Samstag, 27. Dezember 2008

Berlin: DER ROSENKAVALIER, 26.12.08

Bilder mit freundlicher Genehmigung: @bettina stoess  www.moving-moments.de

Kurz: 1. Akt zu schleppend dirigiert, Stimmen zwar sehr schön, aber zu klein für das Haus. Ruxandra Donose verfügt über zu wenig dramatischen Impetus für den ungestümen Liebhaber, Nancy Gustafson als Marschallin wirkt etwas kühl. Hawlata ist ein guter Ochs, ohne zu chargieren.
2. Akt besser, Ulrike Helzel als Annina hervorragend, Hartelius glänzt als Sophie
3. Akt: Terzett zauberhaft - endlich zeigen die Sängerinnen, was sie können

Anmerkungen:

Da soll noch einer sagen, die heutige Jugend wisse sich nicht mehr zu benehmen. Was sich die Alten zum Teil herausnehmen, ist viel schlimmer als nur mal die Nike beschuhten Flossen auf die Sitzpolster in der S-Bahn zu legen oder auf den Boden zu spucken.
Beispiel gefällig? Bitte sehr: Gestern Abend in der Deutschen Oper Berlin, mein 22. ROSENKAVALIER (Nancy Gustafson, Ruxandra Donose, Malin Hartelius, Franz Hawlata /Peter Schneider am Pult, in der wunderschön stimmigen Inszenierung von Götz Friedrich).
Mitten in der Arie des Sängers im ersten Akt kramt meine ca. 70jährige Nachbarin in ihrer Tasche und zieht geräuschvoll ein Tempo heraus, in welches sie dann ausgerechnet während dieser 2 Minuten unaufhörlich lautstark reinrotzt. Widerlich.
Keine fünf Minuten später, als die Marschallin eben zu ihrem schwermütigen Monolog über das Älterwerden ansetzt ("Mein lieber Hyppolit, heut´haben sie ein altes Weib aus mir gemacht..."Wink krächzt so ein alter Sack hinter mir: "Kann mir mal jemand aus dem Mantel helfen?". Die Marschallin auf der Bühne singt zwar noch zu ihrer Bagagi: "Abtreten die Leut´", doch der Alte mosert weiter rum, wie unbequem er hier sitze und dass ihm zu warm sei. Unmöglich.
Da setzt die Marschallin auf der Bühne zum zweiten Teil des Monologs an, sinniert über die Vergänglichkeit der Zeit, das Orchester spielt ganz leise, man hört die Schläge der Uhr und des Herzens ("Manchmal steh ich auf mitten in der Nacht und lass´die Uhren alle, alle stehn."Wink Genau in diese Stille hinein kramt eine andere Alte in der Reihe direkt hinter mir in ihrer riesigen Tasche und sucht nach Bonbons. Selbstverständlich hat sie ihr gesamtes Tafelsilber mit in die Oper geschleppt, das klimpert und klingelt, dass man meint, gleich kommt das Christkind. Doch diesen Effekt hat Richard Strauss bestimmt nicht komponiert - er macht an dieser Stelle auch keinen Sinn. Doch die Alte scheint´s nicht zu stören, sie wühlt minutenlang weiter in ihrer abgründigen Tasche.
Zum Glück kam ich in der Pause ins Gespräch mit einem Ehepaar, dem die Vorstellung überhaupt nicht gefiel. Sie boten mir ihre Plätze in der ersten Parkettreihe an. Somit konnte ich das herrliche Terzett im dritten Akt ("Marie Theres..Hab mir´s gelobt"Wink ungestört geniessen.
Für heute Abend habe ich noch eine Karte für das poetische SCHLAUE FÜCHSLEIN von Janacek. Hoffentlich ist dann nicht wieder Vorstellung fürs Altenheim.


Euch allen einen unaufgeregten Jahreswechsel und ein gesundes, rotzfreies neues Jahr

Freitag, 12. Dezember 2008

Zürich: TRISTAN UND ISOLDE, 10.12.08




Tristan und Isolde

Opernhaus Zürich

Handlung in drei Aufzügen
Musik: Richard Wagner
Text : vom Komponisten, nach Gottfried von Strassburg
Uraufführung: 10. Juni 1865, Nationaltheater, München
Aufführungen in Zürich Mi, 10.12.08 | So, 14.12.08 | So, 21.12.08 | Di, 6.1.09 | Sa, 10.1.09 | Mi, 14.1.09 | So, 18.1.09

Weitere Infos und Karten



Die hohen Erwartungen werden nicht enttäuscht. Wagners unendliche Melodien, dargeboten von Spitzenkräften. Einmalig schön musiziert und packend inszeniert!

Kritik:
Einen derart spannenden TRISTAN hat man wohl noch selten gesehen. Regisseur Claus Guth und Bühnen- und Kostümbildner Christian Schmidt verlegen das Geschehen in die Entstehungszeit und den Entstehungsort der Oper – die Villa Wesendonck in Zürich – und nehmen dabei den von Wagner gewählten Titel „Handlung“ ernst. Christian Schmidt hat eine schlichtweg geniale Bühnenkonstruktion auf die Drehbühne des Opernhauses gezaubert: Zimmerfluchten und Gänge einer herrschaftlichen Villa, aus welcher es für die Liebenden keine Fluchtmöglichkeiten gibt. In einer erstarrten Gesellschaft werden sie zu Aussenseitern, doch ein Entrinnen ist ihnen erst im Tode möglich.
Musikalisch und szenisch passt alles hervorragend zusammen: Dirigent Ingo Metzmacher breitet einen Klangteppich aus, der nie pastos, breiig oder dick wirkt, die herrlichen Motive blühen wunderbar klar und transparent auf, das Orchester spielt auf allerhöchstem Niveau, die Tempi sind weder zu langsam noch zu schnell, hier wurde mit grösster Sorgfalt gearbeitet. Auf diesem perfekten Klangteppich wachsen sängerische Höchstleistungen: Nina Stemme dürfte in der Rolle der Isolde zur Zeit kaum zu übertreffen sein. Die Stimme strahlt und funkelt in allen Lagen, mühelos steigert sie sich in ekstatische Ausbrüche, macht aber auch subtile Zwischentöne hör- und erlebbar. Als Tristan hat man Ian Storey verpflichtet: Ein Glücksfall. Er legt die Rolle seiner Stimme entsprechend eher lyrisch an, gestaltet sehr differenziert, mit tiefem Textverständnis und hat dann doch die Kraft für die mörderischen Ausbrüche im Fieberwahn des dritten Aktes. Brangäne ist als alter ego der Isolde angelegt, ein psychologisch einleuchtender Einfall des Regisseurs. Michelle Breedt zeichnet sie stimmlich und darstellerisch begeisternd. So wichtig kam einem Brangäne noch in keiner Inszenierung vor. Die Rolle erfährt hier eine erhellende Aufwertung. Wie sie in ihrem „Einsam wachend“ langsam aus dem dunklen Flur geschritten kam und wieder in der Dunkelheit verschwand war – nicht nur stimmlich, aber auch – atemberaubend. Martin Gantner debütierte mit einem herrlich sarkastisch klingenden Kurwenal im ersten Akt, der im dritten Akt zum desillusionierten, gelangweilten Penner mutierte. Auch dies ein wunderbarer Regieeinfall. Alfred Muff in der Rolle des betrogenen Königs Marke (Otto Wesendonck) bot darstellerisch und interpretatorisch ebenfalls eine tolle Leistung, nur die Intonation schien an manchen Stellen etwas getrübt.
Bewegend war dann vor allem das Schlussbild: Während sich Isolde nach einem alles überstrahlenden Schlussgesang zum toten Tristan auf den Tisch legt, welcher lange Zeit so trennend zwischen ihnen stand, streckt Brangäne zögernd ihre Hand nach dem gebrochenen Marke aus – ein Zeichen des Trostes oder wird ihr ein ähnliches Schicksal wie Isolde blühen?
Eigentlich hat man nicht erwartet, dass Wagners TRISTAN als bürgerliches Trauerspiel à la Ibsen in einem derart konkreten Ambiente funktioniert, das dem Betrachter wenig Raum für eigene Gedanken und Gefühle lässt. Man wurde eines Besseren belehrt. Ein wunderbarer, berührender und ungemein spannender Abend.

Fazit:
Musikalisch und szenisch wie aus einem Guss. Absolutes Spitzenereignis!

Inhalt:
Vorgeschichte:
Tristan tötet im Befreiungskampf um Cornwall den Iren Morold und schickt seinen Kopf dessen Verlobter Isolde nach Irland. Auch er selbst wird im Kampf schwer verwundet und lässt sich von der in heilenden Künsten bewanderten Isolde behandeln. Diese erkennt in ihm jedoch den Mörder ihres Verlobten, vermag es aber nicht, ihn zu töten.
Tristan kommt erneut nach Irland und nimmt Isolde als Friedenspfand für seinen König (Marke) mit.
Oper:
Auf dem Schiff überhäuft Isolde Tristan mit bitteren Vorwürfen. Sie weigert sich an Land zu gehen, wenn Tristan nicht mit ihr den Sühnetrunk zu sich nehmen werde. Isoldes Vertraute, Brangäne hat jedoch den Todestrunk mit dem Liebestrank vertauscht. Tristan und Isolde gestehen einander ihre Liebe.
Isolde, unterdessen König Markes Gemahlin, erwartet Tristan voller Ungelduld im Garten. Die beiden Liebenden vereinigen sich in einem ekstatischen Rausch und hören nicht auf Brangänes Warnrufe. Von Melot, einem alten Kampfgefährten Tristans, herbeigrufen, erscheint Marke, der sich bitter enttäuscht zeigt über den vermeintlichen Treuebruch seines Helden Tristan. Mit einem letzten Kuss für Isolde provoziert Tristan Melot. Dieser verwundet ihn schwer.
Tristan wird von seinem Getreuen Kurwenal auf die Burg seiner Väter gebracht. In Fieberfantasien sehnt er seine Heilerin und Erlöserin Isolde herbei. Kurwenal hat nach Isolde geschickt, ihr Schiff legt endlich an, doch zu spät. In Isoldes Armen stirbt Tristan. In einem zweiten Schiff erreichen auch König Marke, Melot und Brangäne die Burg. Kurwenal erschlägt Melot, wird aber selbst auch tödlich verwundet. Marke, nun von Brangäne über die Zusammenhänge aufgeklärt, beklagt die Toten.
Isolde sinkt in visionärem Wahn über Tristans Leiche: „Ertrinken, versinken, unbewusst – höchste Lust!“ lauten ihre letzten Worte.

Werk:
Fünf Jahre dauerte es nach der Fertigstellung der Komposition bis zur Uraufführung in München. Wien brach die Produktion nach 77 Proben ab, das Werk galt als unspielbar. Die immensen Anforderungen, welche an die beiden Interpreten der Titelpartien gestellt werden, erfordern Sänger allergrössten Formats.
Wagner hat in seinem wohl schönsten Werk private Konflikte (seine Beziehung zur Frau seines Mäzens Wesendonck) verarbeitet und auf wunderbare Weise sublimiert. Ausgehend vom berühmtesten Akkord der Musikgeschichte, dem Tristan-Akkord F-H-Dis-Gis entwickelt er ein Musik voller Trugschlüsse, chromatischen Wendungen, raffinierten Übergängen, angepeilten und doch nie erreichten Auflösungen, welche ein wahrhaftes Versinken in der Musik ermöglichen. Diese unendliche Melodie voll aufgebauter Spannung, die sich selten löst, übt auf das Ohr eine ungeheure Sogwirkung mit Suchtpotential aus.

Höhepunkte:
Vorspiel mit Tristan Akkord
O sink hernieder, Nacht der Liebe, grosse Szene Isolde-Tristan, Aufzug II
Mild und leise, wie er lächelt, Schlussszene der Isolde, Aufzug III

Montag, 17. November 2008

Zürich: DIE WALKÜRE

Die Walküre

Opernhaus Zürich

Erster Tag und populärster Teil der Tetralogie Wagners. Faszinierende szenische Umsetzung durch Robert Wilson. Hervorragende Protagonisten, traumhaft schöne Orchesterklänge!

Premiere: 16. November 2008, Wiederaufnahme

Die Walküre
Erster Tag des Bühnenfestspiels Ring des Nibelungen
Musik: Richard Wagner
Textdichtung vom Komponisten
Uraufführung: 26. Juni 1870, Hoftheater München
Aufführungen in Zürich: So 16.11.08 | Mi 19.11.08 | So 30.11.08 | Fr 3.4.09 | Sa 27.6.09

Infos und Karten

Kritik:
Noch hält Wotan seine Hand ruhig und schützend über Sieglindes Haus, während im Orchestergraben die Streicher das eindringlich nervöse Sturmmotiv erklingen lassen. Bedrohlich und doch wunderschön setzt das Blech mit dem sich langsam steigernden Gewittermotiv ein, Dirigent Philippe Jordan webt einen berauschend intensiven Klangteppich, die Spannung bricht trotz vier Stunden Spieldauer nicht ab, ungeheuer präsent und intensiv werden die Feinheiten der Partitur ausgelotet, das dynamische Spektrum reicht von kammermusikalischer Intimität (z.B. die präzisen Paukenschläge während der Todesverkündung) zu ekstatischen Jubelklängen (So blühe denn Wälsungenblut, Walkürenritt), nichts wirkt platt oder derb, jede Phrase, jedes Motiv scheint überlegt gestaltet ohne akademisch zu wirken. Schlicht grossartig!
Wie schon im Rheingold lässt die Inszenierung von Robert Wilson den Zuschauerinnen und Zuschauern Raum und Zeit für eigene Bilder und Gedanken. Die langsamen Bewegungen, die Konzentration und die ausgeklügelte Licht- und Farbgestaltung sind von einer wunderbaren Ästhetik durchflutet, welche doch so genau zu Wagners Musik und Text passt. Keine Handbewegung, kein Schritt ist zufällig oder beliebig, ein wahres Gesamtkunstwerk in Musik, Bild, Bewegung und Ton – und diese Töne sind vom Feinsten. Egils Silins (Rollendebüt) gestaltet einen wunderbar warmen, väterlichen und auch humorvollen Wotan, auch wenn er im dritten Aufzug ganz heftig mit dem immens schweren und umfangreichen Text hadert, in Schwierigkeiten gerät, welche der Souffleur vielleicht eine Spur zu spät realisiert hat. Doch seiner Gesamtleistung tut dies keinen Abbruch – hier kündigt sich ein ganz grosser Interpret der Rolle an. Stuart Skelton und Matti Salminen hingegen sind weltweit gefeierte und bewährte Interpreten des Siegmund, respektive des Hunding. Skeltons Siegmund klingt unheimlich sauber und rein, auch er singt, wie das gesamte Ensemble dieses Abends, mit hervorragender Diktion, passt sich den eindringlichen Piani aus dem Graben an und erreicht dann die Herzen des Publikums mit durchdringenden Wälse-Rufen und den immer wieder erwärmenden „Winterstürmen“ ... Seine Schwester Sieglinde (Martina Serafin) hat gar nichts von einem Heimchen am Herd. Ihre von Hunding und den Seinen unterdrückte Seele schreit förmlich nach Liebe und Befreiung, und dies drückt sie mit voller, sicher geführter Stimme auch entsprechend aus. Begeisternd. Äusserst differenziert singen ebenfalls die beiden Gegenspielerinnen Fricka (Cornelia Kallisch) und Brünnhilde (Janice Baird). Frickas Strenge und Verbitterung und Brünnhildes jugendlicher Impetus erfahren durch die beiden Künstlerinnen eine glaubwürdige Darstellung.
Ein Opernabend von ungeheurer Konzentration und Intensität – am liebsten hätte man die restlichen Teile der Tetralogie auch gleich noch genossen. Die Vorfreude auf SIEGFRIED und GÖTTERDÄMMERUNG jedenfalls ist gross!

Fazit:
Perfekte Symbiose von Musik, Text, Bewegung und Bild. Hervorragende Sängerinnen und Sänger, wunderbares Dirigat.

Das Werk:
Die Walküre ist wie das Rheingold wäh­rend Richard Wagners Aufenthalt in Zürich entstanden. Unüberhörbar flossen in die Partitur die leidenschaftlichen Gefühle Wagners für seine Mäzenin Mathilde von Wesendonck ein. Es ist dies der “menschlichste” Teil des grossen Epos und damit auch der populärste.
siehe auch

Inhalt des ersten Tages:
Siegmund taucht auf der Flucht vor Verfolgern bei Sieglinde auf. Die beiden Geschwister, Kinder des Göttervaters Wotan, erkennen sich noch nicht. Hunding, Sieglindes ungeliebter Ehemann, tritt auf. Da er ein Feind der Sippe Siegmunds ist, fordert er ihn für den nächsten Tag zum Zweikampf, in dieser Nacht jedoch soll noch das Gastrecht gelten. Sieglinde und Siegmund erkennen sich, Siegmund zieht Wotans Schwert Nothung aus der Esche. Die beiden Geschister lassen ihren Trieben freien Lauf und zeugen den zukünftigen Helden Siegfried.
Wotans Gattin Fricka, die Hüterin der Ehe, kann und will den Ehebruch der Geschwister nicht dulden. Sie verlangt von Wotan, Siegmund sterben zu lassen. Brünnhilde, Wotans kampfeslustige Tochter, stellt sich auf die Seite Siegfrieds und widersetzt sich dem Befehl ihres Vaters. Siegmund stirbt durch Hunding, Hunding anschliessend durch Wotans Hand.
Brünnhilde vermag es noch, der schwangeren Sieglinde zur Flucht zu verhelfen und gibt ihr die Trümmer des Schwertes mit, dann wird sie vom Göttervater gestellt. Als Strafe verliert sie ihren Status als Walküre und wird „menschlich“. Sie erreicht jedoch noch Wotans Zusage, dass nur der unerschrockenste Held sie erwecken können solle. Wotan nimmt bewegt Abschied von seiner Lieblingstochter, dann befiehlt er Loge, den Walkürenfelsen mit Feuer zu umgeben.

Musikalische Höhepunkte:
Der Männer Sippe, Sieglinde, Aufzug I
Winterstürme wichen dem Wonnemond, Siegmund Aufzug I
Todesverkündung, Brünnhilde, Aufzug II
Walkürenritt, Aufzug III
Wotans Abschied und Feuerzauber, Aufzug III

Montag, 10. November 2008

Zürich: Nibellungenring für Kinder

Opernhaus Zürich |Nibelungenring für Kinder

Nibelungenring

Zürich Opernhaus

Parallel zum Ring für Erwachsene - der Ring für Kinder! Spannendes Musiktheater für die Kleinen und Amüsement für die Grossen garantiert.

Premiere: 9. November 2008

Musik: Richard Wagner/Hirofumi Misawa
Konzeption/Libretto: Matthias von Stegmann
Deutschsprachige Uraufführung: Wiener Staatsoper

Aufführungen in Zürich: So, 9.11.08 | So, 16.11.2008 | Sa, 28.02.2009 | So, 05.04.2009 |
So, 05.07.2009

Kritik:
Diese Produktion beinhaltet alles, was Kinderherzen höher schlagen lässt: Eine spannende, humorvoll über die Rampe kommende Story, phantasievolle Kostüme, Bühnenzauber mit Nebel, Blitz und Feuer, Drachen, Gold und Verfolgungsjagden auf dem Grund des Rheins, sowie spielfreudige Darstellerinnen und Darsteller. Dazu eine musikalische Einrichtung, welche auf kluge Art Wagners 18 Stunden auf 70 Minuten komprimiert, dadurch kaum Längen aufweist und wichtige Leitmotive auch für Kennerinnen und Kenner des Originals in witziger Weise einflicht. So haben nicht nur die Kleinen, sondern auch die Grossen einen Riesen Spass an der Aufführung im Opernhaus. Jochen Rieder dirigiert das Orchester der Oper Zürich, welches herrlich erfrischend und sauber spielt.
Selbstverständlich ist in diesem Ring für Kinder nichts von inzestuösen Beziehungen, Seitensprüngen, Mord und Totschlag oder Götterdämmerung zu sehen. Und doch sind einige wichtige, auch für Kinder nachvollziehbare menschliche Regungen im Stück raffiniert verarbeitet: Liebe, Schuld, Angst, Freude, Enttäuschung und Glück. Die Idee, das Waldvögelein als Identifikationsfigur und Spielleiterin einzusetzen, besticht ganz besonders, vor allem weil man mit Susann Kalauka eine restlos überzeugend und voller Humor agierende und vortrefflich singende Sängerin auf der Bühne hat. Überhaupt macht es Spass, den Sängerinnen und Sängern zu zuschauen und zu hören: Christiane Kohls silbern glänzender Sopran besticht in Brünnhildens Erweckungsszene (Heil dir Sonne), Kai Florian Bischoff ist ein wichtigtuerischer Fafner und sympathischer Drache, Tomasz Slawinski ein Wotan mit weichem Gemüt und Miroslav Christoff ein herrlich naiver, gar nicht so heldenhafter, eher tollpatschiger Siegfried. Sehr amüsant die Bildnisarie aus der Zauberflöte zur Melodie von „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ aus der Walküre.
Wenn man der Produktion etwas verwerfen kann, dann dies, dass man den Text noch sorgfältiger überarbeiten und kindgerechter hätte aufbereiten können. Schon Wagners Original ist ja bekanntlich sehr gewöhnungsbedürftig, hier kam dann einiges doch etwas gar holperig daher. Deshalb wohl auch die Übertitel, welche aber den ganz Kleinen auch nicht weiterhelfen.
Das Programmheft ist als spannendes Würfelspiel gestaltet, eine wunderbare Gelegenheit für Eltern und Kinder, die abenteuerliche Geschichte an nebligen Wintertagen nochmals zu erleben. Ein Tipp: Folie erst zu Hause aufreissen, da die Spielkärtchen sonst herausfallen und eventuell verloren gehen könnten.

Fazit:
Witzig, spannend, aufwändig und musikalisch auf hohem Niveau. Ein ideales Weihnachtsgeschenk für Gross und Klein und eine wunderbare Gelegenheit, Kinder mit Musiktheater vertraut zu machen.

Inhalt und Werk:
Ein Schwert zerbricht, eine Prinzessin wird in Tiefschlaf versetzt, und schon kann die Jagd nach einem schönen Ring losgehen. Die märchenhafte Handlung, in der ein gewitztes Waldvöglein und der furchtlose Held Siegfried so manches Abenteuer zu bestehen haben, hat sich Autor und Regisseur Matthias von Stegmann ausgedacht – frei nach Richard Wagners «Ring des Nibelungen». Wagners Musik arrangierte der Komponist Hirofumi Misawa neu und bearbeitete sie für eine kleine Orchesterbesetzung. Der Abstecher in die Welt Wagners dauert kurzweilige 70 Minuten und ist ge­mäss Matthias von Stegmann «von fünf oder sechs bis 99 Jahren» geeignet.

Zürich: The Greek Passion

Opernhaus Zürich | The Greek Passion

The Greek Passion

Opernhaus Zürich

Die ergreifende Bekenntnisoper Martinůs nach langer Zeit wieder an der Stätte ihrer Uraufführung. Nicht verpassen!

Premiere: 9. November 2008

Oper in vier Akten
Musik: Bohuslav Martinů
Libretto: vom Komponisten, frei nach dem Roman
«Christus wird wieder gekreuzigt» von Nikos Kazantzakis
Uraufführung: 2. Fassung (Zürcher Fassung) 9. Juni 1961,
Stadttheater Zürich

Aufführungen in Zürich:
So, 9.11.2008 | Mi, 12.11.2008 | Sa, 15.11.2008 | Fr, 21.11.2008 
| So, 23.11.2008 
|
Do, 27.11.2008 
| Sa, 29.11.2008 
| Mi, 03.12.2008

Kritik:
Nur ein Wunsch blieb offen am Ende dieses denkwürdigen Premierenabends: Man hätte sich gerne einen Moment der Ruhe und Besinnung gewünscht, um seiner Ergriffenheit nach dem barbarischen Kulminationspunkt Raum zu geben.
Andererseits zeigte die grosse Begeisterung des Premierenpublikums die enorme Wirkung, welche das Werk auf die Anwesenden im leider nicht ausverkauften Haus ausübte.
Denkwürdig war der Abend in mancher Beziehung:
Nach 47 Jahren wird dem Zürcher Publikum endlich wieder einmal die Gelegenheit geboten, sich mit einer der ganz wichtigen Kompositionen des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen. (Mit Lucias, Toscas, Fiordiligis und Leonoren wurden und werden wir in diesem Haus ja oft bis zum Überdruss gefüttert.)
Diese Passion in dieser Zürcher Fassung, in dieser grossartigen Umsetzung (Regie: Nicolas Brieger, Bühne: Hans-Dieter Schaal), mit dieser idealen Besetzung ermöglicht einen Abend enormer Intensität, welcher zu tiefer Ergriffenheit führt.
Es fällt schwer, einzelne Mitglieder aus dem überragenden Ensemble hervorzuheben. Da ist der Chor der Oper Zürich zu nennen, der zugleich wuchtig und klangschön die psalmodierenden Gesänge und heftigen Einwürfe erklingen lässt, da sind die beiden Anführer, die Priester Grigoris (Alfred Muff) und Fotis (Pavel Daniluk): Alfred Muff charakterisiert mit schneidender, autoritärer Bassstimme und wohl dosiertem Vibrato den menschenverachtenden Priester Grigoris, Pavel Daniluk gibt seinen Gegenspieler Fotis mit kräftiger, voll und resonanzreich klingender, prächtiger Stimme. Seine Anklagen gehen unter die Haut. Da sind aber auch die einfachen Dorfbewohner, welche immer mehr in ihre Rollen im Passionsspiel hineinwachsen, allen voran der Yannakos des Rudolf Schasching. Und da ist das Protagonistenpaar, die Dorfhure Katarina und der Hirt Manolios, eindrücklich verkörpert von Emily Magee und Roberto Saccà. Wie sich Emily Magee von der geilen Hure in die mitfühlende Maria Magdalena verwandelt, gehört zu den besonders ergreifenden Momenten des Abends. Das Schlussbild mit ihr im Vordergrund, eingehüllt in die blutgetränkten Tücher in einer Art Pietà Position gehört mit zu den stärksten des Abends. Genauso überzeugend ist Roberto Saccà: Seine immer stärker werdende Identifizierung mit seiner Rolle als Jesus, sein Mitfühlen und seine Anklagen, welche ihn in den Augen der Konservativen zum Terroristen machen, der aus dieser Gesellschaft entfernt werden muss, lässt wohl niemanden kalt. Volker Vogel ist der naive, tumbe Panaits (Judas), welcher als willfähriger, verlängerter Arm der kirchlichen Autorität die Vollstreckung dieses Urteils übernimmt.
Es gibt noch vieles hervorzuheben: Das raffinierte Bühnenbild, eine riesige, schwarze, aufgeschlagene Bibel, mit leuchtenden Ikonen illustriert, die dann aber plötzlich erlöschen, wenn sich das Volk so unchristlich gebärdet, die weissen Verstrebungen der Rückseite der Bibel, die wie eine unüberwindliche Barrikade den Zugang zur Humanität verwehren, die wie immer äusserst schlüssige Lichtgestaltung (Jürgen Hoffmann) und natürlich das Orchester der Oper Zürich unter der Leitung von Eivind Gullberg Jensen, welches die vielschichtige, mit vertrackten Synkopen durchsetzte Partitur so wunderbar berührend zum Klingen bringt. Von irrisierend flimmernden Klängen zu schneidenden Orchestertutti, von tänzerisch humorvollen Untermalungen zu brachialer Gewalt wird die gesamte Gefühlswelt eindringlich durchschritten.

Fazit:
Bisheriger Höhepunkt der laufenden Saison, unbedingt hingehen (leider nur noch sieben Vorstellungen), sich ergreifen lassen und nachdenken – auch über Gegenwart und Vergangenheit, über Ausgrenzung und Mitgefühl im eigenen Umkreis, im eigenen Land.

Inhalt:
In einem griechischen Dorf werden die Vorbereitung zu einem Passionsspiel getroffen. Der Hirte Monolios erhält die Rolle des Jesus Christus. Die Witwe Katarina spielt Maria Magdalena. Mitten in diese Vorbereitungen platzt eine Gruppe von Flüchtlingen aus einem Nachbardorf, ihr Dorf ist von den Türken überfallen und zerstört worden. Der pharisäerhafte Dorfgeistliche Grigori weist die Flüchtlinge ab (DAS BOOT IST VOLL…), nur Katarina und Manolios zeigen Erbarmen und führen die Verzweifelten zu einem Unterschlupf in den Bergen. Manolios, der immer stärker in die Rolle Jesu schlüpft, versucht die Dorfbewohner zu einer mitfühlenderen Haltung zu überreden. Doch die Dorfältesten und Grigori beschliessen, Manolios aufzuhalten. Völlig ausgehungert kommen die Flüchtlinge vom Berg herunter. In einem Streit wird Manolios von Katarinas Liebhaber (Panaits-Judas) getötet. Die Flüchtlinge verlassen das Dorf.

Werk:
Die Oper war ursprünglich für Covent Garden vorgesehen, doch wurde sie im letzten Moment aus vermutlich politischen Beweggründen (unrühmliches Gebaren der Briten im Zypernkonflikt) und Eifersüchteleien unter Komponisten abgelehnt. Das Libretto verfasste der Komponist selbst, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Nikos Kazantakis, der vor allem durch sein Werk Alexis Sorbas weltberühmt wurde. Martinů überarbeitete die Oper auf Anregung Paul Sachers, welcher sie im Stadttheater Zürich zur Uraufführung brachte. Für die Neuproduktion haben die Verantwortlichen in Zürich nun eine neue, dritte Fassung erstellt, welche einige Teile aus der ersten (englischsprachigen) übernimmt und den oratorischen Gehalt der zweiten Fassung etwas mildert, zu Gunsten eines operndramaturgisch überzeugenderen Ablaufs.
In der Komposition verbindet Martinů psalmodierende Passagen, byzantinische Kirchenmusik, griechisches und böhmisches Volksliedgut und ein Melos, welches durchaus auch an Puccini erinnert. Dieses erschütternde Bekenntniswerk ist trotz der individuellen Konflikte vorrangig eine Choroper.
Mehrere Schweizer Bühnen haben sich in einer Art Networking zusammengetan, um des 50. Todestages Martinůs zu gedenken. So werden in Luzern (Ariane, ab 10.12.09), Biel/Solothurn (Alexandre bis, ab 23.10.09) und Genf (Juliette, ab 25.2.2012) Opern des Komponisten zu sehen sein, Bern und Basel bringen Ballettproduktionen, Basel zeigt zudem den lange Zeit verschollen geglaubten Opernfilm DIE HEIRAT.

Mittwoch, 22. Oktober 2008

Zürich: FIDELIO, 21.10.2008

Opernhaus Zürich | Fidelio

Einer der ganz grossen Pultstars - Bernhard Haitink - dirigiert.

Premiere: 5. Oktober 2008
Oper zwei Akten
Musik: Ludwig van Beethoven

Libretto : Joseph Sonnleithner und Friedrich Treitschke
Uraufführung: 20. November in Wien, 3. Fassung 23. Mai 1814 in Wien
Aufführungen in Zürich: Di, 07.10.2008 | Do, 09.10.2008 | Sa, 11.10.2008 | Di, 21.10.2008 | Do, 23.10.2008 | Sa, 25.10.2008

Kritik: Besuchte Vorstellung, 21. Oktober 2008
Noch fast zu erregt von den unbeschreiblichen Emotionen steigern sich Florestan (Scott MacAllister) und seine unerschrockene Gemahlin Leonore (Melanie Diener) in ihr ekstatisches Duett O namenlose Freude. Ohne dem Zuhörer eine Atempause zu gönnen attackieren danach Dirigent Bernhard Haitink und das ihm aufmerksam folgende und traumhaft schön spielende Orchester der Oper Zürich die Leonoren Ouvertüre Nr. 3 und loten dabei nochmals das ganze Spektrum der Gefühle aus, welches die Protagonisten dieses Meisterwerks durchlaufen. Von der gehemmten Hoffnung zur rauschenden Befreiung, von der Verzweiflung zum seligen Glück, von schmerzhaften, fein ziselierten Reminiszenzen zu heroischen Jubelklängen, die auf Carl Maria von Weber voraus weisen. Nur schon allein die Interpretation dieser Musik lohnt den Besuch der Neuproduktion im Opernhaus.
In der von mir besuchten Vorstellung sang (anstelle des kurzfristig erkrankten Roberto Saccà) Scott MacAllister den Florestan. Seine grosse Szene zu Beginn des zweiten Aufzugs ging durch Mark und Bein. Bereits die Orchestereinleitung mit ihren schmerzerfüllten Akkorden bereitete Gänsehaut. Mit heldentenoraler Kraft stürzte sich der Sänger in das Rezitativ. Gott! Welch Dunkel hier war ein herzzerreissender, letzter Klagegesang eines sich dem Tode nahe Wähnenden. Grandios dann auch die nachfolgende Arie mit dem visionären Schluss. Man darf sich auf seinen Siegfried an diesem Haus freuen!!
Nach der Premiere wurde Melanie Diener als Leonore nicht gerade mit Komplimenten überhäuft. In der von mir besuchten Vorstellung sang sie vortrefflich, abgesehen von kleinen Intonationstrübungen am Schluss ihrer grossen Arie. Ansonsten aber begeisterte sie mit einer warmen Stimme, einfühlsamem Spiel, einer geradezu beispielhaften Diktion, auch in den gesprochenen Passagen. Sie ist zu Recht keine heroische Leonore, sondern eine liebende Frau, die all ihren Mut zusammen nehmen muss, um in ihrer Verkleidung zu bestehen, eine Frau, voller Selbstzweifel, die am Ende Zeit braucht, um ihr Glück zu fassen.
Ganz unglücklich ist selbstverständlich Marzelline über den unerwarteten Ausgang. Sandra Trattnigg fasziniert mit ihrer glockenreinen, jubelnden Stimme. Auch sie spielt hervorragend in dieser soliden Regiearbeit von Katharina Thalbach. Nein, es ist kein provozierender FIDELIO, und doch schält Frau Thalbach im stimmigen Bühnenbild von Ezio Toffolutti den humanistischen, erhebenden Kern des Werks sehr plastisch heraus. Da gibt es viele sensibel herausgearbeitete Details zu entdecken: Der Gefangene, der seine Befreiung nicht überlebt hat, von seiner um ihn trauernden Frau gehalten wird, der verzweifelt und vergeblich liebende Jaquino (wunderschön gestaltet von Chrisoph Strehl, der auch nach seinem hervorragenden Schubert-Abend am Vortag bestens bei Stimme war), welcher von den Schergen des Pizarro geschlagen wird, Rocco (Alfred Muff mit einer herausragenden Leistung), welcher in der Kerkerszene plötzlich dermassen von Emotionen überwältigt wird, dass er sich weinend auf die Treppe setzen muss und schliesslich die strahlend weisse Erscheinung des Pizarro (Lucio Gallo gibt ihn vor Kraft und Verachtung seinen Mitmenschen gegenüber nur so strotzend) im dunklen Verliess, bis er dann ins ausgehobene Grab stolpert. Nur das Basketballspiel der Gefangenen mit Pizarros Kopf war dann ein bisschen zu dick aufgetragen.
Doch diese Betriebsamkeit machte sich eine Ratte zunutze und floh ebenfalls aus dem Kerker.
Die Choreographie der Chorszene im Schlussbild war überzeugend. Männer und Frauen (hervorragend und stimmgewaltig der Chor der Oper Zürich) standen sich frontal gegenüber und schrien sich beinahe vorwurfsvoll zu: Wer ein solches Weib errungen... . Die Damen trugen dabei Kostüme aus verschiedenen Epochen, von Biedermeier bis zu britischen Suffragetten und versinnbildlichten dadurch das im Werk durchaus vorhandene Emanzipatorische.

Fazit:
Ein Maestro der Spitzenklasse beschert uns einen musikalisch begeisternden Abend, das Werk vermag auch (oder gerade!) in einer eher konventionellen Inszenierung zu berühren.

Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre
Mir ist so wunderbar, Quartett Aufzug I
Ha, welch ein Augenblick, Rachearie des Pizarro
Abscheulicher, wo eilst du hin – Komm Hoffnung …, grosse Szene der Leonore, Aufzug I
O, welche Lust, Gefangenenchor, Aufzug I
Gott, welch Dunkel hier – In des Lebens Frühlingstagen, Arie des Florestan, Aufzug II
O namenlose Freude, Duett Leonore – Florestan, Aufzug II
Leonoren Ouvertüre Nr.3 (wird hier zwischen Kerkerszene und Schlussbild gespielt)
Heil sei dem Tag – Wer ein solches Weib errungen, Finale Aufzug II

Werk und Inhalt:
Wie schwer sich Beethoven mit seiner einzigen Oper tat, zeigen die zahlreichen Umarbeitungen, die er dem Stück angedeihen liess. Was schliesslich entstand, ist eine Utopie über Freiheit und Liebe, ein humanistisches Meisterwerk, ganz im Geiste der damals üblichen Rettungs- und Befreiungsopern und doch in ihrer Qualität weit über diese hinauswachsend und in Richtung Romantik weisend. Daran vermag auch (wie in Webers FREISCHÜTZ) der manchmal etwas holprig und gestelzt daher kommende gesprochene Text nicht zu rütteln. Zweifellos gehört Beethovens FIDELIO zum Kernrepertoire jedes Opernhauses.
Leonore hat sich als Mann (Fidelio) verkleidet in einem Gefängnis anstellen lassen, in welchem sie ihren Gatten als politischen Gefangenen des Gouverneurs Pizarro vermutet. Marzelline, die Tochter des Kerkermeisters, verliebt sich in Fidelio.
Pizarro will sich seines Gefangenen durch Mord entledigen. Leonore (Fidelio) gibt sich zu erkennen und bedroht Pizarro (Töte erst sein Weib!). Die Ankunft des Ministers verhindert eine Eskalation. Der Minister erkennt in dem Gefangenen seinen Freund Florestan. Die Kerker werden geöffnet, die politischen Gefangenen sind dank Leonores Mut und Tapferkeit befreit.

Samstag, 18. Oktober 2008

Berlin: EUGEN ONEGIN, 17.10.08

Die besuchte Vorstellung stand von vornherein unter keinem guten Stern: Trekel und Samuil liessen sich als indisponiert ansagen.
Villazon war gesund und sang. Bewundernswert wie er sich in Freyers Konzeption einfügte, vom ersten Takt bis zum Schluss die Choreographie mitmachte, auch als er längst hätte tot sein sollen...Seine Stimme ist sicher nicht ganz ideal für Lenski, da war Beczala z.B. viel überzeugender. Tonansätze, v.a. in der Höhe wackelten manchmal, doch insgesamt strömte die Stimme frei und unbelegt.
Barenboims Dirigat fand ich sehr gut, die Hörner der Staatskapelle schon weniger, da waren doch einige schlimme Patzer drin.
Samuil klang trotz ihrer Indisposition sehr voll, allerdings auch mit starkem Vibrato.
Trekel war von der Regie schon dermassen vernachlässigt, dass man ihn kaum wahrnahm.
Sehr gut Fischesser, die Amme (Margarita Nekrasova), Olga (Maria Gortsevskaya) und Larina (Katharina Kammerloher).
Die Installation von Freyer (eine Inszenierung würde ich das nicht nennen) war durchaus interessant, optisch sogar ansprechend. Doch über drei Stunden ging das ganze nicht auf. Jede Figur bewegte sich in einer ihr zugewiesenen Bahn rauf und runter, mit den immer gleichen stereotypen Bewegungen. Die Amme ganz rechts, Onegin ganz links (deshalb war er beinahe nicht zu sehen), alle Figuren waren ständig auf der Bühne, traten nie in Kontakt zueinander und sangen immer frontal ins Publikum. Dazu einige nette Beleuchtungseffekte, ansonsten dominierten schwarz und weiss, die Gesichter alle weiss geschminkt, fratzenhafte Zombies. Nur Freyers Akrobatiktruppe durfte sich dazwischen etwas freier bewegen. Für Leute, welche das Stück nicht kennen, bestimmt schwer zu verstehen.
Als Alternative sicher mal ok, aber da find ich Homokis Inszenierung an der KO bedeutend stärker, er nahm die Melancholie, die Langeweile und den immerwährenden Fluss überzeugender und stringenter auf.

Mittwoch, 15. Oktober 2008

Berlin: TURANDOT, 14.10.08


And the Oscar for best supporting actor goes to......PETER MAUS. Unglaublich, was Herr Maus darstellerisch aus der meist nur dekorativ gehaltenen Rolle des alten Kaisers herausholt. Das ist ein Verschnitt von Honecker, Breschnew, Pinochet und Hitler (mit dem parkinsonschen Syndrom). Seine kindische Freude über die Niederlage seiner Tochter, sein seniles Gebaren - einfach grossartig.
Regisseur Lorenzo Fioroni verlegt das märchenhafte Geschehen in einen entfernt an den Palast der Republik erinnernden Plenarsaal. Das Volk wird dazu verdammt, dem Politbüro/Junta zuzujubeln und zweifelhafte, brutale Theateraufführungen zu verfolgen, welche vom an Commedia dell´Arte erinnernden Trio Ping, Pang und Pong so herrlich komisch konterkariert werden (toll Nathan Myers, Jörg Schörner und Paul Kaufmann). Die Gewalt, die das ganze Treiben umgibt, schlägt schliesslich gnadenlos zu. Auch Turandot und Calaf sind in gewalttätigen Umgebungen gross geworden, sie als Tochter des Caudillo, er als Flüchtling. Am Ende kommen sie zwar zusammen, können ihrer eigenen Biografie aber nicht entkommen. Sie ermorden beide ihre Väter. Nein, Liebe ist es nicht, welche die beiden starken Figuren verbindet. Diese unverhoffte, plötzliche Liebe tritt im Libretto ja auch recht unbeholfen und unmotiviert am Schluss des Stücks auf. Deshalb macht die Deutung des Regisseurs durchaus Sinn, dass die Verbindung der beiden auf derer Traumatisierung aufbaut und eskaliert. Auf dem nackten Gerüst der Politbürologe werden auch Ping, Pong und Pang am Ende nichts mehr zu lachen haben.
Sängerisch stand der Abend erst mal unter keinem guten Stern: Carlo Ventre (Calaf) sagte krankheitsbedingt ab. Der Einspringer, Mario Zhang, schlug sich tapfer. Insgesamt fehlt es der Stimme aber an dramatischer Durschlagskraft für das grosse Haus. Immerhin darf ihm zu Gute gehalten werden, dass er den hohen Ton am Ende der Rätselszene voll aussang! Da gehen die meisten berühmten Tenöre runter.
Lise Lindstrom legte einen fulminanten Auftritt als eiskalte Prinzessin Turandot hin. Ihr "In questa reggia.." und die nachfolgende Rätselszene waren mit wunderbar schneidender Kälte und sicherer Höhe gesungen. Im dritten Akt hielt sie sich anfänglich etwas zurück, um sich dann aber im Schlussduett wieder zu steigern.
Neben dem kräftig auftrumpfenden und sicher singenden Chor erhielt Inna Los als Liú den meisten Applaus. Ihre zweite Are "Tu ch di gel sei cinta" gestaltete sie sehr anrührend. Anschliessend an ihren Selbstmord musste sie (es war wohl eine Puppe) noch 20 Minuten an einem Kabel über der Bühne hängen...
Als Timur glänzte der Bass Paata Burchuladze. Ein Penner, der sich nach dem Tode der Liú dem Alkohol ergibt und über dessen Ermordung durch seinen Sohn niemand mehr trauert.
Die besuchte Vorstellung war erst die vierte nach der Premiere. Erstaunlich, dass bereits nicht mehr Pinchas Steinberg am Pult stand, sondern der Assistent Attilio Tommasello, welcher insgesamt eine solide Vorstellung dirigierte, mit der Lautstärke des Orchesters aber doch gerade den Einspringer etwas rücksichtslos zudeckte.
Fazit: Interessante Deutung des Stoffes, nie langweilig.

Dienstag, 14. Oktober 2008

Duisburg: LOUISE


Diese Produktion MUSS man gesehen haben. Eine eindringlichere, aufwühlendere und nachdenklich stimmendere Opernproduktion habe ich in den letzten Jahren nicht gesehen. Was Regisseur Christof Loy aus dem hundertjährigen Stoff herausholt ist unglaublich aktuell. Am Schluss blieb manchem Zuschauer ein Tränenausbruch nicht erspart. Loy legte den Schwerpunkt auf die inzestuöse Beziehung des Vaters zu seiner Tochter Louise, das (in solchen Fällen leider oft übliche) Weggucken der Mutter, die sexuelle Unterdrückung der Tochter und die kurzen Momente von Louises Glück in der Künstlergemeinde des Montmartre. Dies alles spielte sich in einer Art Wartesaal des Glücks ab, Stil 50er Jahre. Eindrücklich das Spiel und der Gesang der Protagonisten, allen voran Sylvia Hamvasi, welche die Gewaltspartie der Louise mit unglaublich intensivem, strahlkräftigem Sopran ausstattete. Ihre Darstellung dieses von ihrer Familie zerstörten Mädchens berührte und erregte Wut auf eine Gesellschaft, die so etwas nach wie vor zulässt. Ihr etwas oberflächlicher Verehrer Julien, mit welchem sie nur einen kurzen Moment des Glücks geniessen darf, wurde von Sergej Khomov glaubwürdig dargestellt und hervorragend gesungen. In einem ekstatischen Duett vereinigten sich die beiden überragenden Stimmen. Sami Luttinen gestaltete den äusserlich biederen Vater (Nickelbrille und Aktenmappe), der doch ein echter Schweinehund ist, mit kernigem Bariton. Die in ihren Gefühlen erkaltete Mutter wurde von Marta Márquez mit grosser Bühnenpräsenz dargestellt, stimmlich hätte sie ruhig noch etwas aufdrehen können.
Jonathan Darlington leitete die hervorragend aufspielenden Duisburger Philharmoniker, holte all die wunderbaren impressionistischen Feinheiten aus der Partitur heraus, lotete die Leitmotive aufs Genaueste aus und erreichte auch musikalisch in der ohne Pause gespielten Oper ein Höchstmass der Gefühle.

Düsseldorf: DIE FRAU OHNE SCHATTEN


Premiere:
Nach einer halbstündigen Verspätung (Warnstreik des Orchesters) hob John Fiore den Taktstock zur Düsseldorfer Neuinszenierung von Richard Strauss´Meisterwerk. Leider schien dem Orchester der Streik nicht besonders gut getan zu haben: Koordinationsprobleme, Intonationstrübungen bei den Bläsern und brüchiger Streicherklang (zu kleine Besetzung ...) boten vor allem im ersten Akt wenig Genuss für das geübte FROSCH - Ohr.
Eine sehr glückliche Hand bewiesen die Verantwortlichen bei den immense Anforderungen stellenden weiblichen Hauptpartien: Linda Watson war eine überragende Färberin, ihre Bühnenpräsenz, die ausdrucksstarke Mimik und die dramatisch-durschlagskräftige Stimme waren phänomenal - eine Idealbesetzung. Renée Morloc legte die Amme weniger dämonisch an, als man es gewohnt ist. Sie sang aber wunderbar sauber und phrasierte hervorragend. Susan Anthony schliesslich war eine stimmkräftige Kaiserin mit sehr anrührendem Spiel. Mag sein, dass man ihre Anstrengungen bei den hohen Tönen manchmal zu deutlich spürte, doch sie kamen alle. Die schwierigen Intervallsprünge in "Vater bist du´s" waren eindrücklich gelungen.
Weniger glücklich wurde man mit den Männern: Alfons Eberz brachte mit lauten Tönen beinahe das Haus zum Einstürzen, doch die Genauigkeit der Intonation war merklich getrübt - manchmal schmerzlich. Tomasz Konieczny (für Hartmut Welker eingesprungen) gab einen sicheren Barak, stimmlich wunderschön gestaltete Passagen wechselten mit manchmal unmotivierten forte- Ausbrüchen.
Die Konzeption des Regieteams überzeugte durchwegs, eine vom Krieg zerstörte Gesellschaft, Menschen, die sich vor der brutalen Umwelt abzusetzen versuchen, die Augen verschliessen und am Ende doch von der Gewalt eingeholt werden. Das versöhnlich utopische Finale, das manchmal auch sehr kitschig wirken kann, ersparte uns Regisseur Guy Joosten. Die beiden Paare kommen nicht mehr zusammen, jeder stirbt für sich allein am Fuss der gigantischen schwarzen Treppe, auf und unter welcher sich der vierstündige Abend abspielte. Durch das Drehen dieser Treppe wurden die geforderten schnellen Szenenwechsel grossartig realisiert, das Färberhaus befand sich unter und im Innern der Treppe. Einzig zur so imposant in der Musik angelegten Zerstörung der Welt im Finale des zweiten Aktes fiel dem Regisseur wenig ein. Das liess kalt.

Sonntag, 28. September 2008

Luzern: Kehraus um St. Stephan



Kehraus um St. Stephan

Premiere in Luzern: 27.September 2008

Satire mit Musik in zwei Teilen

Musik: Ernst Krenek

Libretto: vom Komponisten

Uraufführung: 6. Dezember 1990 in Wien

Aufführungen in Luzern:

Mi 01.10.08 | Mi 15.10.08, Geschlossene Vorstellung | Fr 17.10.08 | So 02.11.08 | Fr 14.11.08 | So 16.11.08 | Do 20.11.08 | Do 27.11.08

http://www.luzernertheater.ch


Kritik:

Welch eine Entdeckung! Drei Stunden Spieldauer vergehen wie im Flug dank packender Handlung, intelligentem, satirischem und nachdenklich stimmendem Text – und dazu eine vorzügliche, szenisch äusserst genaue und musikalisch überzeugende Umsetzung dieses Sittengemäldes von Ernst Krenek.

Dirigent John Axelrod betreute am Samstag seine letzte Premiere in Luzern und bewies einmal mehr sein Gespür für Entdeckungen. Dieses Werk in dieser Interpretation MUSS man gesehen und gehört haben. Die Nähe zur Bühne erweist sich im Luzerner Theater zu einem Riesen Vorteil fürs Publikum. Gebannt verfolgt man das satirische, bitterböse und doch tragische Geschehen, leidet mit den exzellenten Darstellerinnen und Darstellern mit. Und diese leisten Beachtliches: Jason Kim verblüfft mit strahlkräftigem Tenor als Rittmeister a.D., Mechthild Bach ist eine in ihrer Abneigung gegen den unsympathischen Berliner Kabulke (toll gespielt und gesungen von Thomas Ghazeli) resolute Elisabeth, findet aber in ihrem grossen Gebet zu wahrlich anrührenden, durchdringenden und direkt ins Herz greifenden Tönen, meistert souverän die schwierigen Intervalle. Stefan Rössler ist der sympathische Weinbauer, einer, der noch an Anstand und Werte glaubt. Seine Kinder hingegen suchen das grosse, schnelle Glück (und Geld). Maria reflektiert ihr Handeln immerhin („Ich wollte das Geld haben, nun hat mich das Geld“). Simona Eisinger singt und gestaltet die Figur restlos überzeugend. Genauso prägnant charakterisiert Hans-Jürg Rickenbacher ihren Bruder Ferdinand. Eine Entdeckung ist der Bariton Howard Quilla Croft als Industrieller Koppreiter. Er zeichnet ein differenziertes Porträt dieses ziestrebigen Unternehmers, der dann doch so kläglich scheitert und nur noch die Selbsttötung als letzten Ausweg sieht. Wunderschön gesungen auch sein Duett mit Mechthild Bach im ersten Teil. In weiteren Rollen überzeugen Flurin Caduff, Caroline Vitale, Martin Nyvall und Jürgen Schulz. Vortrefflich der Chor des Luzerner Theaters und die Schülerinnes des Dance Art Studios.

Die Inszenierung im grauen, tristen Einheitsbühnenbild, welches mit wenigen Versatzstücken die schnellen Szenenfolgen genial bewältigt, ist absolut stimmig. Ohne Mätzchen wird die Geschichte aus der Zeit heraus erzählt – und eröffnet gerade dadurch dem Zuschauer die Möglichkeit, Parallelen zur heutigen Zeit zu ziehen, ohne ihn zu vergewaltigen. Chapeau!

Fazit:

Diese Entdeckung darf man nicht verpassen. Packendes, intelligentes und anregendes Musiktheater.

Werk und Inhalt:

Als eine «Satire mit Musik» bezeichnete Ernst Krenek seine 1930 komponierte Oper «Kehraus um St. Stephan», für die er auch das Textbuch verfasste. Mit kritischem, aber auch durchaus witzigem Blick auf die Zeit, gestatete Krenek eine intelligente, spannende und kurzweilige Analyse einer Gesellschaft, die keine Moral mehr kennt, am Abgrund tanzt. Damit passt das Stück wie angegossen in die heutige Zeit, man braucht es nicht einmal zu aktualisieren, um die Parallelen zu erkennen.

Vieles ist kaputt in der Welt der ehemaligen k.u.k. Monarchie. Der Krieg ging verloren, ein neues Unternehmertum, welches sich nicht scheut über Leichen zu gehen, breitet sich aus. Der ehemalige Adel und die Offiziere sind heimatlos geworden, die jungen Leute versuchen ihr Glück zu finden, indem sie sich in jeglicher Form prostituieren.

Die Musik Kreneks ist äusserst abwechslungsreich und farbig – sie wechselt vom mit Ariosi durchsetzten Konversationston zu innigen, gefühlvollen, auch religiösen Momenten, greift immer wieder rhythmisch vertrackte Tanzelemente auf, erinnert manchmal (gerade auch im moralisierenden Schluss) an Richard Strauss und Franz Schreker.

Seit seinem Erstling Jonny spielt auf, galt Krenek als entarteter Künstler, Kehraus um St. Stephan wurde nicht wie geplant 1930 in Leipzig uraufgeführt sondern erst 1990 in Wien.


Basel: La Bohème

La Bohème

Theater Basel

Ungewöhnliche Lesart von Puccinis Opernhit, garantiert nicht langweilig, vermag bestimmt auch junge Leute für Oper zu begeistern! Bravi!!!

Premiere: 26. September 2008

Oper in vier Bildern
Musik: Giacomo Puccini
Libretto: Luigi Illica / Giuseppe Giacosa
Uraufführung: 1. Februar 1896 im Teatro Regio, Turin
Aufführungen in Basel:
28. 9. | 1.10. | 5.10. | 13. 10. | 17.10. | 19.10. | 26. 10. 08 und weitere Aufführungen im November

Kartenbestellung und Infos: Theater Basel

Kritik:
Selten hat das Publikum dermassen mit den vier Künstlern im ersten Bild von Puccinis Bohème mitfrieren müssen wie hier in Basel. Da ist nichts von Malatelier mit Ausblick auf die Dächer von Paris zu sehen, sondern eine trostlose, beinahe apokalyptisch anmutende eiskalte Gletscherlandschaft bildet den Rahmen für die Handlung. Kein Wunder dass Colline, Schaunard und Marcello sich mit Hilfe des Kletterseils ins Café Momus begeben müssen, welches dann selbstverständlich nicht im Quartier Latin liegt sondern die Sonnenterrasse eines noblen Skiorts ist, auf welcher sich die Schickeria langweilt, bis die Blasmusik zur letzten Talabfahrt drängt. Nach diesen beiden weissen Bildern folgen sinngemäss die schwarzen. Nun kippt das Geschehen, aus dem Spass wird Ernst. Der Boden ist nun schwarz, auf einer Seite liegt noch etwas Schnee, die Bühne wird hinten durch ein dunkles, irrisierendes Licht ausstrahlendes Lochblech begrenzt. In dieser irrealen Welt begegnen sich die Liebenden noch einmal, vereinigen sich, um sich bald darauf wieder zu trennen. Stark dann der Schluss der Oper. Nun ist die Bühne total schwarz, die Protagonisten werden mit Spots hervorgehoben, treten kaum noch in Kontakt zueinander. Mimì stirbt, doch ihre Seele erhebt sich und findet endlich das lange erträumte Glück, das wärmende Bett, das in einem allerdings hässlichen Silberkäfig vom Bühnenhimmel schwebt. Diese neue Leseart des bekannten Stücks durch das junge Inszenierungsteam um Regisseur David Hermann (Falstaff in Luzern, Jeanne d’ Arc au bûcher in Basel) hat erwartungsgemäss das Publikum gespalten.
Gesungen und gespielt wurde allerdings grandios. Allen voran die zerbrechlich wirkende und doch so wunderbar sauber und mit warmem und aufs Schönste aufblühendem Sopran singende Mimì von Maya Boog. Welch ein Glück für Basel, diese fantastische Sängerin und Gestalterin am Haus zu haben. Berückend ihre Piani, begeisternd das Crescendo in ihren grossen Szenen. Aber auch die anderen Protagonisten dieses spielfreudigen Ensembles leisteten Beachtliches – so der junge Mexikaner David Lomeli als Rodolfo, mit stupender Höhe und umwerfend tolpatschigem Gehabe bei seinem ersten Annäherungsversuch an Mimì, der junge Kanadier Phillip Addis überzeugt mit warmem, rundem Bariton als eifersüchtiger, humorvoller Marcello und Nicholas Söderlund gestaltet die Trennung von seinem neuen, plastifizierten Designmantel vortrefflich. Sehr komisch auch die Musetta mit Schosshündchen von Agata Wilewska, deren helle Stimme sich wunderbar in die Ensembles einfügt.
Der Dirigent Maurizio Barbacini leitet das Geschehen mit viel Schwung, verleiht der Musik aber auch die nötige Portion Süsse und bereitet einen intensiven Klangteppich, auf welchem sich die Sängerinnen und Sänger wohl fühlen können.

Fazit:
Musikalisch beeindruckend, szenisch gewöhnungsbedürftig, aber erstaunlicherweise doch irgendwie stimmig. Garantiert kein langweiliger Abend!!!

Werk und Inhalt:
In eindringlichen, atmosphärisch dichten Bildern zeichnen Puccini und seine Librettisten Szenen aus dem Leben junger Menschen. Sie träumen von Freiheit und Selbstverwirklichung, sie lieben und sie streiten sich, sie kämpfen mit Humor ums Überleben. Doch als eine von ihnen tödlich erkrankt, wird aus dem sorglosen Leben bitterer, tragischer Ernst.
Puccini hat dazu eine seiner farbenprächtigsten Partituren komponiert, lyrisch-sentimentale Stellen verschmelzen mit humorvoll kontrastierenden Passagen, die Personen sind überaus stimmig in kurzen, prägnanten Ariosi charakterisiert. Im letzten Bild verschmelzen all diese Leit- und Erinnerungmotive, der Orchesterklang wird aber zugleich dünner und führt so zum ergreifenden Schluss.

Musikalische Höhepunkte:
Che gelida manina, Arie des Rodolfo, Bild I
Si, mi chiamano Mimì, Arie der Mimi, Bild I
O soave fanciulla, Duett Mimì-Rodolfo, Bild I
Quando m’en vo, Walzer der Musetta, Bild II
Addio dolce svegliare, Duett Mimì-Rodolfo mit Hintergrundgezänk Marcello-Musetta, Bild III
Vecchio zimarra, senti, Arie des Colline, Bild IV
O Mimì, tu più non torni, Arioso des Rodolfo, Bild IV

Montag, 22. September 2008

Amsterdam: DIE FRAU OHNE SCHATTEN


Tag der Aufführung
20.09.2008
Ort
Amsterdam De Nederlandse Opera
Komponist
Strauss Richard
Werk
Die Frau ohne Schatten
Besetzung
Der Kaiser: Klaus Florian Vogt
Die Kaiserin: Gabriele Fontana
Die Amme: Doris Soffel
Der Geisterbote: Peteris Eglitis
Der Hüter der Schwelle des Tempels / Die Stimme des Falken: Lenneke Ruiten
Eine Stimme von oben: Corinne Romijn
Erscheinung eines Jünglings: Jean-Léon Klostermann
Barak der Färber: Terje Stensvold
Sein Weib: Evelyn Herlitzius
Der Einäugige: Roger Smeets
Der Einarmige: Alexander Vassiliev
Der Bucklige: Torsten Hofmann
Dienerinnen: Lenneke Ruiten, Anneleen Bijnen, Inez Hafkamp
Die Stimmen der Wächter der Stadt: Peter Arink, Leo Geers, Harry Teeuwen, Tomoko Makuuchi, Jeanneke van Buul, Jeke Berends, Bernadette Bouthoorn, Hiroko Mogaki
Genre
Oper
Bemerkung
Nahezu perfekte FRAU OHNE SCHATTEN. Sowohl gesanglich als auch die Inszenierung. Die drei Damen waren phänomenal. Frau Herlitzius sang mit grosser, voller Stimme und erreichte Spitzentöne, die andere Sängerinnen in der Rolle gerne zu kaschieren versuchen. Frau Fontana hatte eine glasklare Stimme und erreichte treffsicher ihre Höhen. Im "Vater, bist Du es?" entfaltete sich ihre Stimme in hervorragender Weise und ohne Atemnot spannte sie die grossen Strauss'schen Bögen. Frau Soffel war eine Wahnsinns-Amme mit dämonischer Tiefe und sicheren Höhen, die auch wunderbar gehalten werden konnten. Als Überraschung darf Herr Vogt als Kaiser gelten. Schlanke, volle Stimme, der diese schwierige Partie scheinbar mühelos und in allen Lagen zu singen vermochte. Wenn andere Sänger in gleicher Partie nicht selten vom Orchester zugedeckt werden, Klaus Florian Vogt war immer gut zu hören. Herr Stensvold war ein Barak mit toller, angenehmer Stimme, der weder polterte noch undeutlich war. Die Spielfreude zeigte sich bei allen Beteiligten (sogar bei Baraks Brüdern, welche viel häufiger als in anderen Inszenierungen präsent waren), was sicher auch an Andreas Homokis gut durchdachtem Regiekonzept liegen mag. Erotisches Vergnügen: Der Jüngling wurde von Herrn Klostermann nicht nur wunderbar gesungen, sondern auch mit nackter Brust dargestellt ...

Alles in allem eine wirklich gelungene und lohnenswerte FroSch-Aufführung. Beinahe die perfekteste FRAU OHNE SCHATTEN, die man sich (gesanglich) wünschen mag.
Dirigent
Albrecht Marc
Regisseur
Homoki Andreas

Quelle: http://www.opern-freund.de

Ich kann mich nur anschliessen, es war grandios!

Donnerstag, 18. September 2008

Zürich: DAS RHEINGOLD, 17.9.2008


Das Rheingold

Opernhaus Zürich

Wiederaufnahme der wunderbar ästhetischen Installation von Robert Wilson, szenisch und musikalisch ein Ereignis!
Premiere: 17. September 2008, Wiederaufnahme

Das Rheingold
Vorabend zum Ring des Nibelungen
Musik: Richard Wagner
Textdichtung vom Komponisten
Uraufführung: 22. September 1869 im Nationaltheater, München
Aufführungen in Zürich: Fr, 19.09.2008 | Fr, 26.09.2008 | Do, 20.11.2008 | Mi, 26.11.2008
| Fr, 20.03.2009 | Mi, 01.04.2009 | Mi, 24.06.2009

Kritik:
Schon mit dem immer wieder faszinierend anzuhörenden, sich über 136 Takte steigernden Es-Dur Akkord im Vorspiel zu RHEINGOLD erreicht der junge Schweizer Dirigent Philippe Jordan eine ungeheure Transparenz und zugleich eine Sogwirkung und Spannung, die über die gesamte, pausenlose Spieldauer von über zweieinhalb Stunden nicht nachlässt. Das Orchester der Oper Zürich folgt ihm konzentriert und klangschön musizierend. Ein Genuss und ein viel versprechender Beginn am Vorabend zu Wagners Tetralogie, welche in dieser Saison (neben Einzelvorstellungen) auch viermal als Zyklus angeboten wird.
Wenn dann die Rheintöchter so herrlich langsam aus den Nebelschwaden auftauchen, die raffinierte Lichtgestaltung, die symbolträchtigen, durch klare Linien gezeichneten Kostüme und die hoch ästhetischen Bewegungen den Zuschauer in ihren Bann ziehen, steht einem inspirierenden, erfüllenden und trotz all der Langsamkeit nie lange wirkenden Abend nichts mehr im Wege. Robert Wilsons Inszenierung mit den Kostümen von Frida Parmeggiani und der Lichtgestaltung von Andreas Fuchs und Wilson selbst hat auch nach 8 Jahren nichts von ihrer Faszination eingebüsst.
Sämtliche Sängerinnen und Sänger zeichnen sich durch eine hervorragende Diktion und Phrasierungskunst aus, der Dirigent schafft eine perfekte Balance zwischen Orchester und Bühne. Er scheint die nicht unproblematischen akustischen Bedingungen hier am Haus bestens zu kennen.
Dass alle Rollen hervorragend mit Ensemblemitgliedern (und einem treuen Gast) besetzt werden konnten, zeichnet das Zürcher Ensemble einmal mehr aus. Egils Silins ist ein hochkarätiger Wotan, seine Autorität, seine Präsenz und die makellos geführte Stimme vermögen zu begeistern. Seiner Gemahlin Fricka (Liliana Nikiteanu) merkt man an, dass sie als „Bühnentier“ darstellerisch gerne mehr aus sich herausgehen möchte, als Wilsons Konzeption es ihr erlaubt. Deshalb verlegt sie alle Ausdrucksnuancen in die Stimme und erreicht dadurch eine faszinierende Intensität und Glaubwürdigkeit der Figur. Schon vor 8 Jahren war Loge richtigerweise mit einem Tenor besetzt, der eigentlich aus dem Belcanto Fach kam (Francisco Araiza). Diesmal hat man die dankbare Partie Reinaldo Macias anvertraut, der dieses Rollendebüt hervorragend meistert. Rolf Haustein war ein restlos überzeugender Alberich, ebenso Volker Vogel als sein Bruder Mime. Pavel Daniluk fügt mit dem Riesen Fafner die Reihe seiner eindrücklichen Basspartien fort. Ein grosses Vergnügen bereitete es, den drei Rheintöchtern von Sen Guo, Anja Schlösser und Irène Friedli zuzuhören. So herrlich reine Stimmen, so Mitleid erregend in ihrem klagenden Schlussgesang. Margaret Chalker (Freia), Cheyne Davidson (Donner) und Miroslav Christoff (Froh) komplettieren die Götterwelt, Fasolt (Andreas Hörl) wird leider trotz seiner stupenden Bassstimme von seinem Bruder Fafner beim Griff nach dem Ring erschlagen.
Das viel versprechendste Debüt des Abends beschert dem Publikum wohl das neue Ensemblemitglied Wiebke Lehmkuhl als Erda. Ihre durchdringenden Warnrufe „Weiche, Wotan, weiche …“ klingen beim Verlassen des Opernhauses noch lange nach.
Man kann sich so richtig auf die nächsten drei Ring-Abende freuen!
Fazit:
Faszinierende Inszenierung, geradezu ideale Besetzung und ein höchst spannendes Dirigat.
Ein gelungener Auftakt zu Wagners Gesamtkunstwerk!
Das Werk:
Richard Wagner beschäftigte sich über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren mit dem Nibelungenstoff. Entstanden ist ein zeitloses, gigantisches Gesamtkunstwerk, mit beinahe 20 Stunden Spieldauer, welches sich über vier Abende erstreckt. Über hundert meisterhaft verarbeitete Leitmotive prägen die Partitur, welche an die Solisten und das Orchester höchste Anforderungen stellt.
Den RING DES NIBELUNGEN kann man immer wieder neu sehen und interpretieren. Er kann eine Apotheose auf das Menschentum sein, eine Kritik an der industrialisierten Gesellschaft, eine politisch-soziale Kritik, eine Entsagung im Sinne Schopenhauers; man kann darin eine Vorwegnahme von Freuds Deutung des Unbewussten erkennen oder andere tiefenpsychologische Exkurse.
Im RING geht es um Machtstreben, Machtmissbrauch, List, Betrug, Entführung, Vergewaltigung, Inzest, Verträge und deren Brüche – und um Liebe.
Wagner hat den Text im konsequent angewandten Stabreim selbst verfasst. Er benutzte als Quelle seiner Inspiration weniger das mittelalterliche Nibelungenlied, sondern griff auf ältere nordisch-germanische Sagen zurück.
Inhalt des Vorabends:
Mit einem Fluch auf die Liebe raubt der Zwerg Alberich den Rheintöchtern das Gold. Daraus lässt er sich von den Nibelungen unter der Leitung seines Bruders Mime einen Tarnhelm sowie einen Ring schmieden, der ihm unermessliche Macht bescheren wird.
Die Riesen Fafner und Fasolt haben den Göttern eine gewaltige Burg gebaut – Walhall. Als Lohn haben sie sich die Göttin Freia ausgehandelt, die ewige Jugend verspricht. Göttervater Wotan jedoch weigert sich, Freie herauszugeben. Loge, der listige Feuergott, bietet den Riesen das Gold des Nibelungen an.
Auf betrügerische Art und Weise bemächtigen sich Wotan und Loge des Goldes und des Ringes. Allerdings heftet Alberich einen fürchterlichen Fluch an den Ring, welcher jeden, der sich seiner bemächtigt, vernichten soll. Der Fluch wirkt: Fafner erschlägt bei der Teilung des Goldschatzes seinen Bruder Fasolt.
Die Erdgöttin Erda prophezeit Wotan das Ende der Götter.
Wotan – voller Sorge über die Prophezeiung – und die Götter schreiten über eine Regenbogenbrücke zur Burg.



Montag, 15. September 2008

Zürich: Lucia di Lammermoor



Prunkstück der italienischen Opernromantik in einer nicht zwingenden Neuinszenierung! Einzig Elena Mosuc in der Titelpartie vermag zu berühren.

Premiere: 14. September 2008

Lucia di Lammermoor
Oper in 3 Akten
Musik: Gaetano Donizetti
Libretto: Salvatore Cammarano
Uraufführung: 26. September 1835 im Teatro San Carlo, Neapel
Aufführungen in Zürich: Di, 16.09.2008 | Do, 18.09.2008 | Sa, 20.09.2008 | Di, 23.09.2008 | Do, 25.09.2008 | So, 28.09.2008 | Fr, 03.10.2008 | Fr, 26.12.2008 | So, 28.12.2008

Kritik:
Eben noch flimmerten die aufwühlenden Bilder zum Gedenken an die unfassbaren Terroranschläge von 9/11 auf die Twin Towers des World Trade Centers über die Bildschirme – nun begegnen wir einem zerborstenen Wolkenkratzer aus Glas und Stahl auf der Bühne des Opernhauses, welcher das Einheitsbühnenbild dieser Neuinszenierung prägt. Es mag sein, dass diese Assoziation nicht beabsichtigt war, sie stellte sich bei manchem Besucher unweigerlich ein. Dies hätte den Verantwortlichen bewusst sein müssen. Als sich dann auch noch ein Stuntman effektvoll vom Wolkenkratzer (als Lucia nach deren Wahnsinnsszene) in die Tiefe stürzte, war der Gipfel der Geschmacklosigkeit erklommen. Der Turm diente wohl als Symbol für eine in ihrem tiefsten Kern zerstörte Gesellschaft. Immerhin funktionierten trotz der äusserlichen Zerstörungen die elektrischen Leitungen im Innern des Turms noch, so konnten sich darin einige nette visuelle Effekte abspielen.
Vier Neuinszenierungen von Werken, welche immerhin noch vergangene Spielzeit gegeben wurden, hat das Opernhaus für diese Saison angesetzt. (Neben LUCIA folgen noch FIDELIO, TOSCA und COSI FAN TUTTE.) Deshalb muss sich jede dieser Neuinszenierungen unweigerlich auch an ihren Vorgängerinnen messen und auf ihre Notwendigkeit hin hinterfragen lassen.
Dieser erste Vergleich fällt leider zuungunsten der Arbeit des jungen Teams um Regisseur Damiano Michielotto aus. Vermochte er im ersten Bild mit dem Auftritt des mit Taschenlampen und Spürhund ausgerüsteten Spähertrupps noch zu überzeugen, verflachte die Inszenierung im Verlauf des Abends, von einer prägenden, durchdachten Personenführung blieb nicht viel übrig (manches lief sogar der Musik explizit zuwider, so die verspätete Selbsttötung des Edgardo und der verfrühte Tod der Lucia); die Protagonisten flüchteten sich zusehends in konventionelle Operngestik. Zu vendetta und furor wurde gerade mal die Faust geballt, die dramatische Auseinandersetzung zwischen Enrico und Edgardo fand nicht zwischen den Kontrahenten statt, jeder stand an der Rampe und sang steif ins Publikum. An die klug durchdachte, eindringliche und berührende Inszenierung Robert Carsens aus den 80er Jahren reicht diese Neuinszenierung nicht im Entferntesten heran.
Auch Elena Mosuc, welche die Partie schon seit vielen Jahren erfolgreich in Zürich und anderswo verkörpert, wirkte in ihrem Agieren seltsam distanziert. Allerdings wurde dann die Wahnsinnsszene, welche sie zum Teil in der Embryonalstellung sang, durch ihre subtile und intensiv – berührende Gestaltung zu Recht zu einem umjubelten Höhepunkt des Abends. Die Sauberkeit ihrer herrlichen Stimme, welche vor allem im Zwiegesang mit der Flöte so wunderbar erklang, zeigt die Klasse und Grösse dieser Künstlerin. Sie setzt nicht auf oberflächlich demonstrative Lautstärke, sondern auf Empfindung – leider ganz im Gegensatz zu ihren Partnern an diesem Premierenabend.
Das mit Spannung erwartete Debüt des jungen, gut aussehenden Tenors Vittorio Grigolo hier am Haus wurde zwar heftig bejubelt. Welch eine Kraft, welch wunderschöne Stimme, welch ein Schmelz – mit viel Enthusiasmus stürzt er sich in seine Rolle, als einziger geht er darstellerisch aus sich heraus, zur grossen Freude seiner Verehrerinnen darf er auch seinen muskulösen Oberkörper im Finale des zweiten Aktes entblössen. Doch der Diamant bedarf noch des Feinschliffs – oder er muss sein Volumen an die Dimensionen des Hauses anzupassen verstehen. Stellenweise sang er seine Partnerin und seine Partner regelrecht an die Wand. Ob seine Stimme seinem konstanten fortissimo auf Dauer standhalten kann, wird die Zukunft zeigen – ein Versprechen ist sie allemal.
Sein Gegenspieler Enrico wurde ebenfalls von einem jungen Sänger gesungen, Massimo Cavalletti. Auch er darf sich einer wunderbar satt strömenden Stimme glücklich schätzen, seine Gestaltung der Partie wirkte jedoch noch sehr eindimensional. So kam sein Ausruf „Ah perfida!“ völlig emotionslos und beinahe unbeteiligt daher, obwohl für ihn doch eine Welt zusammenbrechen müsste, nachdem sein ganzes Intrigengeflecht durch den Mord Lucias an Arturo zerstört worden war. Den Arturo zeichnete Boiko Zvetanov so richtig snobistisch überheblich, er holte das Maximum aus dieser kleinen, undankbaren Partie heraus. László Polgár sang mit herrlich differenziertem, autoritärem Bass die Rolle des zwielichtigen Priesters Raimondo.
Als Spiritus Rector der Aufführung bezeichnete der Intendant Maestro Nello Santi, der damit seine 50jährige Verbundenheit mit dem Opernhaus Zürich feiern darf. Natürlich kennt er die Partitur wie wohl kaum ein anderer und zaubert mit dem grossartig spielenden Orchester der Oper Zürich herrliche Farben aus dem Orchestergraben.
Doch bei aller Schönheit manchen Details: Wirklich berührt hat die tragische Geschichte nicht.

Fazit:
Die Aufführung erreicht bei weitem nicht die szenischen Qualitäten ihrer Vorgängerin. Wirklich unter die Haut geht diese wunderbare Oper nicht. Elena Mosuc glänzt als differenziert gestaltende Titelheldin

Das Werk:
Lucia di Lammermoor ist das Prunkstück der italienischen Opernromantik. Ein überragendes, unglaublich zeitüberdauerndes Libretto inspirierte Donizetti zu seinen wohl schönsten musikalischen Eingebungen. Lucia ist ganz im wörtlichen Sinne eine Lichtgestalt der Opernwelt, die unbefleckte Mörderin. Die Popularität dieser Oper hat auch in der Literatur ihre Spuren hinterlassen, von Flauberts Madame Bovary über Tolstois Anna Karenina bis zu Lampedusas Gattopardo, in welchem das Tenorfinale aus Lucia di Lammmermoor den inneren Monolog des Don Fabrizio begleitet.
Dieses Tenorfinale stellt einen formgeschichtlichen Geniestreich dar, steht doch – im Gegensatz etwa zu Bellinis Hauptwerken – für einmal nicht die Primadonna mit einem Bravourstück am Ende einer Belkanto Oper, sondern der Primo Uomo in einer Szene, welche den Lebenspessimismus, der dieses Werk prägt, so berührend vermittelt.

Synopsis:
Höchst brisant und leider immer noch aktuell:
Verfeindete Familien, Zwangsheirat, Unterdrückung der Selbstbestimmung der Frau, zwielichtige Rolle der kirchlichen Würdenträger …
Lucia Ashton liebt Edgardo Ravenswood, den Todfeind ihres Bruders Enrico.
Edgardo muss aus politischen Gründen fliehen, doch die beiden Liebenden schwören sich beim letzten heimlichen Rendez-vous ewige Treue.
Enrico fängt sämtliche Briefe Edgardos an Lucia ab, ja er fälscht sogar Briefe, um Lucia von der Untreue ihres Geliebten zu überzeugen. Mit Hilfe des Priesters Raimondo zwingt er Lucia zur Heirat mit Arturo Talbot, von dem er sich politische Unterstützung erhofft.
Mitten in die Hochzeitszeremonie platzt Edgardo und überhäuft Lucia mit Vorwürfen des Verrats und der Untreue.
Lucia hat in der Hochzeitsnacht in zunehmender geistiger Umnachtung Arturo erstochen.
Enrico fordert Edgardo zum Duell bei den Gräbern der Ravenswoods. Edgardo erfährt von Lucias Tat und ihrem Wahnsinn. Die Totenglocke erklingt. Edgardo folgt der Geliebten durch Selbsttötung in den Tod.

Musikalische Höhepunkte:
Cruda funesta smania, Kavatine des Enrico, Akt I
Regnava nel silenzio, Auftrittsarie der Lucia, Akt I
Sulla tomba che rinserra … Verranno a te, Duett Lucia-Edgardo, Akt I
Se tradirmi tu potrai, Duett Lucia-Enrico, Akt II
Chi mi frena in tal momento, Sextett, Finale Akt II
Il dolce suono … Ardon gli incensi, Wahnsinnsszene der Lucia, Akt III
Tombe degli ave miei … Tu che a dio spiegasti l’ali, grosses Tenorfinale des Edgardo, Akt III

Samstag, 6. September 2008

Winterthur: Der Graf von Luxemburg

Der Graf von Luxemburg

Winterthur

Operette aus der silbernen Ära, gefällig und opulent dargeboten, aber ohne an der lackierten Oberfläche zu ritzen.

Premiere: 5. September 2008

Der Graf von Luxemburg
Operette in 3 Akten
Musik: Franz Lehár
Libretto: Alfred Maria Willner und Robert Bodanzky
Uraufführung: 12. November 1909 Theater and der Wien, Wien
2. Fassung: 4. März 1937, Theater des Volkes, Berlin
Aufführungen in Winterthur Freitag, 05.09. | 07.09. | 09.09. | 13.09. | 14.09.2008

Kritik:
Wer leichtfüssige Operette in opulenter Ausstattung mag, ist mit der Aufführung in Winterthur bestens bedient. Herrliche Kostüme im Stil der 20er Jahre, drei grossartige, detailverliebte Bühnenbilder (William Orlandi) und eine Regie, welche die skurrile Geschichte geradlinig und mit einigem Augenzwinkern erzählt, bescheren einen vergnüglichen Abend.
Im Bühnenbild des ersten Aktes könnte man auch Puccinis Bohème spielen (Puccini und Lehár waren befreundet), der zweite Akt spielt in einer Gemäldesammlung weiblicher Akte, von Modigliani bis Renoir, die Verwandlung auf offener Bühne zum Hotelfoyer des dritten Aktes ist eine faszinierende Meisterleistung der Bühnentechnik.
Sängerisch bleiben bei den Damen keine Wünsche offen. Christiane Kohl offenbart nach ihrer wunderbaren Christine in Intermezzo einen weiteren Beweis ihres Könnens. Ihre Angèle wirkt zwar anfänglich etwas kühl und distanziert, doch ihre herrliche Sopranstimme vermag zu begeistern. Ebenso silbern klingt Rebeca Olvera in der Soubrettenpartie der Juliette. Liuba Chuchrova hat einen umwerfend komischen Auftritt als Vodka trinkende und Männer verzehrende Fürstin Kokozow im dritten Akt.
Bei den Herren überzeugt Andreas Winkler in der Buffopartie des Malers Brissard. Sein wunderbar leicht geführter, makelloser Spieltenor ist für solche Rollen geradezu ideal.
Der Titelheld wird vom jungen Schweden Johan Weigel sympathisch gestaltet. In seiner grossen Arie im zweiten Akt (Trèfle incarnat) brilliert er mit einem wahrlich fulminanten, an Richard Tauber erinnernden Schlusston. Leider war seine Intonation an anderen Stellen nicht immer so ungetrübt. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese in den kommenden Aufführungen noch verbessern wird.
Peter Straka gibt den ältlichen Lüstling mit viel Augenrollen und konventionellen Operettengesten: Beim Tanzen und beim Bücken muss er sich ständig ins Kreuz fassen. Stimmlich hingegen hat sich der verdiente Sänger hier geradezu eine Paradepartie erschlossen.
Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Ralf Weikert, der die Partitur zusammen mit dem sorgfältig musizierenden Musikkollegium Winterthur zu Recht ernst nimmt, viele schöne Details herausarbeitet und doch die leicht schwebende Walzerstimmung nicht unterbricht.
Zum Schluss regnet es Silberplättchen vom Bühnenhimmel, die Ära der silbernen Operette ist auferstanden – und doch fragt man sich, ob das nun wirklich alles gewesen sein soll, was aus dem Werk herauszuholen ist. Nach Konwitschnys und Wernickes grossartigen Regietaten im Bereich der Operette verharrt Helmut Lohners Arbeit allzu sehr an der Oberfläche der Gefälligkeit; trotz einigen witzigen neuen Dialogen fehlen Doppelbödigkeit und Sarkasmus. Etwas mehr Biss wäre durchaus wünschenswert gewesen.

Fazit:
Gefälliger Operettenabend, opulent, aber ohne Biss.

Werk:
Nach dem Erfolg der Lustigen Witwe konnte sich Lehár vor Aufträgen kaum retten, alles musste schnell gehen. Franz Lehár war quasi der Lloyd-Webber seiner Zeit. Mit dem Grafen von Luxemburg knüpfte er an die Tradition der Salonoperette an, ernstes Paar, Buffopaar, alter Lüstling und erotisch-laszives Geplänkel. Lehár, der im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen ein versierter Instrumentierer war, überliess bei diesem Werk anscheinend einen Grossteil der Instrumentierung ausgerechnet Arnold Schönberg, was in manch reizvoller harmonischer Wendung durchaus zu hören ist. Ansonsten herrscht eine manchmal ermüdende Walzerseligkeit vor, insbesondere der valse moderato nimmt einen grossen Anteil der Partitur ein.
Als Lieblingskomponist Hitlers bearbeitete Lehár 1937 das Werk für das Berliner Theater des Volkes. Diese Fassung ist heute gebräuchlich und wird auch in Winterthur gespielt.

Synopsis:
Fürst Basil Basilowitsch hat sich in die Sängerin Angèle Didier verliebt, doch ist es ihm untersagt, eine Frau niedrigen Standes zu ehelichen.
Da kommt ihm der verarmte Lebemann Graf René von Luxemburg gerade recht. Basil unterbreitet ihm ein unmoralisches Angebot: Für eine halbe Million soll der Graf die Sängerin pro forma zu seiner Frau machen und sich nach drei Monaten von ihr wieder scheiden lassen. Die Frau befände sich dann im Adelsstand, was ihm, Basil, die Heirat selbst ermöglichen würde.
Während der Hochzeitszeremonie kann René keinen Blick auf die Gemahlin werfen, danach muss er in Paris untertauchen.
Die vereinbarten drei Monaten sind beinahe vergangen, als der Zufall René in den Wintergarten des Palais der Sängerin verschlägt, wo diese gerade auftritt. Er verliebt sich auf Anhieb in die unbekannte Sängerin und auch Angèle findet Gefallen an ihm.Die Wahrheit kommt ans Licht, beide erkennen, dass sie aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben. Doch wie umgeht man den Wortbruch Renés?
Da hilft die Operettenlösung. Die Gräfin Kokozow taucht auf, schnappt sich Basil wieder, der ihr schon einmal die Ehe versprochen hatte. Dem Glück des Liebepaares steht nichts mehr im Wege.

Musikalische Höhepunkte:
Mädel klein, Mädel fein
Bist Du’s, lachendes Glück, das jetzt vorüberschwebt…
Lieber Freund, man greift nicht nach den Sternen
Sie geht links, er geht rechts, Mann und Frau, jeder möcht’s, ideal ist solche Ehe, schmerzlos ohne jedes Wehe!
Trèfle incarnat
Unbekannt, darum nicht minder interessant.

Samstag, 9. August 2008

Berlin, Komische Oper, 19.7.08: EUGEN ONEGIN


Kritik von Uwe Schneider

Das Leben ist ein Wartesaal. Das Leben ist ein Leben der verlorenen Illusionen. Das Leben ist eine Jagd nach dem Glück. – Es sind die großen Leitmetaphern und Modethemen der Literatur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die Andreas Homoki in seiner Berliner von Eugen Onegin anspricht.
Aktualität und Werktreue – kein Widerspruch

Die Adaption von Puschkins Versroman durch Tschaikowski, 1879 uraufgeführt, ist eines der Werke, das auf den Opernbühnen ästhetisch weitgehend festgelegt ist: zwischen Birkenwäldchen, nebliger Duellszene im Morgengrauen und rauschendem Fest. An der Komischen Oper haben Homoki und sein Ausstatterteam (Bühne: Hartmut Mayer, Kostüme: Mechthild Speidel, Licht: Franck Evin) das Stück nun in die Gegenwart geholt. Das Einheitsbühnenbild stellt einen Wartesaal mit Hartschalensitzen dar. Die handelnden Personen und der Chor sitzen dort, warten. Sie haben sich mit dem Status Quo abgefunden. Keine Initiative geht von ihnen aus. Dann stehen sie auf, so als wären sie aufgerufen worden und gehen ab. Eine anonyme, passive Masse als Gesellschaft. – Was das mit Tschaikowskis Oper zu tun hat? Viel, sehr viel. Denn die Geschichte um Onegin und Tatjana, um Lenski, Olga und Gremin, sie spielt in einer von Konventionen festgefahrenen Gesellschaft, einer, die sich den Regeln der Alten hingegeben hat, einer Gesellschaft, die nicht dagegen aufbegehrt. Bei Tschaikowski singen sie alle davon, die Alten, die Jungen und immer wieder der Chor. Man muß nur einmal genau hinhören, was da im Text steht. Man muß nur ernst nehmen was da in Liedform gekleidet ist: Das sind nur vordergründig harmlose Lieder von Bauern oder Ballbesuchern und das ist nur scheinbar ein harmloses Lied, das Olga zu Beginn singt. Die Texte handeln von Schmerz, Verlust und Perspektivlosigkeit.

Hier liegt die große Leistung dieser Inszenierung: Sie hat den Text endlich einmal ernst genommen, sie hat erkannt, dass der ‚Weltschmerz’ und die ‚Langeweile’ (noch zwei große Modethemen des 19. Jahrhunderts) die andauernd besungen werden, nicht atmosphärisches Kolorit sind, sondern Ausdruck einer Befindlichkeit der Gesellschaft. - „Der Traum vom großen Glück vergeht und daran gewöhnt man sich“, heißt es gleich anfangs im Quartett der Frauen. Davon handelt „Eugen Onegin“. Das ist der Zustand, den Tschaikowski und sein Librettist beschreiben. Das ist die Grundsituation, die Homoki inszeniert.

Tatjana ist anders. Sie leidet darunter. Sie hat sich eine Traumwelt errichtet, in die sie flüchten kann. Sie flüchtet in die Welt der Bücher – und bei Homoki auch in die Welt der Musik. Die großen, schwülstigen, süßlichen, emotionsgeladenen Themen der Partitur, sie stehen bei Homoki für Tatjanas Utopie der Liebe, die sie aus dem Stillstand der Gegenwart befreien soll. Sie sucht, „was nur die Liebe geben kann“, wie es im Text heißt. Olga hingegen, die Gegenfigur, singt in ihrem Lied des ersten Aktes unbewußt von ihrem Selbstbetrug („Was soll der Schmerz? Was soll die Sorge?“ und „Ich bin zufrieden“). Tatjana wird dagegen aufbegehren, sie wird die Initiative ergreifen. Wie groß dieser Schritt hin zur Initiative ist, zeigt die Inszenierung in der berühmten Briefszene, bei der Tatjana eben nicht nächtens und allein vor wallenden Vorhängen im Nachthemd ihre Liebeserklärung an Eugen Onegin schreibt, sondern dabei von ungläubig-neugierigen Frauen der Gesellschaft umgeben ist. Die Arie Tatjanas wird zur Szene. Für „kindisch und verliebt“ verkennt Onegin diesen „lächerlichen Brief“, wie er am Ende der Oper gestehen wird, wenn er sieht, wie sehr er die Dimension dieser Handlung Tatjanas verkannt hat. Denn Tatjanas Initiativwerden ist eine Geste des Bewußtwerdens der festgefahrenen Gegebenheiten.

Die Ablehnung durch Onegin ist für Tatjana das Schockerlebnis, das sie wortlos macht (sie entgegnet nichts mehr auf Onegins Ablehnung) und zugleich die Zerstörung all ihrer „Jungmädchenträume“ ist. Sinnfällig in Szene gesetzt durch die Zerstörung der Symbole ihrer Traumwelten: Brief, Buch, Musik. „So sind die Männer“, singen die Frauen im anschließenden Bild, in dem den Männern, die Blindekuh spielen, die Augen verbunden sind. Blind sind die Männer dieser Gesellschaft, so wie Onegin für Tatjanas Liebe blind ist. Die apathisch dasitzende Tatjana ist ein Fremdkörper in dieser Gesellschaft. Es sind einfache aber wirkungsvolle Chiffren, die Homoki in seiner Interpretation immer wieder findet, um die Zeitlosigkeit der Geschichte zu verdeutlichen. Dabei inszeniert er nie gegen den Text, sondern deutet ihn, befreit ihn aus seinem zeitgenössischen Korsett.

Onegin, der die Liebe zunächst nicht ernst nimmt und sich darüber lustig macht (1. Bild), wird in seinem verantwortungslosen Draufgängertum zum sinnlosen Duell mit Lenski kommen. Bei Homoki ein russisches Roulett, in dem sich Lenski mit einem Kopfschuß bewußt selbst richtet. Für Onegin, der sich danach aus Verzweiflung ebenfalls richten will, ist kein Treffer mehr übrig. Die sich anschließende Polonaise (die eigentlich die Einleitung des nächsten Bildes ist) wird mit dem wild um sich schießenden Onegin zum Totentanz, bei dem keiner sterben darf. Zu fest ist die Ordnung, zu vorausbestimmt die Schicksale. So wie Tatjana nicht in ihre Lebens-Zukunft eingreifen konnte, so kann es nun auch Onegin nicht in die seine. – In dieser passiven Gesellschaft ist es nicht mehr möglich auszubrechen, etwas zu verändern, so die deutliche – leider nicht von allen Zuschauern verstandene - Aussage.

Auch Tatjana hat sich dem ergeben, hat Gremin an ihrer Seite. Onegin hat seinen Fehler, nicht auf Tatjanas Liebeserklärung, die ein Ausbruchsversuch war, einzugehen, erkannt. Daher singt Gremin in seiner Arie zu Onegin: „Der Liebe kann man nicht entgehen“. Und bestätigt damit die utopische Chiffre der „Liebe“, von der bereits zu Beginn der Oper die Rede war: „Was nur die Liebe geben kann.“ Die Chiffre „Liebe“ wird damit als einzige Möglichkeit des Ausbruchs bestätigt. Und während Onegin das im Schlußbild mit Tatjana erörtert, nimmt kontrastierend dazu der Chor wieder seine vorbestimmten Positionen im ‚Wartesaal’ ein. Tatjana, die vergeblich ‚das Glück gejagt’ hat, wird sich mit ihren ‚verlorenen Illusionen’ schließlich dazugesellen, in der Masse untergehen. – Die Kunst des Interpretierens, Homoki führt sie vor.

Berlins bestes Opernensemble

Homoki und seinem Team ist eine ungewöhnlich schlüssige, werknahe und zugleich aktuelle Inszenierung gelungen. Dass sie am Ende ebenso auf Bravos wie auf Ablehnung stieß, mag ihr Potential zur Auseinandersetzung bestätigen. Konsequent knüpft Homoki an die genaue Lektüre der Texte und Partituren an, die an der Komischen Oper eine so große Tradition hat. Dabei gelingt es ihm seine Solisten zu Sängerdarstellern zu machen. Mit genauer Personencharakteristik und -führung entsteht eine überzeugende, fesselnde und kurzweilige Lesart des Onegin-Stoffes. Kyrill Petrenko am Pult und das fabelhaft spielende Orchester der Komischen Oper tragen das Konzept mit fiebriger Intensität mit. Petrenko setzt im Klang entschlackte, harte Passagen bewußt gegen das typische Tschaikowski-Melos. Die illusionslos klingenden, leeren Akkorde gleich zu Beginn bestimmen jedoch die Grundtendenz. Petrenko und seinen Musikern gelingen in diesem Kontrast grandiose Momente im Detail, etwa bei der kleinen Passage der Aufregung im Orchester, wenn Lenski das erste Mal auftritt oder das spannungsvolle, zum Orgelpunkt hin gedehnte Horn im Quartett der beiden Liebespaare im ersten Bild. Oder die intensive, aufwühlende Steigerung am Ende des zweiten Bildes mit dem großen Sehnsuchtsmotiv. Wie Schicksalsschläge klingen dann später die Paukenschläge mit ihrer harten Betonung der Eins im Walzer des vierten Bildes, bewußt irritierend das Blech in den Tänzen des sechsten Bildes. Sensibel findet hier ein wechselseitiges Zusammenspiel zwischen Interpretation auf der Bühne und Umsetzung der Partitur im Orchester statt. Vergessen ist der romantische Puderzuckerguß, der so gerne im Mißverständnis einer leidenschaftlichen Geste über Tschaikowskis Musik gegossen wird. Petrenko befreit Tschaikowski davon und zeigt, wie psychologisch die Partitur konstruiert ist und dass sie nicht atmosphärisches, illustratives Beiwerk, sondern eine Erweiterung des Ausdrucksspektrums der Vorgänge ist.

Bei den Sängern kann die Komische Oper einmal mehr mit ihrem ausgezeichnetem Ensemble auftrumpfen, grandios sind die Stimmen aufeinander abgeglichen. Gabriel Suovanen, dessen Stimme im Parlando und im oberen Mittelregister an Hermann Prey erinnert, verleiht der Titelrolle stimmliche Ausstrahlung, gewinnt seinem warmen Kavalierbariton lyrisch-warme, später dann auch festere Töne ab. Große Textverständlichkeit ist bei ihm eine ebenso selbstverständliche Tugend, wie bei allen anderen Gesangssolisten. Die Tatjana Sinéad Mulhernws ist, wie bereits ihre Jenufa, ein darstellerisch wie vokal groß angelegter, sich entwickelnder Charakter. Sie mag nicht über das mächtige Organ russischer Kolleginnen in dieser Rolle verfügen, aber sie ist in ihrer Interpretation soweit in den Charakter und die vokalen Feinheiten der Partie eingedrungen, dass sie authentisch wirkt. Ihr lyrischer Sopran ist klar geführt, sicher in allen Regionen, beweglich im Überschwang der Briefszene, gemessen in den Szenen der Desillusionierung. Unbestreitbar ist sie der Mittelpunkt der Aufführung. Matthias Klink gestaltet mit kräftig strahlendem Tenor einen anrührenden Lenski, Hilke Anderens Olga hat eine volltönende Tief und eine angenehme Leichtigkeit in der Artikulation der Töne. James Creswell trumpft mit Baßgewalt und Gestaltungskunst auf und macht aus dem abgeleierten Wunschkonzerthit seiner Arie eine Charakterstudie. Diane Pilchers Filipjewna ist einmal mehr eine sensible Darstellung und souveräne gesangliche Leistung. Bei ihr und der Larina Gertrude Ottenthals nimmt man Gesangslinien wahr, die sonst gerne untergehen, da diese Partien meist von älteren Kolleginnen bestritten werden. Das Ensemble wird ergänzt durch den pointierten Triquet Christoph Späths. Großer, verdienter Jubel für das hohe Niveau der mitreißenden Sänger, den fulminanten, präzisen Chor und Petrenko mit seinem Orchester.

Einer der szenisch wie musikalisch gelungensten Abende der laufenden Berliner Opernsaison. Für alle, die von einer Opernaufführung mehr erwarten als nur die Bestätigung der Opernführerlektüre unbedingt empfehlenswert!

Samstag, 12. Juli 2008

Zürich: TURANDOT, 10.7.2008



Giancarlo del Monacos düsteres, bildgewaltiges Aufeinandertreffen eines modernen jungen Mannes (Calaf) und einer in ihrer Tradition gefangenen, frigiden und triebunterdrückten jungen Frau (Turandot) hat seit der Premiere nichts von ihrer Faszination verloren, im Gegenteil:
Paoletta Marrocu ist nun regelrecht in die anspruchsvolle, hochdramatische Partie hineingewachsen, überzeugt mit gewaltigen Spitzentönen und intensivem Spiel. José Cura gab den Calaf mit viel Augenzwinkern, er flirtete nicht nur mit Turandot sondern auch mit dem Publikum. Seine Stimme sass perfekt an diesem Abend, so konnte er den Hit Nessun dorma auf dem Rücken liegend beginnen, ohne an Schmelz einzubüssen. Eine neue Liu gab es zu entdecken: Chiara Angella. Sie überzeugte mit wunderbar warmer Mittellage, weniger mit der doch sehr angeschärften, vibratoreichen Höhe. Wunderbar kräftig der Chor des Opernhauses. Ping, Pong und Pang waren mit Gabriel Bermúdez, Andreas Winkler und Boguslaw Bidzinski ausnehmend stark besetzt. Marco Armiliato am Pult hatte wenig Sinn für delikatere Zwischentöne, es schmetterte und röhrte lautstark aus dem Orchestergraben, auch zu Lasten der Präzision bei den Choreinsätzen.

Sonntag, 29. Juni 2008

Zürich: CARMEN, 28. Juni 2008





Diese CARMEN ist szenisch und musikalisch ein Ereignis; Weltklasse in Zürich mit dem beeindruckenden Rollendebüt von Vesselina Kasarova und Jonas Kaufmann als Don José!

„Gott! welch Licht hier!“, ist man – in leichter Abänderung eines Fidelio Zitats – versucht auszurufen angesichts der raffinierten Lichtgestaltung dieser Carmen-Produktion von Martin Gebhart. Von der grauen Morgendämmerung des Beginns, über die zunehmend schwüler werdenden Vormittagsstunden zur Abenddämmerung in der Kneipe von Lillas Pastia, von der Vollmondszene im dritten Akt zur gleissenden Mittagshitze auf der Plaza vor der Arena durchzieht ein ausgeklügeltes, schlüssiges Konzept diesen in allen Belangen stimmigen Abend. „Licht“ auch in der musikalischen Umsetzung mit dem mit grosser Spannung erwarteten Rollendebüt von Vesselina Kasarova in der Titelpartie. Jenseits von allen Rollenklischees IST die Kasarova Carmen, gleich einer unbezähmbaren Katze schmeichelt sie, stösst zurück, nähert sich beinahe schnurrend wieder an, um gleich darauf die kurzen Locken widerborstig zu schütteln, sie mokiert sich über beinahe alles und jeden, beharrt trotzig auf ihrem für sie so selbstverständlichen sexuellen Selbstbestimmungsrecht in diesem vom Machismo dominierten Umfeld. Die darstellerische Raffinesse geht einher mit der musikalischen: So subtil, so differenziert, so dunkel und tiefgründig, aber auch so blitzsauber (und blitzgescheit!) und trotzdem erotisch lodernd hat man Carmen wohl noch kaum je gesungen gehört. Nicht die bekannte Habanera oder die Seguedille wurden zu den Höhepunkten (obwohl auch diese makellos gesungen wurden), sondern die schwermütige Kartenarie im dritten Akt und die Schlussszene, die an Eindringlichkeit kaum zu übertreffen sein werden. Wie hier José und Carmen wie verwundete Raubkatzen um den Olivenbaum schleichen, sich einander annähern, sich vom bedrohlichen Flüsterton zum leidenschaftlichen Ausbruch steigern, der im Mord an Carmen kulminiert, wie sie den Todesstoss, obwohl erwartet, doch ungläubig, ja beinahe bewundernd entgegennimmt, das erzeugte Gänsehaut und war darstellerisch und gesanglich eine Glanzleistung der beiden Protagonisten. Zugleich zeigte sich da einmal mehr, wie genau Regisseur Matthias Hartmann die Personen zu führen vermag, wie sorgfältig er auf Musik und Text hört. Gleich einem spannenden Psychothriller läuft das Geschehen ab. Jede Figur ist exakt gezeichnet: Der grüblerische Student Don José in Polizeiuniform, der offensichtlich den falschen Beruf gewählt hat, wahrscheinlich seiner Mutter zuliebe, und sich in der primitiven Umgebung seiner sich an Pin-ups aufgeilenden Kumpanen sichtlich unwohl fühlt; die liebende, besorgte und doch mutige Micaëla (Isabel Rey, mit herrlich aufblühender Stimme in ihrer grossen Arie und im Duett), die den widerlichen Machos trotzt; ein Escamillo (Michele Pertusi, wunderbar präsent, höhensicher und kräftig), welcher auch ohne kitschiges Torerokostüm und billige Allüren für Carmen attraktiv ist; der schmierige Morales (Krešimir Stražnac), der dank seiner sonst meist gestrichenen Szene im ersten Akt Profil erhält; die Schmuggler Dancaïre (der wie stets attraktive aussehende und brillant singende Gabriel Bermúdez) und Remendado (Javier Camarena), die ihr machohaftes Gehabe genauso ausleben wie auf der Gegenseite Leutnant Zuniga (Morgan Moody); die Zigeunerinnen Frasquita (Sen Guo) und Mercédès (Judith Schmid). Sie alle sangen und spielten grandios, das Schmugglerquintett im zweiten Akt wurde so zu einer Sternstunde des Operngesangs.
Ein grosses Lob gebührt auch der Choreographin Teresa Rotemberg für ihre eindringlich gestalteten Massenszenen und Tänze. Der Chor, der Zusatzchor, sowie der Kinder- und Jugendchor des Opernhauses Zürich sangen und agierten bewundernswert!
Die von Volker Hintermeier gestaltete Bühne und die schlichten und doch so stimmig mediterran wirkenden Kostüme von Su Bühler liessen den Darstellerinnen und Darstellern genügend Raum für das intensive Spiel. Eine weisse, ovale Scheibe, welche nur für den dritten Akt mit einem dunkel gefleckten Belag versehen wurde und wenige Versatzstücke reichten vollkommen aus, um stimmungsvolle Bilder zu erzeugen. Der Souffleurkasten wurde für jeden Akt anders verhüllt: Im ersten Akt war es ein in der Hitze schlafender Hund, der aber zur Belustigung des Publikums auch mal mit dem Schwanz wedeln konnte, im zweiten Akt war es ein billiger Weinkarton, im dritten ein Felsbrocken und im vierten Akt schliesslich der Totenschschädel eines Stiers.
Franz Welser-Möst, mit seiner letzten Premiere als GMD, und das Orchester der Oper Zürich loteten die Partitur sehr genau aus, und doch wirkte alles äusserst organisch, wie aus einem Guss. Wunderbare Soli der Holzbläser, satter, warmer Klang der Streicher, rasante und stimmige Tempi sowie eine ausgezeichnete Balance zwischen Stimmen und Orchesterklang brachten Bizets meisterhaftes Werk zum Lodern. In den vergangenen Jahren hat man sich an die Dialogfassung der CARMEN gewöhnt. In Zürich spielt man diesmal eine auf der kritischen Neusausgabe durch Michael Rot beruhende Fassung des Werks, mit den von Guirod nachkomponierten Rezitativen. Damit umgeht man den Spannungsabfall, der durch hölzern gesprochene Dialoge entstehen könnte. Ein kluger Entscheid!
Das Publikum schien sich an diesem warmen Sommerabend zuerst an diese Lesart der CARMEN, die jenseits aller Postkartenidyllen ablief, gewöhnen zu müssen. Deshalb hielt sich der Zwischenapplaus wohl in Grenzen. Am Schluss aber erhielten alle verdienten Jubel. Am heftigsten gefeiert wurde Jonas Kaufmann als Don José. Das Porträt dieses vom unerfahrenen, verträumten Jüngling zum vor Eifersucht rasenden Liebhaber „gereiften“ Mannes überzeugte in all seinen differenzierten Schattierungen restlos. Sein sonst meist baritonal timbrierter Tenor klang eher heller und harmonierte wunderbar mit Kasarovas dunklem Mezzo. Der kultivierte Pianogesang, die ausdrucksstarken, nie unkontrollierten Steigerungen und die expressiven Phrasen in seiner grossen Arie La fleur que tu m’avais jettée zeigten die ganze Zerrisenheit dieser Figur. Welch ein Glück, diesen sympathischen Mann am Opernhaus Zürich zu haben, ihn in immer neuen Partien erleben zu dürfen.

Fazit:
Ein mitreissender, unter die Haut gehender Opernabend in traumhafter Besetzung.
Weltklasse!!!

Musikalische Höhepunkte:

Duett Micaëla – José: Parle-moi de ma mère, Akt I
Habanera der Carmen: L’amour est un oiseau rebelle, Akt I
Segeduille der Carmen: Près des remparts de Seville, Akt I
Couplets des Escamillo: Votre toast, je peux vous le rendre, Akt II
Blumenarie des Don José: La fleur que tu m’avais jetée, Akt II
Schmugglerquintett, Akt II
Kartenterzett Carmen, Frasquita, Mercedes, Akt III
Arie der Micaëla: Je dis que rien ne m’épouvante, Akt III
Schlussszene Carmen-José, Akt IV

Inhalt und Werk:
L’amour est un oiseau rebelle
Carmen ist der Traum aller Männerphantasien, voll impulsiver Sinnlichkeit und erotischer Anziehungskraft. Tagsüber arbeitet die Zigeunerin in einer Tabakfabrik, nachts verdreht sie den Männern in Lillas Pastias Kneipe am Rande der Stadt den Kopf. Geschickt wickelt sie die Männer um den Finger und lässt sie daraufhin eiskalt wieder abblitzen. Doch ihr alle Konventionen sprengender Freiheitsdrang wird ihr eines Tages zum Verhängnis. Als Carmen wegen einer Messerstecherei in der Tabakfabrik von Don José ins Gefängnis abgeführt werden soll, überredet sie diesen, sie laufen zu lassen, und verspricht ihm, für ihn allein in Lillas Pastias Kneipe zu tanzen. Von Carmen komplett in den Bann gezogen, wirft Don José alle seine moralischen Grundsätze über Bord, lässt das Andenken an seine Mutter und seine alte Jugendliebe Micaela hinter sich und stürzt sich in das Abenteuer mit Carmen. Auch Carmen scheint für einen kurzen Moment ihre wahre Liebe gefunden zu haben und will ihre Karriere als Schmugglerin an den Nagel hängen. Doch das Schicksal der beiden scheint bereits von Anfang an vorprogrammiert. Zu unvereinbar sind die beiden Lebensentwürfe. Don José, hin und her gerissen zwischen Pflicht und Leidenschaft, kann sich nicht zu einem Leben mit Carmen in Freiheit entschliessen. Statt dessen steigert ein feuriger Torero namens Escamillo seine Eifersucht ins Unermessliche, so dass der pflichtbewusste Sergeant schliesslich zum Mörder wird.
CARMEN ist Georges Bizets letzte Oper und zugleich sein grösster Publikumserfolg. Die Titelheldin steht als verführerische Femme fatale in der Tradition von Verdis Violetta und weist voraus auf Schönbergs Lulu. Schauplatz und Musik der Oper lassen das typisch spanische Kolorit erkennen. Doch Carmen ist mehr als eine folkloristische Ausstattungsoper. Es ist ein Stück über komplett unterschiedliche Lebensentwürfe und die fatale Verbindung von Liebe und Freiheit, Pflicht und Leidenschaft.