTTE.) Deshalb muss sich jede dieser Neuinszenierungen unweigerlich auch an ihren Vorgängerinnen messen und auf ihre Notwendigkeit hin hinterfragen lassen.
Dieser erste Vergleich fällt leider zuungunsten der Arbeit des jungen Teams um Regisseur Damiano Michielotto aus. Vermochte er im ersten Bild mit dem Auftritt des mit Taschenlampen und Spürhund ausgerüsteten Spähertrupps noch zu überzeugen, verflachte die Inszenierung im Verlauf des Abends, von einer prägenden, durchdachten Personenführung blieb nicht viel übrig (manches lief sogar der Musik explizit zuwider, so die verspätete Selbsttötung des Edgardo und der verfrühte Tod der Lucia); die Protagonisten flüchteten sich zusehends in konventionelle Operngestik. Zu vendetta und furor wurde gerade mal die Faust geballt, die dramatische Auseinandersetzung zwischen Enrico und Edgardo fand nicht zwischen den Kontrahenten statt, jeder stand an der Rampe und sang steif ins Publikum. An die klug durchdachte, eindringliche und berührende Inszenierung Robert Carsens aus den 80er Jahren reicht diese Neuinszenierung nicht im Entferntesten heran.
Auch Elena Mosuc, welche die Partie schon seit vielen Jahren erfolgreich in Zürich und anderswo verkörpert, wirkte in ihrem Agieren seltsam distanziert. Allerdings wurde dann die Wahnsinnsszene, welche sie zum Teil in der Embryonalstellung sang, durch ihre subtile und intensiv – berührende Gestaltung zu Recht zu einem umjubelten Höhepunkt des Abends. Die Sauberkeit ihrer herrlichen Stimme, welche vor allem im Zwiegesang mit der Flöte so wunderbar erklang, zeigt die Klasse und Grösse dieser Künstlerin. Sie setzt nicht auf oberflächlich demonstrative Lautstärke, sondern auf Empfindung – leider ganz im Gegensatz zu ihren Partnern an diesem Premierenabend.
Das mit Spannung erwartete Debüt des jungen, gut aussehenden Tenors Vittorio Grigolo hier am Haus wurde zwar heftig bejubelt. Welch eine Kraft, welch wunderschöne Stimme, welch ein Schmelz – mit viel Enthusiasmus stürzt er sich in seine Rolle, als einziger geht er darstellerisch aus sich heraus, zur grossen Freude seiner Verehrerinnen darf er auch seinen muskulösen Oberkörper im Finale des zweiten Aktes entblössen. Doch der Diamant bedarf noch des Feinschliffs – oder er muss sein Volumen an die Dimensionen des Hauses anzupassen verstehen. Stellenweise sang er seine Partnerin und seine Partner regelrecht an die Wand. Ob seine Stimme seinem konstanten fortissimo auf Dauer standhalten kann, wird die Zukunft zeigen – ein Versprechen ist sie allemal.
Sein Gegenspieler Enrico wurde ebenfalls von einem jungen Sänger gesungen, Massimo Cavalletti. Auch er darf sich einer wunderbar satt strömenden Stimme glücklich schätzen, seine Gestaltung der Partie wirkte jedoch noch sehr eindimensional. So kam sein Ausruf „Ah perfida!“ völlig emotionslos und beinahe unbeteiligt daher, obwohl für ihn doch eine Welt zusammenbrechen müsste, nachdem sein ganzes Intrigengeflecht durch den Mord Lucias an Arturo zerstört worden war. Den Arturo zeichnete Boiko Zvetanov so richtig snobistisch überheblich, er holte das Maximum aus dieser kleinen, undankbaren Partie heraus. László Polgár sang mit herrlich differenziertem, autoritärem Bass die Rolle des zwielichtigen Priesters Raimondo.
Als Spiritus Rector der Aufführung bezeichnete der Intendant Maestro Nello Santi, der damit seine 50jährige Verbundenheit mit dem Opernhaus Zürich feiern darf. Natürlich kennt er die Partitur wie wohl kaum ein anderer und zaubert mit dem grossartig spielenden Orchester der Oper Zürich herrliche Farben aus dem Orchestergraben.
Doch bei aller Schönheit manchen Details: Wirklich berührt hat die tragische Geschichte nicht.

Fazit:
Die Aufführung erreicht bei weitem nicht die szenischen Qualitäten ihrer Vorgängerin. Wirklich unter die Haut geht diese wunderbare Oper nicht. Elena Mosuc glänzt als differenziert gestaltende Titelheldin

Das Werk:
Lucia di Lammermoor ist das Prunkstück der italienischen Opernromantik. Ein überragendes, unglaublich zeitüberdauerndes Libretto inspirierte Donizetti zu seinen wohl schönsten musikalischen Eingebungen. Lucia ist ganz im wörtlichen Sinne eine Lichtgestalt der Opernwelt, die unbefleckte Mörderin. Die Popularität dieser Oper hat auch in der Literatur ihre Spuren hinterlassen, von Flauberts Madame Bovary über Tolstois Anna Karenina bis zu Lampedusas Gattopardo, in welchem das Tenorfinale aus Lucia di Lammmermoor den inneren Monolog des Don Fabrizio begleitet.
Dieses Tenorfinale stellt einen formgeschichtlichen Geniestreich dar, steht doch – im Gegensatz etwa zu Bellinis Hauptwerken – für einmal nicht die Primadonna mit einem Bravourstück am Ende einer Belkanto Oper, sondern der Primo Uomo in einer Szene, welche den Lebenspessimismus, der dieses Werk prägt, so berührend vermittelt.

Synopsis:
Höchst brisant und leider immer noch aktuell:
Verfeindete Familien, Zwangsheirat, Unterdrückung der Selbstbestimmung der Frau, zwielichtige Rolle der kirchlichen Würdenträger …
Lucia Ashton liebt Edgardo Ravenswood, den Todfeind ihres Bruders Enrico.
Edgardo muss aus politischen Gründen fliehen, doch die beiden Liebenden schwören sich beim letzten heimlichen Rendez-vous ewige Treue.
Enrico fängt sämtliche Briefe Edgardos an Lucia ab, ja er fälscht sogar Briefe, um Lucia von der Untreue ihres Geliebten zu überzeugen. Mit Hilfe des Priesters Raimondo zwingt er Lucia zur Heirat mit Arturo Talbot, von dem er sich politische Unterstützung erhofft.
Mitten in die Hochzeitszeremonie platzt Edgardo und überhäuft Lucia mit Vorwürfen des Verrats und der Untreue.
Lucia hat in der Hochzeitsnacht in zunehmender geistiger Umnachtung Arturo erstochen.
Enrico fordert Edgardo zum Duell bei den Gräbern der Ravenswoods. Edgardo erfährt von Lucias Tat und ihrem Wahnsinn. Die Totenglocke erklingt. Edgardo folgt der Geliebten durch Selbsttötung in den Tod.

Musikalische Höhepunkte:
Cruda funesta smania, Kavatine des Enrico, Akt I
Regnava nel silenzio, Auftrittsarie der Lucia, Akt I
Sulla tomba che rinserra … Verranno a te, Duett Lucia-Edgardo, Akt I
Se tradirmi tu potrai, Duett Lucia-Enrico, Akt II
Chi mi frena in tal momento, Sextett, Finale Akt II
Il dolce suono … Ardon gli incensi, Wahnsinnsszene der Lucia, Akt III
Tombe degli ave miei … Tu che a dio spiegasti l’ali, grosses Tenorfinale des Edgardo, Akt III

Samstag, 6. September 2008

Winterthur: Der Graf von Luxemburg

Der Graf von Luxemburg

Winterthur

Operette aus der silbernen Ära, gefällig und opulent dargeboten, aber ohne an der lackierten Oberfläche zu ritzen.

Premiere: 5. September 2008

Der Graf von Luxemburg
Operette in 3 Akten
Musik: Franz Lehár
Libretto: Alfred Maria Willner und Robert Bodanzky
Uraufführung: 12. November 1909 Theater and der Wien, Wien
2. Fassung: 4. März 1937, Theater des Volkes, Berlin
Aufführungen in Winterthur Freitag, 05.09. | 07.09. | 09.09. | 13.09. | 14.09.2008

Kritik:
Wer leichtfüssige Operette in opulenter Ausstattung mag, ist mit der Aufführung in Winterthur bestens bedient. Herrliche Kostüme im Stil der 20er Jahre, drei grossartige, detailverliebte Bühnenbilder (William Orlandi) und eine Regie, welche die skurrile Geschichte geradlinig und mit einigem Augenzwinkern erzählt, bescheren einen vergnüglichen Abend.
Im Bühnenbild des ersten Aktes könnte man auch Puccinis Bohème spielen (Puccini und Lehár waren befreundet), der zweite Akt spielt in einer Gemäldesammlung weiblicher Akte, von Modigliani bis Renoir, die Verwandlung auf offener Bühne zum Hotelfoyer des dritten Aktes ist eine faszinierende Meisterleistung der Bühnentechnik.
Sängerisch bleiben bei den Damen keine Wünsche offen. Christiane Kohl offenbart nach ihrer wunderbaren Christine in Intermezzo einen weiteren Beweis ihres Könnens. Ihre Angèle wirkt zwar anfänglich etwas kühl und distanziert, doch ihre herrliche Sopranstimme vermag zu begeistern. Ebenso silbern klingt Rebeca Olvera in der Soubrettenpartie der Juliette. Liuba Chuchrova hat einen umwerfend komischen Auftritt als Vodka trinkende und Männer verzehrende Fürstin Kokozow im dritten Akt.
Bei den Herren überzeugt Andreas Winkler in der Buffopartie des Malers Brissard. Sein wunderbar leicht geführter, makelloser Spieltenor ist für solche Rollen geradezu ideal.
Der Titelheld wird vom jungen Schweden Johan Weigel sympathisch gestaltet. In seiner grossen Arie im zweiten Akt (Trèfle incarnat) brilliert er mit einem wahrlich fulminanten, an Richard Tauber erinnernden Schlusston. Leider war seine Intonation an anderen Stellen nicht immer so ungetrübt. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese in den kommenden Aufführungen noch verbessern wird.
Peter Straka gibt den ältlichen Lüstling mit viel Augenrollen und konventionellen Operettengesten: Beim Tanzen und beim Bücken muss er sich ständig ins Kreuz fassen. Stimmlich hingegen hat sich der verdiente Sänger hier geradezu eine Paradepartie erschlossen.
Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Ralf Weikert, der die Partitur zusammen mit dem sorgfältig musizierenden Musikkollegium Winterthur zu Recht ernst nimmt, viele schöne Details herausarbeitet und doch die leicht schwebende Walzerstimmung nicht unterbricht.
Zum Schluss regnet es Silberplättchen vom Bühnenhimmel, die Ära der silbernen Operette ist auferstanden – und doch fragt man sich, ob das nun wirklich alles gewesen sein soll, was aus dem Werk herauszuholen ist. Nach Konwitschnys und Wernickes grossartigen Regietaten im Bereich der Operette verharrt Helmut Lohners Arbeit allzu sehr an der Oberfläche der Gefälligkeit; trotz einigen witzigen neuen Dialogen fehlen Doppelbödigkeit und Sarkasmus. Etwas mehr Biss wäre durchaus wünschenswert gewesen.

Fazit:
Gefälliger Operettenabend, opulent, aber ohne Biss.

Werk:
Nach dem Erfolg der Lustigen Witwe konnte sich Lehár vor Aufträgen kaum retten, alles musste schnell gehen. Franz Lehár war quasi der Lloyd-Webber seiner Zeit. Mit dem Grafen von Luxemburg knüpfte er an die Tradition der Salonoperette an, ernstes Paar, Buffopaar, alter Lüstling und erotisch-laszives Geplänkel. Lehár, der im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen ein versierter Instrumentierer war, überliess bei diesem Werk anscheinend einen Grossteil der Instrumentierung ausgerechnet Arnold Schönberg, was in manch reizvoller harmonischer Wendung durchaus zu hören ist. Ansonsten herrscht eine manchmal ermüdende Walzerseligkeit vor, insbesondere der valse moderato nimmt einen grossen Anteil der Partitur ein.
Als Lieblingskomponist Hitlers bearbeitete Lehár 1937 das Werk für das Berliner Theater des Volkes. Diese Fassung ist heute gebräuchlich und wird auch in Winterthur gespielt.

Synopsis:
Fürst Basil Basilowitsch hat sich in die Sängerin Angèle Didier verliebt, doch ist es ihm untersagt, eine Frau niedrigen Standes zu ehelichen.
Da kommt ihm der verarmte Lebemann Graf René von Luxemburg gerade recht. Basil unterbreitet ihm ein unmoralisches Angebot: Für eine halbe Million soll der Graf die Sängerin pro forma zu seiner Frau machen und sich nach drei Monaten von ihr wieder scheiden lassen. Die Frau befände sich dann im Adelsstand, was ihm, Basil, die Heirat selbst ermöglichen würde.
Während der Hochzeitszeremonie kann René keinen Blick auf die Gemahlin werfen, danach muss er in Paris untertauchen.
Die vereinbarten drei Monaten sind beinahe vergangen, als der Zufall René in den Wintergarten des Palais der Sängerin verschlägt, wo diese gerade auftritt. Er verliebt sich auf Anhieb in die unbekannte Sängerin und auch Angèle findet Gefallen an ihm.Die Wahrheit kommt ans Licht, beide erkennen, dass sie aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben. Doch wie umgeht man den Wortbruch Renés?
Da hilft die Operettenlösung. Die Gräfin Kokozow taucht auf, schnappt sich Basil wieder, der ihr schon einmal die Ehe versprochen hatte. Dem Glück des Liebepaares steht nichts mehr im Wege.

Musikalische Höhepunkte:
Mädel klein, Mädel fein
Bist Du’s, lachendes Glück, das jetzt vorüberschwebt…
Lieber Freund, man greift nicht nach den Sternen
Sie geht links, er geht rechts, Mann und Frau, jeder möcht’s, ideal ist solche Ehe, schmerzlos ohne jedes Wehe!
Trèfle incarnat
Unbekannt, darum nicht minder interessant.