Sonntag, 29. Juni 2008

Zürich: CARMEN, 28. Juni 2008





Diese CARMEN ist szenisch und musikalisch ein Ereignis; Weltklasse in Zürich mit dem beeindruckenden Rollendebüt von Vesselina Kasarova und Jonas Kaufmann als Don José!

„Gott! welch Licht hier!“, ist man – in leichter Abänderung eines Fidelio Zitats – versucht auszurufen angesichts der raffinierten Lichtgestaltung dieser Carmen-Produktion von Martin Gebhart. Von der grauen Morgendämmerung des Beginns, über die zunehmend schwüler werdenden Vormittagsstunden zur Abenddämmerung in der Kneipe von Lillas Pastia, von der Vollmondszene im dritten Akt zur gleissenden Mittagshitze auf der Plaza vor der Arena durchzieht ein ausgeklügeltes, schlüssiges Konzept diesen in allen Belangen stimmigen Abend. „Licht“ auch in der musikalischen Umsetzung mit dem mit grosser Spannung erwarteten Rollendebüt von Vesselina Kasarova in der Titelpartie. Jenseits von allen Rollenklischees IST die Kasarova Carmen, gleich einer unbezähmbaren Katze schmeichelt sie, stösst zurück, nähert sich beinahe schnurrend wieder an, um gleich darauf die kurzen Locken widerborstig zu schütteln, sie mokiert sich über beinahe alles und jeden, beharrt trotzig auf ihrem für sie so selbstverständlichen sexuellen Selbstbestimmungsrecht in diesem vom Machismo dominierten Umfeld. Die darstellerische Raffinesse geht einher mit der musikalischen: So subtil, so differenziert, so dunkel und tiefgründig, aber auch so blitzsauber (und blitzgescheit!) und trotzdem erotisch lodernd hat man Carmen wohl noch kaum je gesungen gehört. Nicht die bekannte Habanera oder die Seguedille wurden zu den Höhepunkten (obwohl auch diese makellos gesungen wurden), sondern die schwermütige Kartenarie im dritten Akt und die Schlussszene, die an Eindringlichkeit kaum zu übertreffen sein werden. Wie hier José und Carmen wie verwundete Raubkatzen um den Olivenbaum schleichen, sich einander annähern, sich vom bedrohlichen Flüsterton zum leidenschaftlichen Ausbruch steigern, der im Mord an Carmen kulminiert, wie sie den Todesstoss, obwohl erwartet, doch ungläubig, ja beinahe bewundernd entgegennimmt, das erzeugte Gänsehaut und war darstellerisch und gesanglich eine Glanzleistung der beiden Protagonisten. Zugleich zeigte sich da einmal mehr, wie genau Regisseur Matthias Hartmann die Personen zu führen vermag, wie sorgfältig er auf Musik und Text hört. Gleich einem spannenden Psychothriller läuft das Geschehen ab. Jede Figur ist exakt gezeichnet: Der grüblerische Student Don José in Polizeiuniform, der offensichtlich den falschen Beruf gewählt hat, wahrscheinlich seiner Mutter zuliebe, und sich in der primitiven Umgebung seiner sich an Pin-ups aufgeilenden Kumpanen sichtlich unwohl fühlt; die liebende, besorgte und doch mutige Micaëla (Isabel Rey, mit herrlich aufblühender Stimme in ihrer grossen Arie und im Duett), die den widerlichen Machos trotzt; ein Escamillo (Michele Pertusi, wunderbar präsent, höhensicher und kräftig), welcher auch ohne kitschiges Torerokostüm und billige Allüren für Carmen attraktiv ist; der schmierige Morales (Krešimir Stražnac), der dank seiner sonst meist gestrichenen Szene im ersten Akt Profil erhält; die Schmuggler Dancaïre (der wie stets attraktive aussehende und brillant singende Gabriel Bermúdez) und Remendado (Javier Camarena), die ihr machohaftes Gehabe genauso ausleben wie auf der Gegenseite Leutnant Zuniga (Morgan Moody); die Zigeunerinnen Frasquita (Sen Guo) und Mercédès (Judith Schmid). Sie alle sangen und spielten grandios, das Schmugglerquintett im zweiten Akt wurde so zu einer Sternstunde des Operngesangs.
Ein grosses Lob gebührt auch der Choreographin Teresa Rotemberg für ihre eindringlich gestalteten Massenszenen und Tänze. Der Chor, der Zusatzchor, sowie der Kinder- und Jugendchor des Opernhauses Zürich sangen und agierten bewundernswert!
Die von Volker Hintermeier gestaltete Bühne und die schlichten und doch so stimmig mediterran wirkenden Kostüme von Su Bühler liessen den Darstellerinnen und Darstellern genügend Raum für das intensive Spiel. Eine weisse, ovale Scheibe, welche nur für den dritten Akt mit einem dunkel gefleckten Belag versehen wurde und wenige Versatzstücke reichten vollkommen aus, um stimmungsvolle Bilder zu erzeugen. Der Souffleurkasten wurde für jeden Akt anders verhüllt: Im ersten Akt war es ein in der Hitze schlafender Hund, der aber zur Belustigung des Publikums auch mal mit dem Schwanz wedeln konnte, im zweiten Akt war es ein billiger Weinkarton, im dritten ein Felsbrocken und im vierten Akt schliesslich der Totenschschädel eines Stiers.
Franz Welser-Möst, mit seiner letzten Premiere als GMD, und das Orchester der Oper Zürich loteten die Partitur sehr genau aus, und doch wirkte alles äusserst organisch, wie aus einem Guss. Wunderbare Soli der Holzbläser, satter, warmer Klang der Streicher, rasante und stimmige Tempi sowie eine ausgezeichnete Balance zwischen Stimmen und Orchesterklang brachten Bizets meisterhaftes Werk zum Lodern. In den vergangenen Jahren hat man sich an die Dialogfassung der CARMEN gewöhnt. In Zürich spielt man diesmal eine auf der kritischen Neusausgabe durch Michael Rot beruhende Fassung des Werks, mit den von Guirod nachkomponierten Rezitativen. Damit umgeht man den Spannungsabfall, der durch hölzern gesprochene Dialoge entstehen könnte. Ein kluger Entscheid!
Das Publikum schien sich an diesem warmen Sommerabend zuerst an diese Lesart der CARMEN, die jenseits aller Postkartenidyllen ablief, gewöhnen zu müssen. Deshalb hielt sich der Zwischenapplaus wohl in Grenzen. Am Schluss aber erhielten alle verdienten Jubel. Am heftigsten gefeiert wurde Jonas Kaufmann als Don José. Das Porträt dieses vom unerfahrenen, verträumten Jüngling zum vor Eifersucht rasenden Liebhaber „gereiften“ Mannes überzeugte in all seinen differenzierten Schattierungen restlos. Sein sonst meist baritonal timbrierter Tenor klang eher heller und harmonierte wunderbar mit Kasarovas dunklem Mezzo. Der kultivierte Pianogesang, die ausdrucksstarken, nie unkontrollierten Steigerungen und die expressiven Phrasen in seiner grossen Arie La fleur que tu m’avais jettée zeigten die ganze Zerrisenheit dieser Figur. Welch ein Glück, diesen sympathischen Mann am Opernhaus Zürich zu haben, ihn in immer neuen Partien erleben zu dürfen.

Fazit:
Ein mitreissender, unter die Haut gehender Opernabend in traumhafter Besetzung.
Weltklasse!!!

Musikalische Höhepunkte:

Duett Micaëla – José: Parle-moi de ma mère, Akt I
Habanera der Carmen: L’amour est un oiseau rebelle, Akt I
Segeduille der Carmen: Près des remparts de Seville, Akt I
Couplets des Escamillo: Votre toast, je peux vous le rendre, Akt II
Blumenarie des Don José: La fleur que tu m’avais jetée, Akt II
Schmugglerquintett, Akt II
Kartenterzett Carmen, Frasquita, Mercedes, Akt III
Arie der Micaëla: Je dis que rien ne m’épouvante, Akt III
Schlussszene Carmen-José, Akt IV

Inhalt und Werk:
L’amour est un oiseau rebelle
Carmen ist der Traum aller Männerphantasien, voll impulsiver Sinnlichkeit und erotischer Anziehungskraft. Tagsüber arbeitet die Zigeunerin in einer Tabakfabrik, nachts verdreht sie den Männern in Lillas Pastias Kneipe am Rande der Stadt den Kopf. Geschickt wickelt sie die Männer um den Finger und lässt sie daraufhin eiskalt wieder abblitzen. Doch ihr alle Konventionen sprengender Freiheitsdrang wird ihr eines Tages zum Verhängnis. Als Carmen wegen einer Messerstecherei in der Tabakfabrik von Don José ins Gefängnis abgeführt werden soll, überredet sie diesen, sie laufen zu lassen, und verspricht ihm, für ihn allein in Lillas Pastias Kneipe zu tanzen. Von Carmen komplett in den Bann gezogen, wirft Don José alle seine moralischen Grundsätze über Bord, lässt das Andenken an seine Mutter und seine alte Jugendliebe Micaela hinter sich und stürzt sich in das Abenteuer mit Carmen. Auch Carmen scheint für einen kurzen Moment ihre wahre Liebe gefunden zu haben und will ihre Karriere als Schmugglerin an den Nagel hängen. Doch das Schicksal der beiden scheint bereits von Anfang an vorprogrammiert. Zu unvereinbar sind die beiden Lebensentwürfe. Don José, hin und her gerissen zwischen Pflicht und Leidenschaft, kann sich nicht zu einem Leben mit Carmen in Freiheit entschliessen. Statt dessen steigert ein feuriger Torero namens Escamillo seine Eifersucht ins Unermessliche, so dass der pflichtbewusste Sergeant schliesslich zum Mörder wird.
CARMEN ist Georges Bizets letzte Oper und zugleich sein grösster Publikumserfolg. Die Titelheldin steht als verführerische Femme fatale in der Tradition von Verdis Violetta und weist voraus auf Schönbergs Lulu. Schauplatz und Musik der Oper lassen das typisch spanische Kolorit erkennen. Doch Carmen ist mehr als eine folkloristische Ausstattungsoper. Es ist ein Stück über komplett unterschiedliche Lebensentwürfe und die fatale Verbindung von Liebe und Freiheit, Pflicht und Leidenschaft.

Sonntag, 22. Juni 2008

Essen: DIE FRAU OHNE SCHATTEN

AALTO Musiktheater Essen
Silvana Dussmann, Stefan Soltesz, Ildiko Szönyi

Eine rasend gute Aufführung von Strauss' Meisterwerk. Silvana Dussmann strahlte als Kaiserin, Wolfgang Brendel sang vor allem im ersten Akt einen sehr guten Barak, Ildiko Szönyi verfügte über die kräftige Dämonie für die Amme, Kirsi Tiihonen war in Spiel und Gesang eine bemerkenswerte Kaiserin und Jeffry Dowd ein kräftig strahlender Kaiser. Stefan Soltesz dirigierte das über vierstündige Werk eindringlich, die gewaltigen Orchesterfluten deckten die Sängerinnen und Sänger jedoch nie zu, so dass der Text auch ohne Übertitel immer verständlich blieb. Die märchenhafte, stimmige Inszenierung von Fred Berndt trug das ihrige zu einem äusserst gelungenen Opernabend bei.

St. Gallen: Giovanna d'Arco

Giovanna d'Arco im Klosterhof St. Gallen
Mit Regisseur Giancarlo del Monaco

Kritik:
Eine riesige, blutbefleckte schwarze Treppe hat Regisseur und Ausstatter Giancarlo del Monaco vor die barocke Fassade der Klosterkirche St. Gallen bauen lassen. Auf ihr nimmt die dramatische, kriegerische Handlung ihren unerbittlichen Lauf. Historische Kostüme, brennende Fackeln, ein durchdachtes, faszinierendes Lichtdesign (Guido Petzold) und metallisch glänzende Speere, die auch mal zu unheimlich mysteriös leuchtenden Baumstämmen umfunktioniert werden können und ab und an aus den Gitterrosten aufsteigende Rauchschwaden prägen diese einfache Bühne. Die Auftritte des Chores (begleitet vom Kampfeslärm über Lautsprecher) und der Protagonisten finden meist über die Zuschauerränge statt, was mitunter zu Längen führt, da es gewaltige Wege zu meistern gilt. Insgesamt setzt der Regisseur die fantastisch singenden Chöre (Chor des Theaters St. Gallen, Theaterchor Winterthur, Chor der Oper Craiova) sehr statisch ein (wie von ihm aus seinen Zürcher Inszenierungen gewohnt), es ergeben sich hübsch anzuschauende Tableaus, doch von überzeugender, individualisierender Choreografie leider keine Spur. Auch die drei Protagonisten scheinen weit gehend sich selbst überlassen worden zu sein. Konventionelle Operngestik beherrscht die Szene. Wahrscheinlich kann man von einer Openair Aufführung nicht mehr erwarten … .
Dass die Aufführung aber dennoch Schmiss hat und berührt, liegt an den hervorragenden Stimmen der Sopranistin Paoletta Marrocu in der Titelrolle, des Tenors Gustavo Porta als Carlo VII, des Baritons Anooshah Golesorkhi als Giacomo und am differenzierten Spiel des Sinfonieorchesters St. Gallen unter der Leitung von Antonino Fogliani. Obwohl sich das Ohr zuerst an den über Lautsprecher verstärkten Klang des Orchesters und der Sänger gewöhnen muss und es manchmal einige Zeit dauert, die Sänger auf der Bühne zu orten, kann man sich an den wunderbaren, einfallsreichen und mitreissenden Melodien des jungen Verdi erfreuen.
Frau Marrocu singt mit gewohnt metallischem Timbre, sicherer Höhe und wunderbar grossem Atem eine restlos begeisternde Giovanna. Gustavo Porta glänzt mit kerniger, herrlich aufblühender Stimme und weichen Kantilenen. Ich habe ihn persönlich noch nie so gut gehört wie an diesem Abend in St. Gallen. Verdi hat mit der Rolle des Giacomo eine weitere seiner dankbaren Vaterfiguren geschaffen (Rigoletto, Boccanegra, Miller, Nabucco, Germont … ). Der Bariton Anooshah Golesorkhi vermag mit warmer, kräftiger Stimme die widersprüchlichen Gefühle dieses Menschen überzeugend und sehr differenziert zu vermitteln, einerseits ist er der besorgte Vater, andererseits der religiös verblendete Eiferer.

Als Giovanna tödlich verwundet zu ihrer letzten Phrase ansetzt und den Himmel sich öffnen sieht, schlägt eine nahe Kirchenglocke 23 Uhr, die Fassade der Klosterkirche erstrahlt in gleissendem Licht und starke Scheinwerferstrahlen vereinigen sich im schwarzen Nachthimmel über dem Klosterhof zu einem leuchtenden Punkt – ergreifend.

Fazit:
Mitreissende Oper des jungen Verdi, gesungen von grossen Stimmen und aufgeführt vor der imposanten Kulisse der barocken Klosterkirche St. Gallen.


Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre mit dem zauberhaften Flötensolo im Mittelteil
Sempre all’alba ed alla sera, Gebet der Giovanna, Prolog
Pondo è letal, martiro, Arie des Carlo, Prolog
Pronto sono … Son guerriera, Duett Carlo-Giovanna, Prolog
So che per via di triboli, Arie des Giacomo, Akt I
O fatidica foresta, Arie der Giovanna, Akt I
Vieni al tempio, Finale Akt I
Ti discolpa … Imbianca e tace, Finale Akt II
Or dal padre benedetta, Duett Giacomo-Giovanna, Akt III
Che mai fu? ... S’apre il cielo, Finale Akt III

Inhalt:
Frankreich zur Zeit des 100jährigen Krieges, 1429
Der noch ungekrönte Dauphin Frankreichs, Karl VII., trifft bei einer Madonnenstatue im Wald beim Dorf Domrémy auf Giovanna. Sie überredet ihn, die schon verloren geglaubte Schlacht gegen die Engländer wieder aufzunehmen und zieht mit ihm in den Krieg. Giacomo, Giovannas Vater, beobachtet die beiden unbemerkt. Er ist überzeugt, dass seine Tochter die Geliebte des Königs ist, was er nicht akzeptieren kann und will. Nach der erfolgreichen Schlacht danken die Franzosen Giovanna. Diese will zu ihrem einfachen Leben zurückkehren, doch Carlo (Karl VII. ) überredet sie zu bleiben und gesteht ihr seine Liebe. Obwohl die Jungfrau von inneren Stimmen gewarnt wird, gibt sie nach und begleitet ihn zur Krönung in der Kathedrale von Reims. Nach der Zeremonie tritt Giovannas Vater vor das Volk und beschuldigt seine Tochter der Unreinheit und der Hexerei. Giovanna schweigt aus Schuldgefühlen zu den Anschuldigungen. Sie wird als Hexe den Engländern zur Verbrennung ausgeliefert. Angekettet bittet sie Gott, sie zu befreien, damit sie den Franzosen abermals im Kampf beistehen kann. Ihr Vater merkt nun, dass er sich geirrt hat. Er durchtrennt ihre Ketten und sie stürzt sich in die Schlacht. Die Franzosen erringen dank ihrer Hilfe einen weiteren Sieg, doch Giovanna wird tödlich verwundet. Sterbend sieht sie, wie sich der Himmel für sie öffnet.

Werk:
«Giovanna d’Arco» ist Verdis siebte Oper und gehört wie «Nabucco» und «Il Lombardi» zu den grossen Choropern seiner jungen Schaffensperiode.
Wie Nabucco und Attila ist das Werk ganz dem Geiste des Risorgimento verpflichtet, den Bestrebungen, die Einheit Italiens wieder herzustellen und sich vom Joch der österreichischen Herrschaft zu befreien. So übte auch Giovanna d’Arco eine starke patriotische Wirkung auf das italienische Publikum aus und brachte es in der ersten Spielzeit auf beachtliche 17 Aufführungen. Obwohl das Werk nicht die Geschlossenheit des Nabucco oder des Ernani erreicht, verfehlen die schmetternden Kabaletten und martialischen Chöre, aber auch die anrührenden Gebete Giovannas und die himmlischen Stimmen ihre mitreissende Wirkung nicht.
Letztmals in Zürich 1982 in einer konzertanten Wiedergabe unter Nello Santi und mit Margaret Price in der Titelrolle zu erleben.

Ein Werk, das wie geschaffen ist für diesen so beeindruckenden Aufführungsort!

Die Geschichte der Jungfrau von Orléans, für die Franzosen der Nationalmythos schlechthin, ist spätestens mit ihrer Dramatisierung durch Friedrich Schiller ein Stück Weltliteratur geworden. Ob auf der Theaterbühne oder als eindrucksvolle Vorlage für spektakuläre Historienfilme, der Stoff fasziniert heute wie eh und je. Begeistert von Schillers Drama komponierte Giuseppe Verdi im Jahre 1845 eine Oper mit dem Titel Giovanna d’Arco und schrieb an seinen Librettisten Piave, dies sei ohne Ausnahme und ohne Zweifel die beste seiner bisherigen Opern. Trotz der prominenten Vorlage von Friedrich Schiller ist Verdis Oper für lange Zeit in Vergessenheit geraten und gelangte erst mit der Renaissance des Belcanto wieder ans Tageslicht. Vielleicht liegt das an den romantischen Schauplätzen, den imposanten Chortableaus und der Mischung aus melancholischem Belcantoschmelz und spannungsgeladener Dramatik, die für die Opern des jungen Verdi so typisch ist.

St. Gallen, Festspiele, Klosterhof
Giovanna d’Arco
Oper in einem Prolog und drei Akten
Musik: Giuseppe Verdi
Libretto : Temistocle Solera (nach Schillers Drama)
Uraufführung: 15. Februar 1845 an der Scala di Milano
Aufführungen in St. Gallen: 20.6. | 21.6. | 24.6. | 27.6. | 28.6. | 2. 7. | 5.7. 08
Beginn jeweils 20.30 Uhr

Montag, 16. Juni 2008

Zürich: RINALDO

Rinaldo

Opernhaus Zürich

Nicht ganz auf der Höhe der vergangenen Händel-Inszenierungen, aber streckenweise sehr amüsant: Wirtschaftskrieg und Geschlechterkämpfe in der Abflughalle ...

Premiere: 15. Juni 2008

Oper in drei Akten
Musik: Georg Friedrich Händel
Libretto : Giacomo Rossi
Uraufführung: 24. Februar 1711 in London
Aufführungen in Zürich:

Kritik:
Zugegeben, die Erwartungen an diese Händel-Premiere waren hoch, vielleicht zu hoch. Nach den grossartigen Produktionen der vergangenen Spielzeiten (Semele, Orlando, Il trionfo … ) erwartete man eine nochmalige Steigerung. Doch diese trat nicht ein. Selbstverständlich spielte das Orchester „La Scintilla“ wieder vortrefflich, William Christie am Pult verströmte einen mitreissenden Enthusiasmus, das Regiekonzept, welches Claus Guth noch entworfen hatte, aber krankheitsbedingt nicht umsetzen konnte, versprach einen spannenden Abend. Woran es genau gelegen haben mag, dass der Funke diesmal nicht übersprang, ist schwierig zu ergründen.
Am Produktionsaufwand wurde jedenfalls nicht gespart. Weder das aufwändig raffinierte Bühnenbild auf der tadellos funktionierenden Drehbühne, noch die ausgeklügelte, aber oft zu gekünstelt wirkende Choreographie (Ramses Sigl) mit dem eigens für diese Produktion engagierten Tanzensemble, oder die zwischen schwankhaftem Gebaren und stilisierten Geschlechterkämpfen angesiedelte Personenführung (Jens-Daniel Herzog) schafften es, das eigentlich schwache Libretto in eine auch nur entfernt glaubwürdige oder emotional ansprechende Handlung umzusetzen. Zu distanziert, zu lächerlich blieben die Protagonisten in diesem kalten Ambiente eines gestylten Flughafens, die sich hier einen Wirtschaftskrieg zwischen West und Ost lieferten. Doch mehr als gepflegte Langeweile vermochte sich nicht einzustellen. Einige Trockeneisschwaden und Stroboskopgewitter reichen eben nicht mehr aus, um Schauder zu erregen.
Darüber hinaus gab es aber durchaus auch sehr witzige, geistreiche Einfälle. So die Sirenen als Hostessen einer orientalischen Airline oder Goffredo, Rinaldo und Eustazio, die sich als Adventure-Touristen verkleidet auf den Weg in Armidas Reich machen, oder der Passagier, welcher seinen Vogelbauer vor der Toilettentür abstellt, wodurch Almirena zu ihrer herrlichen Vögelchen-Arie animiert wird, oder Almirenas Treueschwüre, die von Armidas Amazonen konterkariert werden.
Gesungen wurde durchwegs sehr schön an diesem Abend. Einige Koordinationsprobleme mit dem Orchester werden sich im Verlaufe der Aufführungen sicher noch legen. Die Almirena von Ann Helen Moen muss zweifellos an erster Stelle genannt werden. Händels grossen „Hit“ Lascia ch’io pianga sang und gestaltete sie bis zum tränenerstickten Ende hinreissend. Juliette Galstian sang den Rinaldo mit metallischem Timbre und glänzte mit furiosen stimmlichen Läufen. Darstellerisch blieb sie noch etwas verhalten, ihre Emotionen kamen nicht über die Rampe. Das Cara sposa klang so herrlich, und doch wollte sich keine Rührung einstellen. Liliana Nikiteanu bestach mit dunklem Klang und sauber geführter Stimme in der Hosenrolle des Goffredo, Malin Hartelius war eine restlos überzeugende, wandlungsfähige Armida, vom Vamp in Rot zur Spionin mit Kopftuch, von der biederen Kopie Almirenas mit weissem Handtäschchen zur eifersüchtig rasenden Zicke. Ruben Drole sang einen überaus stilsicheren Argante, Katharina Peetz gestaltete auf amüsante Art und Weise den Eustazio.

Der Schluss war dann schlichtweg genial: Das von Händel und seinem Librettisten so hastig hingeworfene lieto fine wurde in der Arbeit von Jens-Daniel Herzog und seinem Team zu einem rasanten, doppelbödigen Kabinettstück voller Überrschungen.

Fazit:
Trotz des grossen Aufwands und des stilistisch einwandfreien Musizierens nicht restlos geglückt, doch Ann Helen Moen und Malin Hartelius lohnen den Besuch.

Musikalische Höhepunkte:
Augelletti, Arie der Almirena, Akt I
Furie terribili, Arie der Armida, Akt I
Cor ingrato, Arie des Rinaldo, Akt I
Lascia ch’io pianga, Arie der Almirena, Akt II
Cara sposa, Arie des Rinaldo, Akt II

Inhalt:
Jerusalem, zur Zeit des ersten Kreuzzuges, 1096
Goffredo und sein Feldherr Rinaldo stehen kurz vor der Einnahme der heiligen Stadt. Falls die entscheidende Schlacht gewonnen wird, verspricht Goffredo seinem Feldherrn die Hand seiner Tochter Almirena. Der Herrscher Jerusalems, Argante, setzt auf die Künste der Zauberin Armida. Diese entführt Almirena, um so Rinaldo in ihr Reich zu locken, was ihr auch mit Hilfe von Sirenen gelingt. Argante entflammt in triebhafter Leidenschaft zu der gefangenen Almirena, die jedoch standhaft bleibt. Auch Armida, eigentlich Argantes Gespielin, ist ganz vernarrt in Rinaldo und lässt nichts unversucht, ihn für sich zu gewinnen. Doch auch er weist ihre Annäherungsversuche ab. Mit magischen Kräften ausgestattet dringen Goffredo und seine Männer in Argantes Festung ein und befreien Rinaldo und Almirena. Armida versucht vergeblich, Almirena zu ermorden. Da Argante und Almirena ihre Schuld bereuen und zum Christentum konvertieren, werden sie begnadigt.

Werk:
Händels erste für London komponierte Oper erzielte mit ihren eingängigen, kontrastreichen und differenziert ausgestalteten Arien und ihren szenischen Effekten auf Anhieb einen durchschlagenden Erfolg. Sie gilt aber als schwächste seiner Zauberopern, nicht zuletzt wegen des Librettos. Zum letzten Mal erklang sie 1999 in Zürich in einer konzertanten Aufführung in der Tonhalle unter Christopher Hogwood und mit Cecilia Bartoli als Almirena.



Freitag, 13. Juni 2008

Tonhalle Zürich: Verdi: REQUIEM, 15.6.08, 11.15 Uhr



Agnes Baltsa




Daniele Gatti
Jonas Kaufmann

Roberto Scandiuzzi


Fiorenza Cedolins

Giuseppe Verdi

MESSA DA REQUIEM

Dirigent: Daniele Gatti
Chor und Orchester der Oper Zürich
Fiorenza Cedolins, Sopran
Agnes Baltsa, Mezzospran
Jonas Kaufmann, Tenor
Roberto Scandiuzzi, Bass
Ernst Raffelsberger, Choreinstudierung


Eine tief empfundene Wiedergabe von Verdis ergreifender Totenmesse, die er im Gedenken an den Tod des Schriftstellers Alessandro Manzoni 1873 komponiert hatte, durfte das Zürcher Publikum heute Vormittag in der ausverkauften Tonhalle erleben. Zart und dunkel heben die Celli an, der wunderbar vorbereitete Chor und Zusatzchor des Opernhauses setzt beinahe flüsternd leise und sauber ein, und wenn dann Jonas Kaufmann mit herrlich strahlender Tenorstimme zum Kyrie eleison einsetzt, ist Gänsehaut garantiert. Verdi soll zwar einmal gesagt haben, dass es schon viel zu viele Totenmessen gäbe, doch hat er sich zum Glück doch noch zu dieser Komposition entschlossen. Von den gewaltigen Paukenschlägen des Dies irae, zum grandiosen Quartett des Salva me, von dem wunderschön weich intonierten Ingemisco (Kaufmann) zum eindringlich gestalteten Confutatis des Basses (Roberto Scandiuzzi), vom zarten a capella Duett im Agnus Dei der Sopranistin (Fiorenza Cedolins sang die Sopranpartie mit wunderbar reiner, herrlich warm aufblühender, engelsgleicher Stimme) und der Mezzosopranistin (Agnes Baltsa überzeugte mit ihrem unverkennbar kernigen Timbre und immer noch sicherer Höhe) zum erlösenden Libera me (berührend gesungen von Fiorenza Cedolins) gestalteten die hervorragenden Solistinnen und Solisten, der Chor und das Orchester der Oper Zürich unter der einfühlsamen, äusserst differenzierten Leitung von Maestro Daniele Gatti eine eindringliche, intensive und unter die Haut gehende Wiedergabe dieses Meisterwerks. Nach dem im pppp verklingenden Schluss verstand es der Dirigent, das Publikum einige Sekunden still und ergriffen zu halten, bevor sich die Konzentration und Anspannung in einer gewaltigen Standing Ovation entluden.

Sonntag, 1. Juni 2008

MEDEA in Bern

Bern: MEDEA

Medea

Stadttheater Bern

Cherubinis viel zu selten aufgeführte Oper mit einer überragenden Titelheldin: ELZBIETA SZMYTKA. Spannender, unter die Haut gehender Abend!

Premiere: 31. Mai 2008

Oper in 3 Akten
Musik: Luigi Cherubini
Libretto: François-Benoît Hoffman
Uraufführung: 13. März 1797 in Paris
Aufführungen in Bern: 07.06.| 12.06.| 18.06.2008 | 21.06.2008

Kritik:
Mit dramatischer Intensität setzt die Ouvertüre ein, hervorragend gespielt vom Berner Symphonie-Orchester und subtil gestaltet durch den Dirigenten Sroljub Dinić, der das Werk mit viel Verve und nie erlahmender Spannung dirigierte und eine ausgezeichnete Balance von Singstimmen und Orchester erreichte.
Quasi in letzter Minute, drei Tage vor der Premiere, musste die Sängerin der anspruchsvollen Titelpartie ersetzt werden. Leandra Overmann war gezwungen, wegen einer akuten Kehlkopfentzündung abzusagen, Elzbieta Szmytka sprang für sie ein, probte beinahe Tag und Nacht und konnte zu Recht einen grossen Triumph feiern. Die sauber geführte, mit der notwendigen Durchschlagskraft ausgestattete Stimme, die alle Regungen der Medea, von der liebenden Mutter zur rachsüchtigen Furie, von der schmeichlerischen Gattin zur sarkastischen Asylantin, von der erniedrigten, verletzten Ex-Frau zur verschlagenen Schlange restlos überzeugend darstellen und vor allem singen konnte, verlieh dieser antiken Frauengestalt trotz ihrer zierlichen Figur eine überragende Grösse. Nur schon ihr Auftritt, wenn die petrolblaue, liliengeschmückte Seidentapete unter Donnergrollen aufreisst, ein erkalteter Lavastein gleich einem schwarzen Eisberg durch die Wand bricht und Medea mit Sonnenbrille und Rothaarperücke auf die Bühne tritt, ist von ungeheurer Kraft. Regisseur Jakob Peters-Messer beschert uns einen spannenden, packenden Abend. Im Bühnenbild von Markus Meyer und den Kostümen von Sven Bindseil entwickelt sich eine grausige Spirale von Erniedrigung, Gewalt und unerbittlicher Rache. Medea bleibt die verachtete Aussenseiterin an diesem uniformen, ganz in kalten Petrolfarben gehaltenen, sektiererischen Hof. Nur ihre Vertraute Neris hält zu ihr, ganz hervorragend gesungen von der jungen Mezzosopranistin Qin Du, welche ihre grosse, so wunderbar vom Fagott begleitete Arie im zweiten Akt berührend gestaltet. Die dritte Frauenrolle, Glauce, erfährt durch Hélène Le Corre eine nicht minder anrührende Interpretation. Mit zartem Vibrato und sicherer Höhe gestaltet sie ihre Auftrittsarie, zeigt das Wechselbad ihrer Emotionen, ihre Angst vor der neuen Rolle als Stiefmutter von Medeas Kindern und ihre aufrichtige Liebe zu Giasone. Der ist nun wahrlich kein Sympathieträger in dieser Oper. Thomas Ruud macht das Beste aus dieser undankbaren Tenorpartie. Mit angenehm timbrierter, heller und kraftvoller Stimme singt er den ungetreuen Dandy, der sich vor seinen Söhnen vergangener Heldentaten brüstet. Einige stimmliche Unausgeglichenheiten werden sich bestimmt im Verlauf der (leider nur wenigen geplanten) Aufführungen legen. Carlos Esquivel ist ein solider Sektenführer Creonte und Anne-Florence Marbot und Silvia Oelschläger ergänzen als wunderschön singende Mägde das Ensemble. Ein grosses Lob gebührt den Darstellern von Medeas Kindern, Demian Morf und Xavier Sägesser, die sich von den raufenden und mit Pistolen spielenden Knaben zu den Mordopfern ihrer Mutter vollkommen in die Rollen hineinleben. Die pantomimische Alptraumszene zu Beginn des dritten Aktes, in der Medea alle Tötungsarten an ihren Kinder ausprobiert, verlangt mit Sicherheit emotional einiges von den Darstellern ab.
Am Schluss wird es dunkel auf der Bühne. Glauce und die Knaben liegen ermordet vor Giasone, Medea gibt Giasone den Kuss zurück, den er ihr verächtlich zu Beginn der Oper auf den mit Lippenstift verschmierten Mund gedrückt hatte und schreitet langsam dem sich erhellenden Zuschauerraum entgegen. Gänsehaut …

Musikalische Höhepunkte:
O Amore, vieni a me!, Arie der Glauce, Akt I
Dei tuoi figli la madre, Arie der Medea, Akt I
Solo un pianto, Arie der Neris, Akt II
Del fiero duol, Arie der Medea, Akt III
E che? Io sono Medea, Finale Akt III

Fazit:
Unbedingt hingehen – Elzbieta Szmytka ist ein schlichtweg grandiose Medea, ein junges Ensemble unterstützt sie in einer klugen, packenden Inszenierung.

Werk:
Cherubini war ein von vielen grossen Komponisten der Romantik hoch geschätzter Komponist, ein Bindeglied zwischen Gluck und Mozart und den frühen Romantikern Carl Maria von Weber und Spontini. In seiner Formgestaltung und Expressivität weist er bereits auf Meyerbeer. Médée, in französischer Sprache komponiert und ursprünglich der Gattung Opéra comique angehörend, also mit gesprochenen Dialogen, stand mit ihrer unerbittlichen Geradlinigkeit und ohne den moralischen Gehalt (sprich Happy End) der Rettungsoper à la FIDELIO quer zur Nachrevolutionszeit. Der Uraufführung war kein Nachhaltiger Erfolg beschieden. Mitte des 19. Jahrhunderts ersetzte der Komponist Franz Lachner die gesprochenen Dialoge durch begleitete Rezitative. Diese Fassung legten Toscanini und Carlo Zangarini ihren Aufführungen in der Scala zu Grunde. Mitte der 50er Jahre erweckte Maria Callas das Werk zu neuem Leben, doch trotz namhafter Interpretinnen wie Dame Gwyneth Jones oder Leonie Rysanek bleibt das Werk ein zu seltener Gast auf den Spielplänen. In Zürich war es letztmals 1972 unter Nello Santi und mit der unvergesslichen Antigone Sgourda in der Titelrolle zu sehen.

Inhalt:
Nach dem Raub des Goldenen Vlieses verhilft Medea ihrem Gemahl Giasone zur Flucht nach Korinth an den Hof des Königs Creonte. Dort wird ihr der Gatte jedoch untreu, er will die Mutter seiner Söhne verlassen und Glauce, die Tochter des Königs heiraten. Vergeblich versucht Medea ihn zurückzugewinnen. Medea, die Aussenseiterin, wird vom König ins neuerliche Exil geschickt. Er gewährt ihr jedoch einen Tag Aufschub. Diesen nutzt Medea zur Rache. Sie tötet erst Glauce mit einem vergifteten Brautschleier, der von ihrer Vertrauten Neris überbracht wird und ermordet anschliessend ihre beiden Söhne.